: Der dicke Zucker und die Diven
■ Eine Orgie für Opernliebhaber: Jan Schmidt-Garres „Opera Fanatic“ macht sich auf die Suche nach den Gesangsstars von früher
Stefan Zucker mag schöne Stimmen. Wenn er die Norma einen besonders grellen Sopran singen hört, fängt der rundliche New Yorker mächtig an zu schwitzen. Gesang ist für ihn sexuelle Erfüllung, und von Mezzosopranistinnen weiß er gar zu berichten, daß sie beim Geschlechtsverkehr Praktiken vorziehen, die anderen Frauen furchtbare Schmerzen bereiten würden. Insofern muß Jan Schmidt-Garres Dokumentarfilm „Opera Fanatic“ für den bald fünfzigjährigen Zucker eine einzige Orgie gewesen sein: Er durfte mit zehn Diven sprechen, die die italienischen Verismo-Opern der Nachkriegszeit geprägt haben. Und jedes Treffen mit einer dieser mittlerweile an die neunzigjährigen Damen ist mehr Rendevouz als Interview.
Tatsächlich lebt die anderthalbstündige Reise durch Italien sehr von der schüchternen Nervosität Zuckers. Immer müssen Gladiolen, Rosen oder wenigstens Gebäck her, wenn er eine Diva in ihrer plüschigen Wohnung besucht. Meistens kriegt er sie am Ende rum, dann singen die Cerquetti oder die Gavazzi ihm ein paar Takte Puccini vor, und Zucker schmilzt dahin.
Weil Schmidt-Garre nun nicht bloß ein paar Schäferstündchen unter MusikliebhaberInnen drehen wollte, bekommt „Opera Fanatic“ einen hübsch melancholischen Rahmen – rötliche Filter vor der Kamera färben die Bilder wie Fotos aus den Fifties ein. Stets sieht man alte Fernsehauftritte eingeblendet, ehe Zucker zu fragen beginnt: Was waren ihre größten Triumphe? Gab es Affären? Und vor allem – singt es sich besser mit Brust- oder mit Kopfstimme? Die Antworten fallen eher knapp aus: Je höher das C, desto größer die Dramatik. Mehr braucht eine Primadonna nicht über ihr Fach zu wissen – schließlich lebt sie die Töne. Trotz des leicht weltfremden Milieus wirkt die Atmosphäre erstaunlich gelöst, und schon ist das Team auf dem Weg zum nächsten Gefecht.
Obwohl der Film gerne auf Exzentrik und Herzensnähe setzt, zeichnet „Opera Fanatic“ immer wieder nach, mit was für Problemen eine Dokumentation zu kämpfen hat, bei der niemand so recht weiß, wie die Befragten reagieren werden. Immerhin sind es Diven. Die strenge Marcella Pobbe kann nichts mit dem Besuch anfangen und möchte viel lieber den Blick aus ihrem Fenster über die Dächer von Mailand zeigen – was auch prompt gefilmt wird. Und auch Zucker ist eine Nummer für sich: Als Sprecher klingt er so quakig wie eine Cartoonstimme aus Disneyland. In der wirklichen Welt steht er als „höchster lebender Tenor“ im Guiness-Buch der Rekorde. Singen hört man ihn während des Films trotzdem nicht. Zu groß sind seine Hingabe und der Respekt für die Diven von damals. Harald Fricke
Forum: 13.2., 14.30 Uhr, Akademie der Künste
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