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Der Osdorfer Born wird 50Platte un Blomen

In Hamburgs Westen liegt die älteste Plattenbausiedlung. Als Mittel gegen Wohnungsnot konzipiert, zeigten sich schnell Probleme, mit denen Menschen noch heute kämpfen.

Die Meiers betrachten den Osdorfer Born als ihre Heimat. Und sie kämpfen dafür Foto: Phillip Steffens

HAMBURG taz | Kurz vor der Grenze zu Schleswig-Holstein zeigt Hamburg ein Bild, das im starken Kontrast zur sonst touristisch gut vermarkteten Hafenromantik steht. Es ist ein Bild, das mehr an den Ruhrpott als Norddeutschland erinnert. Fährt man die Luruper Hauptstraße gen Westen, werden die Häuser kleiner und die Gärten zahlreicher – bis am Horizont die Hochhäuser am Osdorfer Born auftauchen.

Die Siedlung wurde in den Sechzigern geplant, die ersten Wohnungen waren 1968 bezugsbereit. Damals kämpfte Hamburg gegen einen starken Wohnungsmangel, die Opfer der Flutkatastrophe von 1962 benötigten Wohnraum, der Ausbau der A7 verdrängte ebenfalls Menschen aus ihren Häusern.

Mit der Plattenbau-Großsiedlung wurde ein damals modernes Konzept verfolgt. Die sogenannten Häuserbänder sollten ein gemeinsames Zentrum bilden, das heutige „Born Center“. Ein komplettes Quartier für 15.000 Menschen war geplant, mit Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Ärzten, Freizeitangebot und Anbindung an die Innenstadt. Es war ein Modell, das in den Sechzigern zukunftsreich aussah.

Es gibt viel Grün um die Plattenbauten, der Verkehr ist vergleichsweise ruhig. Im Bornpark gehen Menschen mit ihren Hunden spazieren, bei gutem Wetter entspannen sie am nahegelegenen Helmuth-Schack-See. Im Vergleich zur Großstadthektik der Hamburger Szeneviertel wirkt das Quartier ganz im Westen wie ein Idyll.

Die Wohnungen waren für die Verhältnisse in den Sechzigern und Siebzigern luxuriös: Sie waren mit drei bis vier Zimmern ausgelegt, es gab fließend Warmwasser und ein Badezimmer in jeder Wohnung. In den heute so heiß begehrten zentrumsnahen Altbauten war das damals nicht der Fall, dort gab es noch Etagenklos und warmes Wasser kam nicht selten aus einer Kanne vom Herd. „Die Menschen, die hierher zogen, fanden was den Wohnraum betrifft, etwas Wunderbares vor. Sie hatten alles in ihren eigenen vier Wänden, sie waren privilegiert dadurch, obwohl sie abseits wohnten“, sagt Bernd Meier.

Meier zog mit seiner Frau Maria Meier-Hjertqvist 1978 von Eimsbüttel an den Born. Seit knapp vierzig Jahren ist die Siedlung ihr Zuhause. Die beiden 68-Jährigen sitzen zusammen in einem größeren Saal im Bürgerhaus an der Bornheide. Hier trifft sich auch die Borner Runde regelmäßig, eine Bürgervertretung der Anwohner. Maria Meier-Hjertqvist ist Sprecherin der Initiative, die sich für die Belange der Bewohner einsetzt. Wenn das Ehepaar über den Osdorfer Born spricht, schwingt immer etwas Begeisterung mit, selbst wenn sie über Probleme berichten. Und von denen gibt es leider genug am Born.

Ein Mittag im Juli. Vor dem Haupteingang des Born Centers taumeln zwei Betrunkene. Eine Mutter schreit ihren ungefähr achtjährigen Sohn an, drei weitere Kinder stehen nebendran und schauen stumm zu. Das Baby im Kinderwagen der Frau schläft. Neben dem Eingang des Centers ist eine der zwei Dönerbuden am Born. Beide heißen gleich, eine wirkt wie eine Kneipe mit drehendem Fleischspieß, die andere wie ein Dönerladen mit Kneipe. Vor beiden sitzen Menschen und trinken.

Die Szene entspricht genau dem Bild, das viele HamburgerInnen vom Osdorfer Born und seinen knapp 11.000 Bewohnern haben. Der Stadtteil wird als sozialer Brennpunkt stigmatisiert und einzelne Meldungen aus dem Leben der Osdorfer verstärken die gefestigte Meinung, dass der Stadtteil asozial sei. Von Anfang an hatte es die Siedlung schwer: Das markanteste Hochhaus am Achtern Born bekam den Namen „Affenfelsen“, das komplette Quartier wurde sarkastisch als Klein-Chicago bezeichnet.

