■ Der dünne Faden der Beherrschung: Datenschutz, leichtgemacht. Quod erat demonstrandum: Ein Abend mit der Mikrozensorin
Neulich hatte ich Besuch von meiner Mikrozensorin. Nicht, daß ich sie eingeladen hätte. Aber ich kann nicht leugnen, daß meine Bemühungen, sie loszuwerden, ziemlich halbherzig waren. Unsere erste Begegnung hatte bereits eine Woche zuvor stattgefunden. Da kam sie an einem sonnigen Nachmittag einfach in meinen Garten geradelt und sagte: „Hallo, mein Name ist Karin Mustermann. Ich führe hier die Befragung durch, und Sie sind ausgewählt. Haben Sie Zeit?“ Sie drückte mir Unterlagen in die Hand, auf denen ich nur das Emblem der Volkszählung erkennen konnte, und begann sich der Adresse und meines Namens zu vergewissern.
Als erfolgreiche Volkszählungsboykotteurin von 1987 wimmelte ich sie ab und blieb mit den Unterlagen und meiner Verstörung zurück. Erstere sagten mir, daß derzeit in einem Prozent aller Haushalte „Haushaltsbefragungen“ durchgeführt würden, daß jede/r Erfaßte auskunftspflichtig und der Datenschutz gewährleistet sei. Davon hatte ich noch nichts gehört. Meine Nachbarin auch nicht. Wie kann es sein, fragten wir uns, daß die 'ne Volkszählung machen, ohne daß man davon etwas mitkriegt? Wo sind die Bürgerinitiativen, die einem nun zur Seite stehen, wo die engagierten RechtsanwältInnen, die gegen die totale Kontrolle kämpfen? Hatte ich sie übersehen, weil ich seit zwei Wochen die falsche Zeitung las? Ich entschied mich, Die Grünen anzurufen. Wenn einer helfen könnte, dann die. Leider hatten sie keinen Eintrag im örtlichen Telefonbuch und bei der Auskunft auch nicht. Immerhin kennt man sie im Rathaus, doch weiterhelfen konnte man mir nicht – Mittagspause.
So kapitulierte ich vor dem terminsetzenden Anruf meiner Zählerin und ihrer entschiedenen Ablehnung auf meine zarte Frage, ob sie nicht jemanden andern befragen könnte, und ließ sie in mein Heim. Sie kam an einem Mittwoch abend und blieb eine Stunde. Sie war jung, nett und ermüdet von ihrer aufreibenden Befragerinnentätigkeit. Sie war der Typ Frau, der deutlich macht, wer Claudia Nolte wählt. Ich erfuhr, daß die Jackettträgerin Studentin eines technischen Faches ist, einen Freund hat und nicht gedacht hätte, daß das bißchen Befragung für 24 Mark pro Bogen so anstrengend sei.
Ich biete ihr Tee an, obschon ich mir etwas Besseres vorstellen kann, als mit Frau Nolte Tee zu trinken. Aber sie möchte nichts, sondern beginnt mit der Befragung. Ich habe mir fest vorgenommen, zu lügen und Halbwahrheiten zu Protokoll zu geben.
Sie fragt mich nach meinem Namen, dem Jahr der Geburt und in welchen Monaten des Jahres – „In den ersten vier?“ – ich zur Welt gekommen bin. Was soll man auf so etwas antworten? Das steht in jedem beschissenen Behördencomputer! Ich beschließe, später auf jeden Fall die Unwahrheit zu sagen, und staune nicht schlecht, als ich nun den Namen meines Arbeitgebers, die Höhe meines Gehalts und die Art der Beschäftigung angeben muß. Auch hier komme ich mit falschen Angaben nicht weiter, denn auch diese Fakten dürften mittlerweile im staatlichen Datennetz abrufbar sein. Unter Nennung merkwürdiger Kriterien will sie wissen, inwiefern ich selbständig arbeite. Langsam werde ich ungeduldig, ich verstehe nicht, was das soll. „Gibt es in Ihrem Betrieb Abteilungen?“ – Das war's. Mit den Worten: „Das kann doch nicht sein!“ reißt mir der dünne Faden der Beherrschung. „Wie doof sind die denn?“ Im Eigeninteresse versucht Karin Mustermann mich zu beruhigen: „Es ist ja nicht mehr viel.“ Nach ihrer bis dahin gewonnenen Kenntnis meiner Situation unterstützt sie mich in der Beantwortung der Fragen. Dafür bin ich dankbar und sie erleichtert, denn nun kann alles ein wenig schneller gehen.
