: Der Mann mit dem Makel
Er war so verklemmt wie die Fünfzigerjahre, in denen er groß wurde. Nun kann er nie wieder „hossa!“ singen: Schlagersänger Rex Gildo ist tot ■ Von Jan Feddersen
Dienstagabend waren die Folgen seines Selbstmordversuchs vom vorigen Samstag, so ein Mediziner der Münchner Universitätsklinik, „nicht mehr mit dem Leben vereinbar“. Herzkreislaufversagen, lautete die Diagnose, als Folge innerer Verletzungen. Blutungen der Lunge, der Leber und der Nieren, Herzquetschung.
Rex Gildo wurde 63 Jahre alt. Und so viel Aufmerksamkeit wie zwischen dem Tag seines Sprungs aus dem zweiten Stocks eines Münchner Apartmenthauses und seinem Tod wurde dem Schlagersänger seit seinem letzten Hit nicht mehr zuteil – und das war 1972 „Fiesta Mexicana“. Der darin vorkommende Schlachtruf „hossa, hossa!“ wurde für Ludwig Alexander Hirtreiter, wie Rex Gildo mit bürgerlichem Namen hieß, zum Erkennungszeichen. Und zum Fluch zugleich: Am liebsten wäre es den meisten seiner Fans wohl gewesen, hätte er eine halbe Stunde am Stück immer wieder „hossa!“ gerufen – wie im vorigen, als er auf einer Bühne eines Einkaufszentrums vor den Toren Hamburgs andere Songs bringen wollte, die Zuhörer aber immer wieder grölten: „Hör auf mit dem Scheiß. Hossa!“ Am aggressiven Ton der Zurufe war zu merken: Da sollte nichts als eine Karikatur gefeiert werden. Rex Gildo hat selbst nie viel unternommen, um der Verarschung etwas entgegenzusetzen.
Angefangen hat seine Karriere im Wirtschaftswunderwesten der Fünfzigerjahre. Er war der Mann für das leicht Verruchte, ohne allzu ausländisch zu wirken: Er war der deutsche Speedy Gonzales. Mittlere Hits bescherten ihm die Chance, mit Gitte im Duett zu singen: „Im Stadtpark die Laternen“. Aber schon 1963 war er nicht mehr so recht akzeptabel als Hipster, dafür war er zu makellos, zu angepasst. Und vor allem: so verklemmt wie die Fünzigerjahre selbst.
Nichts an der Figur, die Rex Gildo ja selbst sein wollte, fand Gefallen bei den Heranwachsenden, die Beat und Rock favorisierten. Sein Konkurrent um das Marktsegment „Frauentyp mit romantischen Qualitäten“, der inzwischen ebenso tote Roy Black, wirkte authentischer, gebrochener und nicht so konsequent gut gelaunt wie Gildo. Außerdem umwehte Black („Ganz in Weiß“) auch nie ein Ruf, der auf einen Makel verwies, welcher früher insgesamt einer war und heute noch im Schlagergeschäft einer ist: homosexuell zu sein, also nicht zu verkörpern, wovon er singt.
Kein Wunder, dass man schon Ende der Sechzigerjahre über Sexy Rexy als Rex Dildo kalauerte. Seine Fans hatte der Mann bei den Leserinnen der Regenbogenblätter, bei den einsamen Hausfrauen, bei Omas und Tanten, die vermutlich in ihm den Schwiegersohn, den Mann oder den Sohn erkannten, den sie selbst nie hatten: unter anderem deshalb nicht, weil es solche Männer immer nur in Frauengroschenheften gegeben hat und sie seit 68 ff. sowieso, auch was kollektive Tagträume anbetrifft, zum auslaufenden Modell gehörten.
Seit Mitte der Siebzigerjahre musste Gildo von besseren Zeiten zehren. Anders als Freddy Quinn, der sich schon von der Aura her jeder Ironisierung entzog, anders als Michael Holm oder Jürgen Drews, Sänger der Siebzigerjahre, die sich entweder auf die Produktion von Musik zurückzogen oder sich erfolgreich selbst vergackeierten, blieb Gildo stets ängstlich darauf bedacht, mit ollen Kamellen zu reüssieren. Und das ging schief.
Die halbe Schlagerbranche hat sich gestern bestürzt geäußert. „ZDF-Hitparaden“-Moderator Uwe Hübner meinte: „Er hat sich einsam gefühlt.“ Schlagerkomponist Ralph Siegel hingegen sah ihn als „gefestigten Menschen“. Tony Marshall gab sich „fix und fertig“; Gitte sprach von einem „Gentleman in jeder Beziehung“. Aus allen kondolierenden Bekundungen klingt nur eines heraus: die Angst, selbst einmal nicht mehr gefragt zu sein, gar auf der Bühne Objekt des Spotts zu werden.
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