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Der WochenendkrimiWenn Gewalt zum Kotzen ist

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

In vielen Krimisendungen geht von jungen Erwachsenen viel Schlechtes aus. Doch ist das nicht zu kurz gedacht?

Szene aus „Polizeiruf 110: „Sie sind unter uns“ Foto: Erhard/MDR/filmpool fiction/dpa

U m die junge Generation mache er sich „eher weniger Sorgen“, war eine der erfrischendsten Aussagen der letzten Monate. Schön, dass sie es am vergangenen Mittwoch auf die Titelseite der taz schaffte; und klar, dass sie von jemandem kam, der Expertise und Empathie hat: der leider aber nach 25 Dienstjahren hochverdient ausscheidende Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger.

Dass die Lage insgesamt komplex ist, zeigen nicht nur Studien zur psychischen Gesundheit der Jungen, die durch Häufung und Dauer von Krisen deutlich mehr gebeutelt scheinen als die Älteren – eine Trendwende, sagen Forscher. Es ist durchaus auch eine konkrete Erfahrung im Freundes- und Bekanntenkreis, wo es große Sorgen gibt um die jungen Erwachsenen, nicht nur, aber doch verstärkt um junge Männer. Und schließlich gehört es spätestens seit dem bis heute umstrittenen Kult-„Tatort: Reifezeugnis“ zur Tradition des deutschen Sonntagabendkrimis, dass von den Jungen eine dunkle Bedrohung ausgeht, was nicht ausschließt, dass sie gleichzeitig als besonders vulnerabel gelten.

Der neue Magdeburg-„Polizeiruf“ erfüllt in dieser Hinsicht alle Erwartungen. Schon der Titel „Sie sind unter uns“ lässt sich ja nicht nur auf Verschwörungserzählung einer geheimen Weltherrschaft von Reptiloiden beziehen, die Hirn und Herz des 17-jährigen Schülers Jeremy beherrscht; genauso gut beschreibt er die jungen Menschen selbst, die sich in den Erwachsenen fremden digitalen Welten bewegen, die dann plötzlich schrecklich real werden. Es ist die stärkste Szene dieses Films, als alle diese Ebenen zusammenkommen und der Schulamokläufer Jeremy ganz konkret erlebt, wie zum Kotzen Gewalt, wie Übelkeit erregend es ist, Menschen zu töten und sie sterben zu ­sehen.

Was an dem Film nervt, sind die üblichen Gebrechen des TV-Krimis: die ausufernden Erklärungen dessen, was man ja ohnehin sieht oder gerade gesehen hat, offensichtlich in der Annahme, das Publikum sei nebenbei halt noch mit anderen Dingen beschäftigt beziehungsweise intellektuell überfordert; das nicht einheitliche Niveau der Schauspieler:innen, zwischen Laienbühne und hoher Kunst, was einen immer wieder aus der Illusion realen Geschehens rauswirft (man kann gegen die Streamingproduktionen viel sagen, aber da passiert das einfach nicht); die pseudoexpressionistische Lichtregie, die auf Kunst macht, und die banale Musik, die jeden Kunstanspruch unterläuft; und schließlich – ach – der Topos des „Sie gehen da jetzt nicht allein rein, oder?!“, der wider jede Vernunft und Praxis die Haupt­ermit­telnde, Kommissarin Brasch, dann eben doch als einsame Heroin in Szene setzen muss. Wenn man weiß, was Claudia Michelsen sonst so drauf hat, scheint sie sich in dieser Produktion eher unwohl zu fühlen.

Gewaltszenen prägen sich ein

Und doch bleibt etwas von „Sie sind unter uns“. Mikke Rasch als Jeremy wahrt die Aura um seine Figur, verkörpert sie tatsächlich. Welchen Sinn es genau macht, die Gewalt so drastisch darzustellen, erschließt sich nicht, aber die Szenen prägen sich ein. Und was die Verschwörungserzählungen angeht, bestätigt Jeremys Mutter Rebecca (Maja Beckmann) die bittere Erkenntnis, dass die Verletzungen, die Menschen in der wirklichen Welt erfahren, für sie viel schlimmer sind als jeder brandgefährliche Quatsch, den die politisch-esoterischen Gurus als Trost und Lösung im Angebot haben – und das immerhin gilt für Jung und Alt.

Magdeburg-„Polizeiruf 110“: „Sie sind unter uns“, So., 20.15 Uhr, ARD

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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