Der Streit um den Mietendeckel ist faul: Je weniger Zweifel, desto schlechter
Beim Streit um den Mietendeckel gehts um das bessere System. Das wäre ok, gingen dabei nicht alle Zweifel am eigenen Richtigsein flöten.
D ie Städte sind kaputt. Das hab ich oft gedacht, als in dieser Woche die Fetzen flogen wegen des Mietendeckels. Digitale Fetzen natürlich, denn wo begegnen Menschen sich schon noch, um zu streiten, außer auf Twitter? Keine Sorge, ich will hier nichts gegen das Internet sagen, ich bin bekennender Fan seit 1999, oder wann immer das war, als ich rausfand, dass man da prima von den Eltern unbelauscht mit der Welt draußen kommunizieren konnte. Man kann im Netz natürlich auch viel Vertrautes lesen, Filterbubbles sei Dank. Das kann angenehm sein, aber auch bizarr langweilig werden, wenn die Blasen zu feinporigem Schaum werden: je dichter, desto schlechter die Sicht.
In den Städten ist es ähnlich, je mehr Menschen hinziehen, desto feiner sortieren sich die Grüppchen der Gleichen. Dabei ist das Dach überm Kopf so ziemlich das letzte Haptische, was der Mensch noch braucht. Der meiste andere Kram, inklusive menschlicher Wärme, fände sich theoretisch digital. Warum also der ganze fuss um bezahlbaren Wohnraum in den Innenstädten? Ist es nicht eigentlich wurscht, wenn ein paar Superreiche da unter sich wohnen und der Rest von uns aus ihren Butzen in Britz und Blankenfelde am – ohnehin digitalen – öffentlichen Leben teilnimmt?
Es ist nicht wurscht, klar. Wohnraum ist halt mehr als das Dach über Kopf, es ist auch das, was um die eigene Butze so drumherum ist. Die Stadt ist da schon immer noch das Ideal. Weil sie Aufregung, Abenteuer und Amüsement verheißt und ab und an auch liefert. Warum strömen die Menschen denn in Scharen in die Metropolen, wenn nicht, um den immer selben Nasen in ihrem oberhessischen oder ostanatolischen oder nordkatalanischen Dorf zu entfliehen und mal was anderes zu sehen, zu hören, zu riechen? Ja, ja, der billigen Mieten wegen – die es schon lange in keiner Metropole mehr gibt. Der Jobs wegen – als ob sich die meisten unserer Bullshit-Jobs im 21. Jahrhundert nicht prima von einer Strandhütte in Bali aus erledigen lassen würden. Auch diese Kolumne braucht kein Büro.
In Wahrheit ist es die Lust am Unterschied, denke ich. Städte sind Orte, wo Menschen ihn feiern. Theoretisch. Allzu viel davon will dann doch kaum einer, scheint es mir. Während die einen unter sich bleiben, weil sie die Einzigen sind, die sich bestimmte Gegenden leisten können, bleiben die anderen zumindest ideell gern unter sich. Wenn man sich schon so viel Mühe macht, das richtige, das gute Leben zu leben, soll bitte keiner mit einem anderen Konzept vom guten Leben stören. (Bevor es jetzt wieder zu Missverständnissen kommt: Mit Unterschiede feiern meine ich nicht, mit Rechten zu reden oder Menschenverachtung gleichmütig hinzunehmen.) Aber was gerade um den Mietendeckel wütet, ist ein kalter Krieg im urbanen Biotop. Entweder du bist für Eigentum oder für Enteignung. Individualismus gegen Kollektivierung, Kapitalismus gegen Kommunismus. Drunter wird gerade nicht geschossen.
Ich hab nichts dagegen, über das bessere System zu diskutieren – oder vielleicht sogar über eines, das tatsächlich gut wäre. Aber ich finde es menschlich und intellektuell ermattend, wenn schon im Biotop derer, die auszogen, den Unterschied zu feiern, jetzt peinlich zwischen Freund und Feind unterschieden wird. Wenn Leute als Großkapitalisten gedisst werden, die eine Eigentumswohnung besitzen. Sorry, das Leben ist nicht gerecht. Weder im Kapitalismus noch im Sozialismus. Selbst wenn alle zur Einheitsmiete wohnen (und ja, Wohnen ist ein Menschenrecht, finde ich ja auch): Es gibt immer einen Nachbarn, der ein größeres Auto, mehr Sexualpartner, schönere Haare hat. Kann man sich drüber ärgern (dann wird’s mit den Sexualpartnern noch schwieriger), oder man geht raus und amüsiert sich.
Das ist eigentlich immer die beste Lösung, und klar: Deshalb wohne auch ich lieber in der Innenstadt, da, wo die Straßen von Platanen gesäumt sind und die Luft nach Lindenblüten duftet. Wo ich zum Club laufen kann und es zum besten Falafel auch nachts um 3 nur zehn Minuten sind. Wo ich in der Kneipe an der Ecke schöne und gebildete Menschen treffen, mit denen ich über den Feminismus in der Netflixserie „Fleabag“ oder die letzte René-Pollesch-Inszenierung diskutieren kann.
Sprich: Wo ich vor allem mich selbst feiern kann. Weil ich natürlich nach Feierabend auch lieber höre, dass ich nicht ganz falsch liege mit meinem Leben. Eine Runde Bestätigung, bitte. Wenn ich in der Kneipe niemanden finde, der einen ausgibt, kann ich im Netz gucken. Da gibt’s immer einen mit meiner Meinung. Das Problem ist nur: je mehr Bestätigung, desto weniger Zweifel. Je weniger Zweifel, denke ich gerade mal wieder, desto schlechter die Gesellschaft.
Der Mietendeckel mag für die einen mehr Gerechtigkeit schaffen. Mehr Zweifel am eigenen Richtigliegen bei uns allen schafft er gerade nicht.
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