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Foto: Miguel Ferraz

Der Newsroom von morgenAlles neu im Alten Land

Das „Stader Tageblatt“ will seinen Lokaljournalismus ins Digitale überführen. Machen soll das der neue Chefredakteur Arno Schupp.

A rno Schupp strahlt Energie aus, Wachheit, Fokussierung. „Das hier wird der neue Konferenz­raum!“, sagt er, und deutet in die Runde. Er sagt das mit Nachdruck, so als wäre es ein Statement. Der Raum ist groß und wirkt noch sehr verlassen. Früher saß hier Wolfgang Stephan, Schupps Vorgänger als Chefredakteur des Stader Tageblatts. Aber: „So viel Platz brauch’ ich nicht!“, sagt Schupp, seit gut zwei Monaten im Amt. „Ich nehm’ den kleinen Raum hier drüben. Reicht völlig.“ Eine symbolische Handlung, die zeigen soll: Schluss mit der Vergangenheit. Haken dran. Ende.

Arno Schupp möchte rüberkommen wie ein Macher. Die Rolle hat er auch drauf. Und er möchte rüberkommen wie ein Gleicher unter Gleichen – daran muss er noch feilen

„Wir sind mitten im Transformationsprozess!“, sagt Schupp – „Macht irre Spaß!“ Seine Kleidung ist lässig, die Wortwahl pointiert und ironisch, seine Gestik sparsam und spontan. Er möchte rüberkommen wie ein Macher. Die Rolle hat er auch drauf. Und er möchte rüberkommen wie ein Gleicher unter Gleichen – daran muss er noch feilen. Sein Blick hat was von einem ungeduldigen, ehrgeizigen Feldherrn, der in die Schlacht stürmt, seinen Truppen voraus. Der darauf hofft, dass ihm auch jemand folgt.

Es ist kurz nach 13 Uhr und die Tischgruppen der verschachtelten, etwas düsteren Redaktion sind verwaist, die Monitore abgeschaltet: Homeoffice, wir leben in Pandemiezeiten. Aber Lars Strüning ist da, einer von Schupps Stellvertretern. Heute hat er Tante Käthe dabei, eine Mischung aus Pudel und Labrador. Die kriegt ein paar Augenblicke lang die volle Aufmerksamkeit.

Schupp sagt, er habe Erfahrung in Kampfsport. Man kann sich das vorstellen: Er scannt seine Umgebung, füllt sie aus und kontrolliert sie. Bevor er nach Stade in der Nähe von Hamburg kam, war Schupp Lokal- und Homepage-Chef der Berliner Zeitung. Er sieht sich als Veränderer, als Wegbereiter. Er sagt Sachen wie: „Ich bin hier, um dem Blatt eine neue Strategie zu geben, es ins digitale Zeitalter zu führen.“ Er will seinem 30-köpfigen Redaktionsteam zeigen, wie er sich einen Lokaljournalismus vorstellt, der auch im Online-Geschäft besteht. Dafür hat er Schulungen angesetzt.

Was das konkret heißen könnte: Fotos, auf denen sich Leute aufreihen und frontal in die Kamera lächeln, findet er gruselig. Texte, die nur Kleinräumiges beschreiben, ohne Perspektive aufs Über­regionale, aufs Großthema, auch.

Redaktion im Umbruch: Sitz des Stader Tageblatts Foto: Miguel Ferraz

Und den „Workflow“ will Schupp ändern, die Technik. In dem, was mal der neue Konferenzraum werden soll, fallen Worte wie „Medienwand“ und „Kamera, webfähig“. Das klingt hip und trendy, steht aber noch in starkem Kontrast zur Gegenwart hier. Schlechter ist die nicht unbedingt, nur anders.

Schupps Zukunftsvision bedeutet nicht nur viel Arbeit, sie kostet auch ziemlich viel Geld. Aber das ist da, offenbar. „Coole Typen“, sagt Schupp über seine Verleger. „Die haben hier echt was vor.“ Auch seine „Mannschaft“ lobt er für ihre Bereitschaft, sich auf neue Ideen einzulassen: „Die haben total schnell antizipiert, was ich hier umsetzen will.“

Haben sie? Die Ausgabe von heute Morgen atmet jedenfalls noch stark den Geist von früher. Gelesen wird sie trotzdem. Zum Beispiel so: Draußen stehen drei Tageblatt-Drucker in der Pause auf der Heberampe vertieft in ihre eigene Zeitung. Ob sie wissen, wie Schupp sich das Neue denkt? Oder dass er unter Erfolgsdruck steht, weil sich das alles natürlich irgendwann auch rechnen muss?

Und Schupp muss hohen Ansprüchen genügen, immerhin leitet er hier eine Traditionszeitung: 150 Jahre alt ist das Stader Tageblatt. In der Jubiläumsausgabe bestätigte Vorgänger Wolfgang Stephan, nach zwei Jahrzehnten bei dieser „großartigen Zeitung“, dass Schupp in die richtige Richtung marschiere: Das Blatt, sagt er, „wendet sich im wahrsten Sinne des Wortes“. Der gedruckten Zeitung werde nur noch eine begrenzte Haltbarkeit unterstellt, weil den digitalen Nachrichten „die Zukunft gehört.“

„Derbe schön hier“: Arno Schupp lernt sein neues Umfeld kennen Foto: Miguel Ferraz

Journalismus ist im Wandel, die Zeitungshäuser auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen. Das gilt auch für Stade. Und Schupp ist hier nun der Mann, der es richten soll. Es geht darum, Leser zu erreichen, die auf dem Smartphone keine langen Texte wollen, nur knackige Kernbegriffe, kurze Überblicks-Facts. Es geht um Crossmedialität, um engen Dialog mit dem Leser.

Alles muss raus

Schupps Blick schweift über die Redaktion, über die Möbel, die Raumaufteilung. „Hier muss sich einiges tun“, sagt er. „Wichtig ist doch, dass wir uns wohlfühlen, wo wir arbeiten.“ Und vorher? Hat sich hier niemand jemals wohlgefühlt? Oder tut das vor allem Schupp nicht?

Redakteur Björn Vasel jedenfalls fühlt sich an seinem Schreibtisch sichtlich wohl, auf dem sich Recherchematerial halbmeterhoch auftürmt. Schupp schaut kurz rein: ein Zeichen der Kollegialität. Sein „Du“ ist demonstrativ. Genauso Sätze wie: „Wir sitzen hier alle an einem Tisch!“ Im Moment klingt das ein bisschen seltsam, weil ja kaum jemand da ist. Schupp liebt Anglizismen. „Ich bin hier ja keine One-man-Show“, sagt er. Und: „Alle hier sind open minded.“ Es wirkt, als ob er das schon oft gesagt habe. Wie man das eben so macht mit Credos, mit Mantras: „Wir sind hier ja keine Insel!“

Manche Entwicklungen machten ihm allerdings auch Angst, sagt Schupp. Er denkt dabei weniger an Branchenumbrüche als an die zunehmende Verhärtung und Zuspitzung gesamtgesellschaftlicher Diskurse. Dazu passt: Kurz vor dem 150-Jahres-Jubiläum tauchte die AfD beim Tageblatt auf. „Die haben von uns verlangt, unsere NS-Vergangenheit aufzuarbeiten“, sagt Schupp. „Skurril oder? Ausgerechnet die AfD! Ein Versuch, uns zu destabilisieren, sich selbst positiv zu profilieren. Ziemlich durchsichtig.“ Ja, das Stader Tageblatt war NS-belastet. „Eine unrühmliche Zeit“, sagt Schupp. „Die haben wir auch offen dokumentiert.“

Auf der anderen Straßenseite, vor dem Tageblatt-Pressehaus, steht ein Stromkasten, angemalt fast wie eine Reichsflagge, mit „FCK/NZS“-Sticker dran. Themen liegen eben manchmal wirklich auf der Straße. „Hab ich noch gar nicht bemerkt, das Teil!“, sagt Schupp, „Danke!“

Im Maschinenraum

Wir sind auf dem Weg runter zum „Epizentrum“, zur Rotationsmaschine. Das ist nicht ganz leicht zu finden: Treppen, Türen, Gänge. Aber schließlich kommen wir an, wo die Arbeit von oben über Nacht auf tonnenschwere Papierrollen übertragen wird. Heiß wird es dann hier unten und laut. Ein fast archaisches Gegenbild zur Medienmoderne, für die Schupp stehen soll: Videos, Podcasts, …

Technologie fürs Handgreifliche: Hier wird noch echtes Papier bedruckt Foto: Miguel Ferraz

Massive Stahlgeländer an Treppen aus Gitterrosten. Maschineneingeweide, in deren Enge U-Boot-Feeling aufkommt. Kettenzüge und Schläuche. Stahlplatten auf dem Boden, Türme von Paletten. Die News-App, die Schupp bald „scharfschalten“ will, scheint hier unten wie ein Raumschiff aus anderen Welten.

