Der Kronprinz und sein Biograph: Im Neuschwanstein der Hohenzollern
Auch Lothar Machtan stellt in „Der Kronprinz und die Nazis“ fest: Der Sohn des letzten deutschen Kaisers war ein Helfershelfer der Nazis.
Sein bayerischer Vetter Rupprecht sagte über den preußischen Kronprinzen Wilhelm, Sohn des ehemaligen gleichnamigen deutschen Kaisers, Wilhelms II: Er sei „wie sein Vater das Rohr im Winde, und es behält bei ihm immer der recht, der ihn zuletzt gesprochen hat“. Dieser Mangel an Entscheidungskraft und Charakterstärke fiel schon seinen beiden ersten Biografen nach dem Zweiten Weltkrieg, Paul Herre (1954) und Klaus W. Jonas (1962), deutlich auf.
Lothar Machtan: „Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck“. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2021. 34 Abb.; 300 S., 29,90 Euro
1923 konnte Wilhelm dank der monarchistischen Sentimentalität des damaligen Reichskanzlers Gustav Stresemann aus dem niederländischen Exil zurückkehren, sodass für die Republik Goethes bedrückter Seufzer „Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten“ wahr wurde. Aber erst als diese mit der Weltwirtschaftskrise nicht mehr in einigermaßen ruhigem Fahrwasser trieb, konnte er Morgenluft für den Traum einer Restauration der Hohenzollern-Monarchie wittern.
Auf die Jahre 1930 bis 1935 hat der Autor Lothar Machtan nun den Schwerpunkt seiner Darstellung Wilhelms gelegt. Sein Buch „Der Kronprinz und die Nazis“ beschäftigt sich also mit der Zeit vom Beginn der Krise in der Weimarer Republik bis zum Beginn der endgültigen Festigung der NS-Herrschaft.
„Wilhelm Kronprinz“, wie Machtan ihn neckisch nennt, war auf seiner Italienreise im Frühjahr 1928 von Mussolini empfangen worden und pries bei seinem Vater die „geniale Brutalität des Faschismus“. Künftig zeigte sich „Wilhelm Kronprinz“ gern auf Kundgebungen des Stahlhelm, eines rechtsgerichteten soldatischen Traditionsverbands, der mit Massenaufmärschen in der Öffentlichkeit präsent war.
Duzfreund des Kronprinzen
Wilhelm selbst hatte nicht viel mehr als seine Stellung durch Geburt vorzuweisen. Über eine zielgerichtete Machtstrategie verfügte er nicht. Bei Reichspräsident von Hindenburg zeichnete sich schon 1929 die Absicht ab, einem autoritären Regierungsstil sein Plazet zu geben. Mit dem Führer der Zentrumspartei, Heinrich Brüning, fand sich ein dazu bereiter Politiker. Der Reichstag, der nicht mitmachen wollte, wurde 1930 vorzeitig aufgelöst.
Und so regierte Brüning mit Notverordnungen nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung weiter. Das funktionierte, weil die SPD es aus Furcht vor Schlimmerem im Reichstag tolerierte. Dass die Wahl auf Brüning gefallen war, war auch dem intriganten Bürogeneral im Reichswehrministerium, Kurt von Schleicher, einem Duzfreund des Kronprinzen, zu verdanken.
Hindenburg zeigte sich dann allerdings ungnädig, als Brüning bei ihm den Gedanken einer möglichen Wiederherstellung der Monarchie ansprach. Der Reichspräsident und Chef der Obersten Heeresleitung während des Ersten Weltkriegs dachte gar nicht daran, irgendwann seine eigene Machtposition infrage zu stellen.
Die Reichstagswahlen vom September 1930 hatten der NSDAP zu enormem Auftrieb verholfen und sie zu einem ernsthaften Faktor im politischen Machtspiel werden lassen. Die radikale Rechte aller Schattierungen attackierte Brüning laufend, vor allem, als seine Regierung das Tragen von Parteiuniformen verboten hatte.
Das mysteriöse Hausarchiv
Im Frühjahr 1932 stand turnusmäßig die Neuwahl des Reichspräsidenten an. Wilhelm kam schon im Januar 1932 auf den Gedanken, selbst zu kandidieren. Dies ist wohl die einzige neue Information von einigem Gewicht, die Machtan aus dem geheimnisumwitterten, im Neuschwanstein der Hohenzollern untergebrachten Hausarchiv in Hechingen ans Licht gebracht hat.
Wie immer ließ Wilhelm dann aber alles treiben und unternahm nichts. Vor dem zweiten Wahlgang trat er 1932 öffentlich für Hitler ein. Auch nachdem Hitler nur Zweiter geworden war, blieb er für Wilhelm erste Wahl. Als die Regierung Brüning die SA und SS verbot, protestierte Wilhelm am 14. April 1932 bei Reichswehrminister Groener.
Inzwischen intrigierte General Kurt von Schleicher hinter den Kulissen so lange, bis Hindenburg Brüning Knall auf Fall entließ. Als neuen Reichskanzler schob er Franz von Papen nach, der keinerlei Basis im Reichstag hatte. So wurde das Parlament 1932 zweimal aufgelöst.
Wilhelm versuchte erfolglos, Schleicher dazu zu bringen, Papen im Sinne Hitlers zu steuern. Hitler machte seinerseits zunehmend klar, dass für ihn eine politische Rolle der Hohenzollern nicht infrage kam. Die Klüngeleien um seine Berufung zum Reichskanzler liefen an Wilhelm vorbei. Doch fühlte er sich von dieser beglückt und gratulierte Hitler.
Hochadlige Antisemiten
Einstweilen ließ man Wilhelm noch an öffentlichen Parteispektakeln teilnehmen. Besonders wahrgenommen wurde seine Anwesenheit bei dem Staatsakt mit Hitler und Hindenburg am Tag von Potsdam am 21. März 1933 in der dortigen Garnisonkirche. Er rechtfertigte dann auch die erste Boykottaktion gegen die Juden in Deutschland Anfang April.
In Hitler sah er einen genialen Führer. Auf die Ermordung seines Duzfreundes von Schleicher im Gefolge der Beseitigung Röhms und zahlreicher anderer Personen reagierte Wilhelm mit der Versicherung seiner Treue zu Hitler. Er blieb Dekorationsstück bei Veranstaltungen. Aber auch dafür wurde er schließlich nicht mehr gebraucht.
Machtans Studie basiert jetzt auf einer breiten Fülle von Archivmaterial und zeugt zweifelsohne von einer fundierten Kenntnis der geschichtswissenschaftlichen Forschungsliteratur. Zum bisherigen Erkenntnisstand der Forschung über das Ende der Weimarer Republik und Hitlers Machtergreifung trägt sie aber nur wenige Nuancen und nichts Wesentliches bei. Vor allem wimmelt es in der Schrift von Spekulationen und Vermutungen, die an die Stelle von dokumentierbaren Fakten treten.
Die erste Begegnung Wilhelms mit Hitlers? Gut möglich, dass sie 1930 stattfand. Traf Wilhelm Hitler im Dezember 1931? Das „liegt nahe“. Bei einer Begegnung der beiden im Frühjahr 1932 „scheint es“ zu einer Absprache zwischen Hitler und Wilhelm gekommen zu sein. So geht es das ganze Buch hindurch.
Zweifelhafte Methoden
Von der Geschichte der NSDAP hat Machtan offenbar wenig Ahnung, sonst könnte er nicht schreiben, Hitler habe den radikalen „sozialistischen“ Flügel seiner Partei nicht verprellen dürfen, der unter anderem durch Alfred Rosenberg repräsentiert worden sei. Denn zum einen war dieser verquere Spintisierer völlig von Hitlers Gunst abhängig, zum anderen hatte er mit den linken Tendenzen in der Partei nicht das Geringste zu tun.
Machtans Buch ist bekanntlich vor dem Hintergrund der Debatte zu sehen, ob „Wilhelm Kronprinz“ als führender Repräsentant der gestürzten Hohenzollern-Monarchie dem Aufstieg und der Etablierung des Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub“ geleistet habe. Den bisherigen Gutachtern zu dieser Frage wirft er vor, sie seien mit „unnötigen Zugeständnissen an ihre Auftraggeber“ an das Thema herangegangen.
Demgegenüber gibt Machtan sich als objektiv neutraler Wissenschaftler, der sich seinem Thema unvoreingenommen angenähert habe. Zweifel könnten da allerdings aufkommen, da er selber „von einer bedingungslosen Förderung meines Projektes durch das Haus Preußen“ spricht. Die habe aber seinen „kritisch-analytischen Forscherblick“ zu „keiner Zeit getrübt“. Wirklich?
Man kann durchaus glauben, dass ihm sein Auftraggeber nicht laufend beim Schreiben über die Schulter geschaut hat. Doch Georg Friedrich Prinz von Preußen ist mit seiner bisherigen Strategie, Historiker, die nicht wie er als Millionäre geboren sind, wegen ihrer ihm nicht genehmen Darstellungen durch für diese existenzbedrohliche juristische Fußtritte einzuschüchtern, nicht so recht erfolgreich gewesen.
Welt- oder Geldgeschichte?
Deshalb hat er jetzt wohl den Urgroßvater – „Wilhelm Kronprinz“ – zum Abschuss freigeben. Denn wenn dieser, wie Machtan am Ende doch nahelegt, bei aller Nazischwärmerei nur ein kleines Würstchen gewesen sei, kann er ja auch keinen großen Schaden bei der Zerstörung der Weimarer Republik und der Etablierung der Naziherrschaft angerichtet haben.
Dass ein unabhängig sein wollender Historiker sich von den Hohenzollern-Nachkommen hat fördern lassen, ist und bleibt der eine Schönheitsfehler. Der andere ist, dass Machtan unter vielen Historikern nicht als ernst zu nehmende Größe gilt. Das hat er vor allem seinem unseriös argumentierenden Buch „Hitlers Geheimnis“ zu verdanken, in dem er über dessen Homosexualität herumspekulierte und für sich in Anspruch nahm, das Unbeweisbare bewiesen zu haben.
Über die jüngeren Hohenzollern ist die Geschichte längst hinweggegangen. „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“, sagt Schiller. Aber jetzt geht es nicht mehr um die Welt-, sondern lediglich um eine Geldgeschichte.
Und urteilen wird nicht das Weltgericht, sondern möglicherweise ein Berliner Gericht. Ist man optimistisch, gilt dort vielleicht dann sogar das Wort: „Es gibt noch Richter in Berlin“, das einst dem bedeutendsten Hohenzollern entgegenhalten worden sein soll, als er einem Untertanen mit einem Willkürakt drohte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül