Micha Brumlik über Fassbinder: Krankfurt–Ballade in Manhattan
Nach der Uraufführung von „Der Müll, die Stadt und der Tod“ ist das umstrittene Stück frei für andere Bühnen. Es sollte in Grönland und Gabun gespielt werden.
D ieser Text erschien erstmals am 18. 4. 1987. Es war der erste Text von Micha Brumlik in der taz. Wir haben ihn aus Anlass des Todes von Micha Brumlik erneut publiziert.
Wenn dieser Tage Rainer Werner Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ an einer kleinen New Yorker Off–off–Broadwaybühne „welturaufgeführt“ wird, könnte es sich als eines der vielen künstlerischen Nichtereignisse erweisen, die dort Tag für Tag verglimmen.
Micha Brumlik war Erziehungswissenschaftler, Publizist und seit 1987 auch pointierter taz-Autor. Zehn Jahre lang war er auch fester Kolumnist der taz-Kultur. Er war Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main und dort von 2000 bis 2005 auch Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Am 10. November 2025 ist er wenige Tage nach seinem 78. Geburtstag gestorben. Einen Nachruf findet sie hier. Aus Anlass seines Todes präsentieren wir unter taz.de/MichaBrumlik folgende Auswahl seiner Texte.
Der russische Faschist Alexander Dugin: Der Philosoph hinter Putin (2022) Brumliks viel gelesener Text über den russischen Fasschismus
Kolumne Gott und die Welt: Frühling, Zeit für Adorno (2017) Eine von Brumliks regelmäßig für die taz-Kultur-Seiten geschriebene Kolumne, hier über Adorno und den Frühling.
Kolumne Gott und die Welt: Was nach dem Scheitern (2015) Eine weitere Kolumne von Brumlik darüber, wie jüdisch '68 und der Pariser Mai waren. Das ist auch seine eigene Prägung und Geschichte.
Asylrechtsdebatte und der Anschlag in Mölln: Schreibtischtäter (1992) Politiker aller Parteien, die die Asyldebatte führten und führen, sind für die drei Toten von Mölln mitverantwortlich, so wie die Bild verantworlich für den Tod von Rudi Dutschke war, schrieb Brumlik in diesem wütenden Kommentar nach dem rassistischen Brandanschlag mit 6 Toten.
Asylrechtsdebatte 1992: Laßt uns mit Anstand von der Bühne deutscher Nachkriegsgeschichte gehen (1992) Ein wütender Gastkommentar in der Asylrechtsdebatte 1992, in dem er die zerstrittetenen bundesdeutschen Intelektuellen zum gemeinsamen Protest ruft.
Fassbenders „Der Müll, die Stadt und der Tod“: Krankfurt–Ballade in Manhattan (1987) In seinem allerersten Text für die taz schrieb Brumlik über das gerade in New York uraufgeführte Theathestrück des Regisseurs Fassbender.
Fassbinders antijudaistisch grundierte Krankfurt–Ballade, deren geplante Aufführung in der Weltpresse Schlagzeilen machte, in dem sie die honorigen Vorstandsmitglieder der Frankfurter Jüdischen Gemeinde über die Bühnenbesetzung in den Hausfriedensbruch trieb und zu einer erbitterten Debatte über die Freiheit der Kunst unter bundesdeutschen Intellektuellen führte, scheint heute keine Katze mehr hinter dem Ofen hervorzulocken.
Wo bleiben, so mag man oder frau sich fragen, die Kassandra–Rufe jüdischer Offizieller, wonach eine „Welturaufführung“ es jeder neonazistischen Laienspielschar gestatten würde, das Stück als antisemitische Provokation aufzuführen? Und vor allem: Warum wehrt sich die ach so mächtige und bedrohliche jüdisch–zionistische–amerikanische Lobby nicht?
Zunächst jedenfalls steht folgendes fest: – Das Problem der „Welturaufführung“, das noch den Frankfurter Kritikerpapst Iden so umtrieb, existiert überhaupt nicht! Die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Fassbinders Themenlieferant Zwerenz und Fassbinders Verlag, dem „Verlag der Autoren“, haben beinahe bewiesen, daß es das sagenhafte Testament überhaupt nicht gibt.
Die vom „Verlag der Autoren“ immer wieder aufgestellte Behauptung, es dürfe dies Stück nach Fassbinders Willen nur in Frankfurt am Main, Paris oder New York uraufgeführt werden, ließ sich vor Gericht nicht erhärten. Es gibt Henryk Broders und Gerhard Zwerenz Vermutung Recht, daß es sich nur um einen schäbigen Reklametrick des „Verlag der Autoren“ handelt.
Fassbinders Stück war und ist nicht dazu geeignet, etwa im Großen Saal der Jugendherberge von Celle von der Wiking–Jugend aufgeführt zu werden. Zu grell die Sprache des Dramas, zu unkonventionell die Welt sexueller Inversionen, als daß es „normalen“ Rechtsextremisten zumutbar wäre.
Die Bühnenbesetzung und der darauffolgende Skandal sind auf andere Gesellschaften nicht übertragbar. Die symbolische Regelverletzung artikulierte einen existentiellen Prozeß, der so nur hier stattfinden konnte, da er Fragen verdeutlichte, die anderswo nicht drängen: Wie können Juden erhobenen Hauptes im Lande der ehemaligen Mörder und Mitläufer leben? Was schuldet die jüngere jüdische Generation der oft beschämten und verängstigten Generation ihrer Eltern? Und schließlich: Zu wieviel Takt und Schonung ist die deutsche Gesellschaft gegenüber den Opfern und zu wieviel wirklicher Aufklärung ist sie sich selbst gegenüber verpflichtet?
All diese Fragen treffen für die USA – trotz des auch dort keineswegs geringen Antisemitismus – nicht zu. Daß Antijudaismus und Antisemitismus erwartbare, normale Bestandteile der christlich/abendländischen Kultur sind, haben die meisten Juden inzwischen resigniert zu akzeptieren gelernt: von Frankreich bis Argentinien, von den USA bis zur UdSSR.
Doch das Verhältnis von Juden und Deutschen wird auf absehbare Zeit anormal bleiben, was auch Konsequenzen für den „normalen“ Antisemitismus nach und wegen Auschwitz haben muß: Die Bundesrepublik Deutschland sollte das letzte Land der Welt, nach Grönland und Gabun, sein, in dem Fassbinders zweifelhaftes Legat angenommen wird!
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