Gefühlt ist man hier jedenfalls näher an 1872, als der erste Vorfahre des Stader Tageblatts als Behördenanzeiger gegründet wurde. Heute ist das Blatt eine Regionalzeitung für den gesamten Landkreis Stade, Buxtehuder und Altländer Tageblatt inklusive; der Mantelteil kommt von der Redaktionsgemeinschaft Nordsee in Bremerhaven.

Wann Andruck ist? Schupp gibt die Frage vorsichtshalber an die Drucker weiter. Aha, Mitternacht. Weiter zur Tiefgarage. Wir wollen in die Stadt. Dorthin, wo die Themen sind, über die Schupps neuer Lokaljournalismus „Diskussionen befeuern“ will. Dorthin, wo die Leser sind, die diese Diskussionen anzetteln sollen.

Als Schupp seinen schwarzen Škoda-Kombi anlässt, brandet „Killing in the Name“ auf, von Rage Against the Machine. Schupp erzählt von seinem Studium: Politik- und Sozialwissenschaft, acht Semester lang. „Kurz vor der Zielgeraden hab’ ich das abgebrochen. Die meisten anderen haben viel schneller geschaltet, dass das nichts bringt.“

Zurück in den Norden

Schupp war lange beim Bremer Weser Kurier, er war beim Regionalmagazin „Buten un binnen“ von Radio Bremen. Und jetzt kehrt er nach sechs Jahren Hauptstadt wieder in den Norden zurück. „Ich habe in Berlin viel gesehen, viel gelernt“, sagt er. „Das war eine total spannende Zeit. Aber ich bin im Norden geboren und aufgewachsen, bin durch und durch norddeutsch.“ In Berlin hat Schupp in Kreuzberg gelebt, inmitten von fast vier Millionen Menschen. Heute wohnt er in Buxtehude. Da sind es 40.000.

Die Fahrt endet am Fischmarkt, in der Stader Altstadt. Drumherum: Postkartenidylle mit schmalen, verwinkelte Gassen und pittoresk schiefen Fassaden in vielen Farben. Ein Stilmix von Renaissance bis Jugendstil. Gefühlt jedes zweite Haus ist ein Baudenkmal. „Derbe schön hier“, sagt Schupp und lehnt sich ans Geländer zum Hafen, mit Blick auf einen schmuck restaurierten Einmaster.

In den Laden hinter ihm, mit Elvis Presley, James Dean und Marilyn Monroe im Schaufenster, will er unbedingt mal rein. „Kann natürlich der totale Kitsch sein. Aber vielleicht ists ja auch echt schräg da drin.“ Die Idylle hat auch Grenzen: Im Schaufenster eines Militariahandels steht das schlammfarbene Modell eines Panzerkampfwagens VI „Tiger“, Balkenkreuz inklusive.

Während wir durch die Stadt gehen, vorbei an potenziellen Lesern seines neuen Lokaljournalismus, sagt Schupp: „Manchmal frage ich mich in solchen Augenblicken, ob wir die mit unseren Texten erreichen oder an ihnen vorbeischreiben.“18.000 Exemplare werden vom Tageblatt gedruckt, Tendenz sinkend. Und noch immer stehen die Schiffe drin, die in Hamburg anlegen – ein Gruß wie aus alten Tagen.

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1 Kommentar

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  • Der Weg führt langfristig für alle Zeitungen hin zum Digitalen. Leider verschlafen das die meisten großen Zeitungen genauso wie die vielen lokalen. Der ganze Papiermüll und die Probleme mit d. Bezahlung f. die Austragenden etc. pp. rechtfertigen eigentlich kaum noch einen Druck von Zeitungen. Hinzukommt dass viele regionale Zeitungen aber auch andere einfach dpa oder Reuters Meldungen weiterreichen. Das mag zwar die Zeitung füllen, aber dasselbe wiedergekaut in 100 diversen Outlets vorgesetzt zu bekommen macht keinen Sinn und hat auch nix mit Diversität zu tun.

    Eine Digitalisierung hat auch den Vorteil, dass man vieles an Ressourcen einsparen kann, und sich evtl. auf gewisse Bereiche des Themenspektrums konzentrieren kann ohne sich ständig über Auflagenziele zu sorgen.

    Allerdings würde ich persönlich abraten sich dabei ganz auf die amerikanischen Techfirmen zu verlassen, und evtl. über eine überregionale Medienplattform zu setzen, wo die jeweiligen Zeitungen dann ihre eigenen Formate präsentieren können.