Der Vogel des Jahres 2014: Profiteur des Klimawandels
Die Zahl der Grünspechte hat sich in Deutschland in den letzten 20 Jahren verdoppelt, nun wurde er zum Vogel des Jahres gekürt. Doch diese Entwicklung ist eine Ausnahme.
BERLIN/NÜRNBERG dpa | Sein Ruf hört sich wie gellendes Gelächter an. Und zum Lachen hat der Grünspecht allen Grund: Er zählt zu den wenigen heimischen Brutvögeln, deren Bestände deutlich angewachsen sind.
„Es gibt in Deutschland derzeit etwa 42.000 Brutpaare und damit mehr als doppelt so viele wie vor zwanzig Jahren“, sagt der Vizepräsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) Helmut Opitz. Nabu und Landesbund für Vogelschutz (LBV) haben den Grünspecht am Freitag zum Vogel des Jahres 2014 gekürt.
Der „Lachvogel“ löst die als „Meckervogel“ bezeichnete Bekassine als Vogel des Jahres ab. Anders als die auf der Roten Liste stehende Vorgängerin ist der Grünspecht nicht vom Aussterben bedroht. Nabu und LBV wollen diesmal auf eine positive Entwicklung hinweisen.
Laut Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA), der viele Vogelbeobachter vertritt, hat der bundesweite Bestand des Grünspechts zwischen 1991 und 2011 um 105 Prozent zugenommen. Europaweit sei er im selben Zeitraum um etwa 50 Prozent gewachsen.
Woran das liegt, können Wissenschaftler nur vermuten. „Die Winter werden milder, dadurch findet der Grünspecht selbst in der kalten Jahreszeit ausreichend Nahrung“, erklärt der LBV-Biologe Thomas Rödl. Dem Grünspecht komme offenbar die Klimaveränderung zugute. Ganz anders sah das in den 1960er Jahren aus: Wochenlange Eis- und Schneeschichten bei Temperaturen bis zu minus 20 Grad hatten die Bestände der winterempfindlichen Tiere stark einbrechen lassen.
Segenbringende Stürme
Einen ersten Umschwung brachten Rödl zufolge schwere Stürme, wie „Lothar“ (1999) oder „Kyrill“ (2007): Durch die Orkane knickten tausende Bäume um und starben ab. Damit entstand das ideale Umfeld für Spechte, die alte Wälder mit Totholz, Baumstümpfen und morschen Baumstämmen brauchen, um Nahrung zu finden und Höhlen anlegen zu können.
So erfreulich die Entwicklung des Grünspecht-Bestands ist: Mit dem Jahresvogel wollen Nabu und LBV erneut ein Naturschutzproblem zum Thema machen. Die Naturschützer sorgen sich um Streuobstwiesen. In diesen grünen Oasen fühlt sich der Vogel des Jahres besonders wohl.
Das Interesse am Obstbau sinke, weil Äpfel und Birnen im Supermarkt günstig erhältlich seien. Seit 1950 seien rund 70 Prozent der deutschen Streuobstflächen verschwunden. Sie sollten deshalb in das Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen werden, fordern Nabu und LBV.
Der Lebensraum schrumpft
Sorge bereitet den Verbänden außerdem der Anbau von Mais zur Erzeugung von Biogas. Dadurch gehe das Grünland rapide zurück. „Das alles verschlechtert die Situation des Grünspechts, so dass Bestandserholungen wie in den vergangenen Jahrzehnten in Zukunft immer schwieriger werden“, betont Nabu-Vize Helmut Opitz.
Weil der natürliche Lebensraum des Grünspechts immer kleiner werde, siedle er sich zunehmend in Städten an. Friedhöfe, Parks und Villensiedlungen seien wegen der großen, alten Bäume besonders beliebt, weiß Fachmann Thomas Rödl. „Deshalb sollten Städte und Gartenbesitzer konsequent auf Pflanzenschutzmittel verzichten.“
Nur dann könne der Grünspecht seine Lieblingsspeise weiterhin finden: Ameisen. Die flinken Insekten schnappt sich der Vogel mit seiner Zunge. Er kann sie bis zu zehn Zentimeter vorstrecken. Vogelkenner fasziniert vor allem das bunte Gefieder. Die rötliche Kappe und der wie eine schwarze Maske aussehende Bereich um die Augen hat dem Grünspecht einen weiteren Spitznamen eingebracht: fliegender Zorro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben