Der Umfaller

■ Kohls neuer Wahlkampfberater heißt Hans-Hermann Tiedje. Als „Bild“-Chef legte er den Kanzler auf den Rücken und stellte ihn als Steuerlügner bloß. Schlagzeile am 27. 2. 1991: „Der Umfaller“. Kohl sann auf Rache. Dem Vernehmen nach soll Tiedje später auf Intervention des Kanzleramts gefeuert worden sein. Jetzt will Kohl dessen Fähigkeiten für sich nutzen.

Wen, bitte, wollen Sie sprechen?“ Die Telefonistin in der Bonner CDU-Zentrale ist verwirrt. „Einen Herrn Tiedje haben wir hier nicht.“ Doch, der neue Wahlkampfberater der Union hat im Konrad-Adenauer-Haus bestimmt einen Schreibtisch. Wie sich schließlich herausstellt, wird der gerade aufgestellt. Seine künftige Mitarbeiterin ist auch noch nicht so recht im Bild. Sie kenne Herrn Tiedje bisher noch gar nicht. „Wir rätseln hier alle. Eigentlich sollte er schon gestern hierherkommen, aber noch ist er nicht da. Vielleicht im Kanzleramt?“

Daß der 49jährige Medienprofi eines Tages bei Helmut Kohl ein und aus gehen würde, hätte noch vor kurzer Zeit für undenkbar gegolten. Das Verhältnis der beiden schien unwiderruflich zerstört. Über wenig hat sich der Bundeskanzler jemals so sehr geärgert wie über die Titelseite der Bild-Zeitung am 27. Februar 1991. Sie zeigte den Regierungschef liegend. Überschrift: Der Umfaller. Anlaß für die harsche Kritik des Massenblatts waren massive Steuererhöhungen, die die Regierung im Widerspruch zu ihren Versprechungen während des Wahlkampfs beschlossen hatte. Bild-Chefredakteur war damals Hans-Hermann Tiedje. Dem Vernehmen nach soll der Kanzler beim Springer-Aufsichtsrat sogar persönlich auf dessen Entlassung gedrungen haben.

Jetzt hat Kohl selbst dem Mann mit dem Rambo-Image einen neuen Job verschafft. Der Wechsel im Amt des Regierungssprechers gerät darüber fast in den Hintergrund. Dabei müssen beide Entscheidungen in engem Zusammenhang gesehen werden – die eine soll nach außen, die andere nach innen wirken.

Der CDU-Abgeordnete Otto Hauser, der den glücklosen Peter Hausmann (CSU) ablöst, ist in der Öffentlichkeit weithin unbekannt. In der Fraktion jedoch genießt der Sprecher aller CDU-Landesgruppen hohes Ansehen. Noch immer gärt es in der Union. Viele Abgeordnete müssen um ihre Listenplätze bangen. Für das schlechte Image der Partei war hinter kaum noch vorgehaltener Hand immer öfter der bisherige Regierungssprecher verantwortlich gemacht worden. „Früher hat man den Boten erschlagen. Insofern ist der humanitäre Fortschritt meßbar“, spottete SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping über Hausmanns Entlassung.

Otto Hauser gilt als redegewandt und telegen. Sein Verhältnis zu Fraktionschef Wolfgang Schäuble wird von Insidern als nicht besonders herzlich beschrieben. Dafür vertraut der neue Regierungssprecher auf seinen guten Draht zu Kohl: „Die Chemie stimmt zwischen uns beiden“, erklärte er gestern in Bonn. Hinterbänkler hoffen nun, er werde die Politik der Union so darzustellen vermögen, daß sich ihre Anhänger davon mobilisieren lassen. Aber Hauser wird innerhalb des konservativen Lagers dem rechten Rand des Spektrums zugeordnet. Wechselwähler zu gewinnen ist seine Stärke nicht.

Das soll jetzt Hans-Hermann Tiedje schaffen. SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder führt keinen inhaltlich bestimmten Wahlkampf. Er appelliert vor allem ans Gefühl: an den Wunsch der Bevölkerung nach einem Wechsel. Mit Gefühlen kennt der ehemalige Chefredakteur der Bild-Zeitung sich aus. Ob Holzhammer oder schleichende Suggestion – Tiedje beherrscht die gesamte Klaviatur.

Helmut Kohl hat mit seiner Entscheidung den Beweis dafür geliefert, daß er seinen Instinkt für Macht noch nicht verloren hat. Schon lange hatten seine Anhänger auf einen spektakulären Schritt von ihm gewartet, der für Tatkraft und Entschlußfreudigkeit spricht. Jetzt hat der Kanzler endlich wieder einmal für eine wirkliche Überraschung gesorgt. Dafür nimmt er auch in Kauf, daß ein Wechsel im Amt des Regierungssprechers vier Monate vor den Wahlen dem öffentlichen Eingeständnis gleichkommt, bergauf kämpfen zu müssen. Angesichts der schlechten Umfragewerte läßt sich da ohnehin nicht viel beschönigen.

Spätestens jetzt steht fest, daß der Wahlkampf hart und auch schmutzig werden wird. Tiedje und Hauser sind Männer, die ihre Karrieren der Fähigkeit zur Polarisierung verdanken. CDU-Generalsekretär Peter Hintze bekommt für seinen Kurs Verstärkung, auch wenn er als Person an Gewicht verloren hat. Zwar sei er formal noch im Amt, aber ihm sei „die Kompetenz für die Wahlkampfführung aus der Hand genommen“ worden, kommentierte SPD-Geschäftsführer Franz Müntefering.

Helmut Kohl ist ein Überraschungscoup gelungen. Ob daraus ein Befreiungsschlag werden kann, ist fraglich. Daß die Nachricht von den überhöhten Strahlenwerten bei Castor-Transporten binnen weniger Tage zu einem Skandal geworden ist, der die Umweltministerin um ihr Amt bringen kann, zeugt von mehr als nur von der Furcht vor unbeherrschbaren Risiken der Kernenergie. Die öffentliche Reaktion spiegelt die immer weiter verbreitete Sorge wider, daß die Regierung die Lage ganz allgemein nicht mehr im Griff hat und notwendige Regelkreise der Kontrolle versagen. Vor diesem Hintergrund mag eine reine Medienoffensive, die nicht mit neuen inhaltlichen Ideen einhergeht, bei der Bevölkerung mehr Ärger als Begeisterung auslösen.

Viel Zeit bleibt den neuen Köpfen, die die Trendwende herbeiführen sollen, auch nach Einschätzung des eigenen Lagers nicht mehr. „Der Meinungsumschwung muß bis zum Beginn der Sommerpause geschafft werden“, meint ein CDU-Abgeordneter. „Sonst wird es schwer.“ Bettina Gaus, Bonn