Der Vatikan im Zweiten Weltkrieg: Glückwünsche an Hitler
Der Historiker David Kertzer konnte als einer der Ersten die jahrzehntelang unter Verschluss gehaltenen Akten des Vatikans einsehen.
Pius XII. war nicht Hitlers Papst, aber er suchte den Ausgleich mit dem deutschen Diktator wie mit dem italienischen Despoten Benito Mussolini, um den Einfluss der katholischen Kirche zu bewahren. Diesen Schluss zieht der US-amerikanische Historiker David Kertzer von der Brown University in Providence, ein exzellenter Kenner des Vatikans. Für sein Buch über Pius XI. erhielt er den renommierten Pulitzerpreis.
Kertzer war einer der Ersten, der die jahrzehntelang unter Verschluss gehaltenen Akten des Vatikans für die Zeit des Zweiten Weltkriegs einsehen konnte. Erst auf großen Druck hatte Papst Franziskus im Jahr 2020 die Archive für die Amtszeit Pius XII. geöffnet.
Kertzer legt eine anschaulich geschriebene, faktenreiche Darstellung über Pius vor; ein Papst, der im Zweiten Weltkrieg vorsichtig agierte und jeden größeren Konflikt mit den damaligen Diktaturen vermied: „Er wollte die für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit mit der faschistischen Regierung Italiens beibehalten und eine Übereinkunft mit dem NS-Regime erreichen. Vor allem wollte er die Kirche schützen und damit ihre gottgegebene Mission zur Rettung der Seelen.“
Pakt mit dem Teufel
David Kertzer spricht es nicht deutlich aus, doch musste Pius XII. zum Wohl der katholischen Kirche und der Gläubigen nicht einen Pakt mit dem Teufel in Gestalt Hitlers oder Mussolinis eingehen?
Mit der Öffnung der vatikanischen Archive sind keine sensationellen Funde ans Tageslicht gekommen, aber Kertzer ist auf eine Reihe von Dokumenten gestoßen, die die lavierende Haltung des Papstes eindrücklich belegen: Zur deutschen Invasion Polens im September 1939 kam kein kritisches Wort aus dem Vatikan, auch nicht, als rund die Hälfte aller polnischen Priester in KZs verschwand.
David Kertzer: „Der Papst, der schwieg. Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler“. Aus dem Englischen von T. Gabel und M. Richter. wbg Theiss, Stuttgart 2023, 704 Seiten, 39 Euro
Als Hitler das Elser-Attentat im Münchner Bürgerbräukeller unverletzt überlebt hatte, beglückwünschte Pius den deutschen Diktator. Nie verurteilte der Papst die antijüdischen Gesetze des italienischen Faschismus.
Als aber gegen Ende des Krieges Berichte über Prostitution zwischen italienischen Frauen und US-amerikanischen Besatzungssoldaten aufkamen, beschied er den Sondergesandten des US-Präsidenten, er werde nicht erlauben, dass Rom „zur Lasterhöhle für alliierte Offiziere“ werde.
Deportation von Roms Juden
Ein gleichermaßen energisches Auftreten ließ der Papst vermissen, als im Herbst 1943 die Deportation der Juden Roms bevorstand. Pius setzte sich für die getauften Juden ein, 250 kamen tatsächlich frei, über 1.000 Juden wurden jedoch ohne Widerspruch aus dem Vatikan nach Auschwitz deportiert.
Aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs ging die Vatikanstadt nahezu unversehrt hervor, und auch die katholische Kirche als Institution blieb unangetastet. Moralisch aber hatte der Vatikan versagt, so das Fazit David Kertzers in einer vorzüglichen, mit Gewinn zu lesenden Darstellung.
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