: Der Weltaneigner
Vom Anderen fasziniert: Das Bucerius-Kunst-Forum widmet sich dem Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff und seiner Affinität zu Masken und Figuren aus Afrika und Ozeanien
Von Hajo Schiff
Die außereuropäische Kunst hat Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Künstler der Moderne nachdrücklich beeinflusst. Doch dies war nur selten direktes Thema von Ausstellungen. Nun geht es im Bucerius-Kunst-Forum um einen der wichtigsten deutschen Expressionisten und seine Affinität zu Objekten aus Afrika und Ozeanien: Karl Schmidt-Rottluff.
Alles beginnt 1909 mit einem Postkartengruß an Erich Heckel, einen Freund aus der 1905 gegründeten Künstlergruppe „Brücke“: Neben das Adressfeld skizziert der 25-Jährige eine in Hamburg gesehene weibliche Statuette aus Kamerun. Die Faszination solcher Figuren wird ihn lebenslang begleiten, während der glorreichen Jahre der „Brücke“, über zwei Weltkriege und seine Verfemung als entarteter Künstler bis hin zu seiner Nachkriegsprofessur an der Kunsthochschule in Berlin, seiner Präsenz auf der ersten Documenta und seinem Tod 1976.
Masken und exotische Figuren prägen knapp zwei Drittel der Bilder dieser hauptsächlich aus Beständen des 1967 eröffneten Berliner Brücke-Museums zusammengestellten Ausstellung. Vier seiner Holzplastiken zeigen, wie stark Schmidt-Rottluff auch dreidimensional die afrikanischen Anregungen verarbeitete.
Aber was wird damals in den außereuropäischen Artefakten gesucht? Die Faszination gilt weitgehend den zugleich stilisierten und ausdrucksstark überhöhten Formen, nicht der Komplexität einer fremden Kultur und ihren Ritualen. Erlebt wird die Projektion eines wilden und primitiven menschlichen Ausdrucks, gefunden eine antiklassische, ursprüngliche, ja antizivilisatorische Vision. Doch seltsamerweise wird dieses so sehr Andere als etwas betrachtet, dass sich durchaus aneignen und in die eigene Welt integrieren lässt: Die Geheimnisse der Form und die Dämonie der Dinge findet Schmidt-Rottluff ebenso in Muscheln oder exotischen Grünpflanzen, gar in Landschaftsdetails.
Doch zum Frust eines jeden Sammlers liegt die Magie, die potenzielle Fähigkeit, eine Brücke zur Transzendenz zu sein, nicht in den Dingen selbst, sondern im individuellen und zeitspezifischen Blick des Betrachters auf die Dinge. Schmidt-Rottluff hat außereuropäische Kunst gesammelt, aber unsystematisch und höchst bürgerlich auf dem Regal gereiht, wie Fotos aus seiner Wohnung zeigen. Die Objekte werden nicht inszeniert, wie beispielsweise bei den französischen Surrealisten, sie dringen weit weniger als etwa bei Picasso in die eigene Kunst ein, ihre bildliche Darstellung bleibt trotz glutvoller Farbvarianten stets sehr stilllebenhaft. Es besteht bei Schmidt-Rottluff auch kein Wunsch, wie Gauguin oder Pechstein selbst in die Tropen zu reisen.
Dafür hat der gebürtige Chemnitzer so manche Beziehungen zu Hamburg. Hier erwarb er seine exotischen Objekte, hier hatte er Sammler und Freunde wie den Dichter Richard Dehmel. Hier richtete er für die bedeutende Förderin der modernen Kunst, die Kunsthistorikerin und Sammlerin Rosa Schapire, die Wohnung mit Malerei, Stoffen und selbstgefertigten Möbeln ein. Und ab 1910, dem Zeitpunkt seiner allerersten Einzelausstellung in der Hamburger Galerie Commeter, hatte er für zwei Jahre ein Dachatelier in der Kleinen Johannisstraße.
Die Ausstellung kombiniert die Kunst Karl Schmidt-Rottluffs mit zwölf außereuropäischen Objekten seiner Sammlung. Dabei aber wurde die Chance zu neuen Erkenntnissen vertan. Denn wenn Schmidt-Rottluff die in Praxis und Theorie damals arglos und durchaus wohlmeinend sogenannte „Negerplastik“ nur formal rezipierte, warum wird sie heute wieder so gezeigt? Wäre es nicht an der Zeit, diese Artefakte nun gemeinsam mit ihrem ethnologischen Kontext zu präsentieren, ihnen also die ursprüngliche Bedeutung wiederzugeben, statt durch die neben manche Bilder gestellten Vitrinen mit den Plastiken nur einen freundlichen Vergleich von Vorbild und Abbild zu bieten?
Oder, einmal provokant gefragt, wie wäre es, in konsequenter Umkehrung und als Rezeptionsbeispiel Ausstellungen wie diese gleich im Museum für Völkerkunde zu zeigen? Zwar geben einige Beschriftungen in dieser Präsentation die Probleme mit dem N-Wort an, erwähnen auch, dass die Objekte in Afrika und Ozeanien niemals in dieser hier üblicherweise gezeigten reduzierten reinen Form bestanden haben und verweisen auf die Veränderungen, die der deutsche Künstler in ihrem Abbild vorgenommen hat.
Aber um was es sich dabei einst wirklich handelte, ist zwar aus dem empfehlenswerten Katalog in Erfahrung zu bringen, bleibt in der Ausstellung aber auf kürzeste Angaben beschränkt. Die außereuropäischen Artefakte werden weder als autonome Werke eigenen Wertes präsentiert noch in ihrem alten Zweck erläutert, auch die Möglichkeit bleibt unerwähnt, dass sie überhaupt nur für den Verkauf hergestellt worden waren: Sie verbleiben im subjektiven Zwischenreich des im Ausstellungsuntertitel erwähnten Fremden und Magischen.
Den Begriff des Magischen wollen die Kuratorinnen aber viel eher auf die späte Malerei Karl Schmidt-Rottluffs beziehen. So sind neben dem Schwerpunkt zur außereuropäischen Kunst noch viel wunderbarere Bilder in der Ausstellung zu entdecken. Beispielsweise die fünf melancholischen Ruinenlandschaften des römischen Aufenthalts 1930: Sie scheinen sich in ihrem düsteren Leuchten weniger auf die Vergangenheit zu beziehen, sondern eher eine Ahnung zerstörerischer Zukünfte auszudrücken.
Und da sind auch die späten, teils geradezu neongrün leuchtenden Mondscheinbilder des Alterswerks aus den Sechzigerjahren. Sie binden in einer Zeit, in der seine Art der Malerei gar nicht mehr dem abstrakten und konzeptuellen Zeitgeist entsprach, den so deutschen Expressionismus ganz eindeutig an die deutsche Romantik zurück.
„Karl Schmidt-Rottluff: expressiv, magisch, fremd“: bis 21. Mai, Bucerius-Kunstforum
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