Nach einer guten halben Stunde sind wir fertig. Sie atmet erleichtert auf. „Sie sind meine Vorvorletzte. Ich bin ja so froh, wenn das vorbei ist.“ Meine „Vertrauensperson“, die mir „mit Rat und Tat zur Seite stehen soll“, so das Infoblatt des Statistischen Bundesamtes, räumt ihre Unterlagen ein und lehnt sich zurück: „Ich dachte, man könnte das bequem nebenbei machen, aber der Aufwand, bis man alle zusammen hat, das lohnt sich überhaupt nicht.“ Ärger macht sich auf Karin Mustermanns Gesicht breit. „Die letzten beiden kann ich seit Wochen nicht erreichen. Zu allen Tages- und Nachtzeiten hab' ich bei denen angerufen. Mehr kann ich auch nicht machen.“ Das bestätige ich gern. „Manche Leute sind auch wirklich schwierig“, fährt sie fort. „In einem Haus hatte ich den Fragebogen mit der Mieterin schon so schön ausgefüllt. Und als ihr Mann nach Hause kommt, will er die Polizei rufen. Weil er das nicht glaubte, mit der Befragung. Dabei weiß die Polizei bestimmt nichts davon.“ „Das würde mich auch wundern“, entgegne ich.
Frau Mustermann hat sich längst in Begeisterung geredet. „Ihre Nachbarn sind ganz anders.“ Ich horche auf, jetzt wird's interessant: „Echt, welche denn?“ „Die, die vorn wohnen, nebeneinander. Das sind beides Lehrer.“ „Wirklich?“ „Ja, die haben sofort ausgefüllt.“ „Na ja, Lehrer eben“, gebe ich zum besten, „die müssen das wohl.“ Ich versuche, Karin zum Weiterreden zu ermuntern, und es wirkt: „Die, die dahinter wohnen, Harmann oder Hartmann? Die mit dem schwarzen Hund, denen steht ein Zwangsgeld ins Haus.“ „Echt, wieso das denn?“ Ich weiß genau, wen sie meint, denen hätte ich subversives Verhalten gar nicht zugetraut. Dann erfahre ich die schockierende Wahrheit: Herr Hausmann – so heißt der nämlich – hat Karin Mustermann die Tür vor der Nase zugeknallt. Einfach so. „Dabei ist die Nachbarin dahinter ganz nett“, so Karin. „Die wollte mich gar nicht mehr gehen lassen. Da ist wohl neulich der Mann gestorben. Ich mußte ihre Arko-Pralinen probieren, und als ich sagte, ich müsse zum Abendbrot nach Hause, wollte sie mir unbedingt welches auftischen. Sogar Blumen aus ihrem Garten mußte ich mitnehmen! Total nett.“
Als Karin Mustermann kurz darauf durch meinen Garten davonradelt, fühle ich mich nicht recht wohl. Mein Vorhaben „Boykott durch Lügen“ hatte ich nicht gerade erfolgreich umgesetzt. Einzig die Tatsache, daß ich sie dazu animieren konnte, mir Dinge zu erzählen, die sie mir nie hätte erzählen dürfen, wir also gemeinsam den Beweis erbracht haben, daß der allseits so gerühmte Datenschutz alles anderes als gewährleistet ist, kann mir eine Spur von Genugtuung verschaffen. Silke Burmester
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