Redet man aber mit den Anwohnern, stellt man schnell fest, dass der Born einen besonderen Charme ausübt. Vor zehn Jahren waren ungefähr ein Drittel der Bewohner Erstmieter in ihren Wohnungen, sie zogen nie weg, erzählt Meier-Hjertqvist. „Es sind viele, die seit fünfzig Jahren hier wohnen“, sagt sie. Die Nachbarschaft sei stark, die am Born Aktiven würden sich gut kennen. Es gibt Angebote für Familien, die Versorgung mit Kita- und Schulplätzen funktioniert. „Der Osdorfer Born ist ein Dorf“, fügt Bernd Meier hinzu. Es sei unglaublich, wie sehr die Menschen hier aufeinander achteten.

Dass so viele nie weggingen, liegt natürlich nicht nur an der ruhigen Lage und der guten Nachbarschaft. Meier stellt selbst klar, dass es am Born einen hohen Anteil an Menschen gibt, die auf Arbeitslosengeld angewiesen sind. Das städtische Wohnungsunternehmen Saga GWG bietet ihnen am Born günstige Wohnungen, die Kaltmiete liegt bei ungefähr sechs Euro pro Quadratmeter, erzählt er. Am Born sammeln sich so Menschen, die sich das Wohnen in anderen Stadtteilen in Hamburg nicht leisten können.

Dabei stand der Osdorfer Born in den Sechziger und Siebziger Jahren für den Aufbruch. Moderne Wohnungen in einer ruhigen Lage sollten Menschen aus unterschiedlichsten Schichten locken. Es gab eine Durchmischungsquote, die sicherstellen sollte, dass Unter- und Mittelschicht sich hier begegneten. Dann kam 1990 die Fehlbelegungsabgabe und brach dem Born das Genick, wie es Meier-Hjertqvist formuliert.

Die Fehlbelegungsabgabe war eine der vielen Fehler des Stadtmanagements. Sie sorgte für höhere Mieten bei den Bewohnern, die eigentlich keine Sozialwohnung brauchten, weil sie gut genug verdienten. Vor die Wahl gestellt, entschieden sich viele Besserverdiener für das Wegziehen vom Born, anstatt höhere Mieten zu akzeptieren. Das Resultat ist, dass am Born nun besonders viele Menschen in finanziell prekärer Lage leben.

Hinzu kommt, dass der Born ein städteplanerischer Versuch war, der in der Zeit nach den Sechzigern nicht mehr weiterentwickelt wurde. Heute scherzen vor allem die Älteren über die fehlende U-Bahn-Anbindung, die ihnen seit den frühen Siebzigern versprochen wurde. Die SPD warb mit einem Baustart der U4 im Jahr 1976, mittlerweile könnte es die U5 werden, die aber nicht vor 2021 gebaut wird – und dann zuerst im Hamburger Osten. Der Westen könnte noch Jahrzehnte auf die Anbindung warten.

„Wir werden damit wohl nicht mehr fahren“, sagt Bernd Meier mit einem Unterton der Resignation. „Eine der Lehren aus dem Bau des Osdorfer Borns ist, dass man die Infrastruktur nicht vernachlässigen darf. Wenn ich heute die HafenCity sehe, wo erst die S-Bahn- und U-Bahn-Anbindung gebaut wird und die Häuser später kommen, ist das ein Zeichen, dass die Stadtplaner eingesehen haben, dass man die Dinge nicht von hinten angehen kann.“

In unmittelbarer Nähe zum Born Center, auf der gegenüberliegenden Seite der Straße Bornheide, die das Quartier scharf durchschneidet, ist ein kleiner Skaterpark und Spielplatz. Hier sitzt Sandra mit einer Freundin auf einer Bank. Die Mitte-40-Jährige passt auf ihren Enkel auf, der spielt. Sie berichtet von den Missständen am Born: Es gebe gefährliche Plätze, es sei zu dreckig und es fehle an Unterhaltung.

Ein paar Meter weiter, an einem Fußweg, der die Straßen Bornheide und Immenbusch verbindet, sitzen ein paar Alte und spielen Karten. Sie haben sich am Mittag getroffen und spielen bis zum frühen Abend. Sie berichten, dass der Born ein aktives, lebendiges Viertel sei.

