Der Vatikan und die soziale Frage: Wir lieben, dass der Papst die Armen liebt
Was die Faszination für Papst Franziskus’ Herz für Arme und Entrechtete über unseren weltlichen Umgang mit Armen und Entrechteten sagt.
P apst Franziskus ist gestorben und kein Mensch mit Smartphone, Zeitungsabo oder Fernsehen kam um diese Nachricht herum. Schließlich ist nicht irgendwer gestorben oder, besser gesagt, irgendein Papst, sondern ein ganz besonderer Papst: der Papst der Armen und Entrechteten, der Papst der Obdachlosen und Geflüchteten, der Papst der Gerechtigkeit.
Wenn man in den Tagen nach seinem Tod etwas über diesen Papst lernen konnte, dann genau das – oft, ohne einen Artikel zu Ende lesen zu müssen, weil diese wichtigste Erkenntnis über den Papst uns schon im Titel ansprang: „Der Papst der Armen“ stand da oder eine der vielen Variationen dieser Formulierung.
Korrespondenten, die vor der römischen Basilika Santa Maria Maggiore die Beisetzung des Papstes verfolgten, wurden nicht müde zu betonen, dass dieser der bodenständigste aller Päpste war, der per Testament eine schnörkellose Trauerfeier verordnet hatte, dass er ein großes Herz für die Ärmsten hatte, dass er Duschen für Obdachlose bereitgestellt, sie zum Friseur gebracht oder sogar in den Zirkus eingeladen hatte.
Und Geflüchteten hatte er sogar die Füße geküsst! Wer ein bisschen mehr erfahren wollte über diesen Papst Franziskus, musste in den Nachrufen erst viele Beteuerungen über dessen Armenfürsorge bewältigen. Mehr erfuhr man dann auch nur, wenn man nicht vorher schon vor Rührung in Tränen ausbrach.
Die Fürsorge des verstorbenen Papstes Franziskus für die Ärmsten der Armen nicht zu würdigen, das wäre einerseits natürlich total unangemessen. Es geht hier schließlich um den unique selling point des Pontifex, der zudem das erste nichteuropäische Oberhaupt der katholischen Kirche seit über 1.200 Jahren gewesen ist – sein zweites Alleinstellungsmerkmal, ebenso mittelbar verknüpft mit Fragen von Arm und Reich.
Populistische Ressentiments gegen Arbeitssuchende
Andererseits lohnt es sich zu fragen, warum die Würdigungen von Franziskus’ Einsatz für die Armen alles überdeckend und oft so überschwänglich formuliert wurden, dass sie teilweise schon unfreiwillig ins Lachhafte abglitten.
Dass der Papst Obdachlose zum Pizzaessen eingeladen hat, ist eine sehr schöne Sache, aber irgendwie doch auch eine komisch unpassende Anekdote, wenn sie einem von seiner Beisetzung aus berichtet wird.
Daran lässt sich die Frage anschließen, in welchem Verhältnis die euphorische mediale Begeisterung für Franziskus’ geistliches Herz für Arme zu ganz weltlichen Debatten über Armut und soziale Ungleichheit steht.
Stellen darf man diese Frage gerade in einem Land wie Deutschland, in dem die zukünftige Regierungspartei, die das C im Namen trägt und das Christliche repräsentieren soll, immer wieder das populistische Ressentiment gegen vermeintlich arbeitsunwillige Bürgergeldempfänger:innen bedient – und die Bedingungen für diese bedürftigen Menschen nun auch verschärfen möchte.
Aber vielleicht ist das alles auch einfach nur konsequent und die Fragerei deshalb lästig. Denn wie heißt es so schön beim polnischen Lyriker Stanisław Jerzy Lec: „Wer den Himmel auf Erden sucht, hat im Erdkundeunterricht geschlafen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
+++ Liveticker zur Kanzlerwahl +++
Friedrich Merz doch noch Kanzler
Diskussion um AfD-Verbot
10 Millionen WählerInnen lassen sich nicht wegzaubern
Israels Pläne für Gaza
Es hängt an Netanjahu
Bundeskanzler in spe
Friedrich und sein Naziopa
Neuer Umweltminister
Qualifikation? Egal
Fernwärme
Heizende doppelt benachteiligt