Der große Auftritt eines Straßenmusikers: Singen gegen Joko & Klaas

Der Straßenmusiker Sinan Öztürk tut alles für Musik – sogar zum Spontanauftritt bei Joko und Klaas’ neuer Show ließ er sich hinreißen. Warum tut man sich das an?

Ein großer Mann mit Gitarre in der Hand singt in einer Fußgängerzone

Sinan Öztürk macht Straßenmusik aus Leidenschaft, obwohl er eigentlich als Sozialpädagoge arbeitet Foto: Michael Bahlo

Vom Sitz aufzustehen und selbst bei der ProSieben-Trash-Sendung „Die beste Show der Welt“ aufzutreten, war für den Bremer Sinan Öztürk „eine Entscheidung vom Bruchteil einer Sekunde.“ Im richtigen Moment habe er einen Buzzer gedrückt und wurde Teil des Spektakels, das von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf moderiert wird. Am Samstagabend wird er darin vor einem Millionenpublikum zu sehen sein. Doch was erhofft sich ein 28-jähriger Sozialpädagoge davon, zwischen Hodenschussbingo und Kissenschlachtcontests Coversongs vor Millionen Zuschauern zu singen?

Wer Öztürk trifft, weiß, wie es sein muss, neben einem Riesen zu stehen. Wenn der Zwei-Meter-Mann bei fünf Grad Celsius in der Sögestraße mit einer Gitarre in der Hand vor einer Häuserzeile steht, wirkt das Instrument wie Kinderspielzeug. Dennoch laufen die Passanten geraden Blickes vorbei, als Öztürk seine Gitarre anstimmt. Er selbst beschreibt sich als den Typen, dessen „peinlichen Auftritt man sich nicht entgehen lassen sollte“.

Und tatsächlich, als er zu singen anfängt, durchdringt seine tiefe Stimme den vorweihnachtlichen Geräuschpegel und übertrumpft sogar den hohen Ton einer konkurrierenden Klarinette. Die meisten Fußgänger schauen, viele bleiben kurz stehen und einige werfen im Vorbeilaufen Geld in seine Tasche. Eine junge Frau mit dicker Wollmütze wartet vor einer Haustür bis zum Ende des Liedes, bevor sie ein Zwei-Euro-Stück in seine Gitarrentasche wirft. Nach drei Minuten liegen fünf Euro in Öztürks Gitarrenhülle.

In der Wärme eines Cafés erzählt Öztürk von seinen Erfahrungen als Straßenmusiker. „Die Straße ist das schwierigste Publikum, du musst die Leute beim Einkaufen und im Stress auf dich aufmerksam machen.“ Das erste Mal, als Öztürk in der Fußgängerzone stand, um Musik zu machen, sei die Aufregung groß gewesen. „Ich habe richtig Angst gehabt. Ich dachte, die Leute werfen mit Tomaten.“ Der Auftritt bei Joko und Klaas sei einfacher gewesen, „das Publikum ist viel weiter weg. Die Leute können nichts auf dich werfen, wenn du schlecht bist“.

Sozialpädagogik als Broterwerb

Seit seinem ersten Auftritten als Straßenmusiker hat Öztürk sich jahrelang mit Musik in Parks und an öffentlichen Plätzen über Wasser gehalten. Mit 21 Jahren hat er mit einem Freund in einem heruntergekommenen Passat eine Straßenmusiktour von Heidelberg nach Hamburg gemacht.

Sein Studium und sein Job als Sozialpädagoge sind nur Mittel zum Zweck: Zwar mag Öztürk seine Arbeit, bei der er benachteiligte Jugendliche während ihrer Ausbildung unterstützt, doch letztlich ist sie nur Broterwerb, um weiter an Songs ­schreiben und sie singen zu können. „Wenn mir hier und jetzt jemand sagen würde: Pack deine Sachen, wir machen das mit der Musik. Ich würde mit der Unterhose, die ich anhabe, losfahren.“

Sinan Öztürk, Straßenmusiker

„Im Fernsehen auftreten ist einfacher, als auf der Straße zu spielen. Dort können die Leute nichts auf dich werfen, wenn du schlecht bist“

Öztürk macht melancholische Pop- und Soulmusik. „Ich verarbeite Erlebnisse. Als 28-Jähriger kann ich nicht mehr über pubertäre Probleme singen.“ Seine letzte Single „Farben“ handelt von einer aussichtslosen Liebe. Für fröhliche Texte sieht er keinen Anlass: „Wenn alles gut ist, gibt es keinen Grund zu ­schreiben.“ Menschen sollen sich in den Erlebnissen und Gefühlen seiner Lieder wiederfinden. Da dabei politische Themen im Weg stehen können, klammert er sie aus.

Früher war mehr HipHop

Öztürk ist ein Glücksritter. Er hat sich daran gewöhnt, dass nicht jeder seine Musik mag. Ihm reicht die Unterstützung von Freunden, seinen Eltern und immerhin fast 1.500 Facebook-Fans. Mangelndes Selbstbewusstsein ist nicht das Pro­blem von Sinan Öztürk. Erarbeitet habe er sich das nicht nur mit Gesang: Schon als Fünfjähriger habe er getanzt. „Hip-Hop hat mich von einer Menge Unsinn abgehalten“, sagt er. Als Schüler hat er Tanz-Unterricht gegeben und internationale Hip-Hop-Wettbewerbe gewonnen. „Tanzen und Singen, das sind zwei gegensätzliche Welten. Hip-Hop ist mein anderes Gesicht. Da spiele ich den harten Typen.“

Welches der beiden Gesichter die Zuschauer am Samstagabend sehen können, darüber will er noch nichts sagen. Da die Sendung noch nicht ausgestrahlt sei, darf und will er nichts verraten.

Öztürk hofft, dass durch die Coversongs, die er bei „Joko und Klaas“ singt, auch seine eigenen Lieder Hörer finden. Dass es dafür Fernsehauftritte wie den bei „Die beste Show der Welt“ braucht, ist traurig. Vielleicht schreibt er auch mal ein Lied darüber.

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