Es ist ungefähr 22 Uhr, zwischen Basketballplatz und den Parkbänken und -tischen, an denen die Alten vorher Karten gespielt haben, stehen sechs junge Männer etwas abseits hinter Hecken und kiffen. Sie sind zwischen 18 und Mitte 20, einer von ihnen wird direkt aggressiv und ruft laut: „Verpiss dich, hau ab!“ Ein Freund hält ihn zurück, angesprochen, wie er es hier am Born findet, antwortet er, dass es ein schöner Stadtteil sei, er sei gut für Familien.

Die Jüngeren sind frustriert, dass sie immer und immer wieder übersehen werden. Ein Freizeitangebot für Jugendliche ist quasi nicht vorhanden, in die Stadt kommt man schlecht. Sie sehen, dass seit Jahrzehnten wichtige Investitionen nicht an den Osdorfer Born gehen, aber andere Stadtteile von Zuwendungen profitieren.

Den einen Osdorfer Born gibt es nicht, wie man das Viertel erlebt, hängt von der eigenen Lage ab, vor allem aber davon, welcher Generation man angehört. Für die langjährigen Bewohner repräsentiert der Born noch immer die Hoffnung auf ein Leben in einem modernen Stadtteil. Dafür setzen sie sich ein, dafür machen sie mit der Borner Runde auf sich aufmerksam, streiten für Investitionen: eine bessere Busanbindung, eine Renovierung der maroden Geschwister-Scholl-Schule.

Ich glaube, die rechnen nicht damit, dass es hier Widerstand gibt“, sagt Maria Meier-Hjertqvist, angesprochen auf den Umgang der Stadtplaner mit ihrem Viertel. Der Osdorfer Born wurde gerne übersehen. Aber aufgegeben hat er nie.

Lesen Sie mehr Geschichten über die Hochhaussiedlungen in der taz-Nord Ausgabe der taz.am wochenende oder hier.

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich war beruflich öfters in der Gegend unterwegs und eingebunden und kann die vielen Vorurteile gegen den Osdorfer Born daher auch nicht teilen, manche ein wenig, aber nicht so einseitig. Ich habe oft beobachtet, dass die Menschen dort sehr gut miteinander im Alltag umgehen, mehr, als im trendigen Ottensen oder St. Pauli, das hat mich schon beeindruckt.

  • In Gebieten wie dem Osdorfer Born kann man wie unter einer Lupe erkennen, was der Zukunft im Weg steht, die es noch Mitte der 1970-er Jahre gab. Die Schöpfer dieser Gebiete (Architekten, Ingenieure, Bauarbeiter, Geldgeber etc.) haben sie auf Geheiß sogenannter „Entscheidungsträger“ auf der grünen Wiese abgestellt und anschließend vergessen. Ihren Job hatten sie gemacht, ihren Auftrag erfüllt. Mehr wollten sie nicht.

     

    Dienst nach Vorschrift, nennt man so etwas. Inzwischen sind die Vorschriften andere. Inzwischen entscheiden wieder verstärkt Geld und Einfluss über Dringlichkeiten. Auch in Hamburg. Gerade da. Die Bewohner von Plattenbauten haben weder das eine noch das andere. Aber sie sind immer noch Menschen. Menschen, die sofort neue, weitergehende Bedürfnisse entwickeln, wenn ihre alten, grundlegenden befriedigt sind.

     

    Wer ein Dach über dem Kopf und warmes Wasser aus der Wand hat, der will als nächstes eine ordentliche Schule, einen Kindergarten und einen Klub. Er will Gastronomie, einen Verkehrsanschluss und gepflegtes Grün. All das können die Bewohner von Plattenbaugebieten nicht selbst schaffen. Die Großstruktur erlaubt es einfach nicht.

     

    Als Bewohner einer Großsiedlung ist man auf die permanente Aufmerksamkeit anderer angewiesen. Wenn man nicht wahrgenommen wird, weil diese Anderen nur auf „Ansagen“ reagieren, die man nicht – und nach Entscheidungen wie der Fehlbelegungsabgabe schon zweimal nicht – machen kann (Geld, Einfluss), hat man verloren. Dann war’s das mit der Zukunft. Dann kommt die Entwicklung zum Stehen. Bestenfalls.

     

    Nein, auch „die Stadtplaner“ haben längst noch nicht „eingesehen […], dass man die Dinge nicht von hinten angehen kann“. Städte brauchen nicht nur „klare Ansagen von oben“ und eine technische Infrastruktur. Sie brauchen auch „das Soziale“, das uns Menschen ausmacht. Vor allem aber brauchen sie Vernunft und Verantwortungsgefühl. Und daran hapert es noch immer ganz gewaltig. Nur Überheblichkeit ist leider immer noch genug.