Der Rotary Club Berlin wird 90: Im Adlon speisen, in Nepal operieren
Wohlhabend, mit Vorliebe umgeben von ihresgleichen, wohltätig: Die Rotarier pflegen ein ganz besonders Selbstverständnis. Ein Vor-Ort-Besuch.
Die Gesprächsthemen sind Programm: Von Karajan und Adorno ist um mich herum die Rede, von allgemeiner Hysterie in der Welt, Opernbesuchen und diversen Vorsitzen, die man innehat. Beim wöchentlichen Treffen des Rotary Clubs Berlin am 6. März 2019 im Adlon beweist man sich, was man eigentlich längst nicht mehr beweisen muss. Am 11. März 2019 wird die Gemeinschaft 90 Jahre alt.
Als Hilfestellung für jene, die nicht jeden kennen, gibt es kleine Schildchen, die die mehrheitlich ergrauten Mitglieder am Anzug tragen. „Watzel. Musik: Kontrabass“, steht dort zum Beispiel. Die Profession ist entscheidendes Merkmal für Rotarier. Außer Kontrabassist Rudolf Watzel sitzen weitere einflussreiche Menschen am Tisch: Hans Gerhard Hannesen, langjähriger Präsidialsekretär der Akademie der Künste. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder. Dr. Otto Lampe, ehemaliger deutsche Botschafter in der Schweiz.
Nicht ganz 50 Mitglieder sind zusammengekommen beim letzten Treffen vor dem Jubiläum des Charters, wie die Vereine bei Rotary heißen. Beim Ikarimi-Lachs mit Sternanis und Reis werden Nettigkeiten ausgetauscht. „Journalisten dürfen hier gratis essen“, merkt Lampe großzügig an. Für wen ich eigentlich schreibe, werde ich von einem auch für Rotarierverhältnisse älteren Herrn gefragt, während um uns Hochkultur und Weltpolitik diskutiert werden. Netzwerken nennt man das.
Ich erfahre von Vorstandsmitglied Lampe von den sozialen Projekten, die sein Verein unterstützt. Während die Dachorganisation sich unter anderem dem Kampf gegen Polio verschrieben hat, würden sich die Berliner in Nepal, wo zwei Mitglieder vier Wochen im Jahr bei Operationen in einer Klinik helfen, oder in Mosambik für Waisenkinder engagieren. Ermöglicht werde dieses soziale Engagement durch eine eigene Stiftung, die natürlich ausgegliedert sei, wie er anmerkt. Aus steuerlichen Gründen.
Erzählungen aus der privilegierten Welt
Es geht beim Treffen allerdings nicht so sehr um Wohltätigkeit. Nach dem Essen stehen drei Wortbeiträge auf der Tagesordnung. Auch hier gilt: Man erzählt aus der privilegierten Welt, in der man sich bewegt, und beweist so, dass man Teil dieser Welt ist. Philharmoniker Watzel spricht über das komplizierte Verhältnis von Dirigent und Musikern. Kulturkenner Markus Hilgert weist auf Kunstausstellungen hin, an denen er beteiligt ist.
Der Rotary Club Berlin wurde am 13. Februar 1929 gegründet und war damit nach dem Hamburger der zweite in Deutschland. Am 11. März 1929 erhielt der Verein von Rotary International die Charterurkunde. Mit 180 Mitgliedern ist er heute der größte Rotary Club in Deutschland. Gerhard Jochum ist der aktuelle Präsident.
Der erste Rotary Club wurde 1905 in Chicago (USA) gegründet. Heute sind weltweit rund 1,2 Millionen Menschen Mitglied in den lokalen Vereinen, in Deutschland sind es über 50.000 in über 1.000 Chartern. Ziel von Rotary ist nach eigenen Angaben, persönliche Geld- und soziale Ressourcen aufzuwenden, um Menschen zu helfen. Jedoch sieht sich der Verein immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, in erster Linie eine Selbsthilfegruppe für Wohlhabende zu sein. (ytk)
Letzter Redner ist Vereinspräsident Gerhard Jochum. Und es verwundert dann doch wenig, dass es in seinem Vortrag zur Energiewende um die ökonomischen Kosten geht. Man hätte der Marktlogik folgen müssen, sagt Jochum. Einige seiner „Freunde“ nicken bekräftigend. Zwei sind kurz vorm Einnicken. Die Mitglieder nennen sich konsequent „Freunde“. „Freundinnen“ gibt es nur wenige, obwohl sie seit 30 Jahren erlaubt sind bei den Berliner Rotariern.
Jochum versucht, den Frauenmangel (von 180 Mitgliedern sind nur 25 Frauen) zu erklären. Es gäbe viele Mitglieder, die Rotary als reinen Herrenclub verstünden. Der Leitsatz, im Club nur eine Person jeder Profession zuzulassen, spiele ihnen in die Karten – die meisten Professionen sind bereits durch Männer vertreten. Bedeutende Charter lassen keine Frauen zu, etwa in Hamburg. In Berlin arbeiten sie daran, mehr Frauen aufzunehmen, doch das gestaltet sich schwierig.
Das liegt vielleicht auch daran, dass Rotarier nur wird, wer von Mitgliedern vorgeschlagen wird. Deshalb wird Rotary immer wieder vorgeworfen, vornehmlich der gegenseitigen Hilfeleistung seiner gut situierten Mitglieder zu dienen. Dabei strebe Rotary an, ein Abbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu sein, versichert der Berliner Präsident. Aber es gehe eben auch darum, sich für die Ziele von Rotary wirklich einbringen zu können. Fehlt das finanzielle und kulturelle Kapital, wird das schwierig. Gleichzeitig fragt sich Jochum, ob sein Verein wirklich genug macht aus den Möglichkeiten, die er hat.
Festakt im Vereinslokal im Hotel Adlon
Ihr Jubiläum begehen die Berliner Rotarier am Montag mit einem Festakt, natürlich im Vereinslokal Adlon. Ranghohe Rotarier kommen dann zu Besuch, man will mit zwei Professoren über Vergangenheit und Zukunft des Helfens sprechen und Nachwuchsmusikern der Berliner Philharmoniker lauschen.
Doch 90 Jahre alt zu werden, bedeutet nicht, dass der Rotary Club Berlin wirklich 90 Jahre existiert: 1937 wurde die Organisation im Deutschen Reich verboten, weil viele Charter zwar nicht Widerstand leisteten, aber doch nur beschränkt mit den Nazis kooperierten. Das älteste Berliner Charter wurde 1951 wiedergegründet.
Das Selbstverständnis der Rotarier ist allgegenwärtig: „Wir lesen ja alle unser Feuilleton“, sagt Jochum über die Kunstausstellungen, die „Freund“ Hilgert vorgestellt hat. Hier sitzt, wer sich als kulturelle Elite betrachtet, im Rotary Club Berlin ganz besonders. Alle Charter, die nach ihm kamen, müssen einen Stadtteil an ihren Namen anfügen. Manche Mitglieder, sagt Jochum, sähen die Bindestrich-Clubs als „zweite Liga“. Und das Fazit des Vortrags über die Energiewende lautet, irgendwie widersprüchlich zum Vereinsmotto: „Partizipation ersetzt nicht Leadership“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite