Der Hausbesuch: Es ist ein Aufstand der Frauen
Seit über 50 Tagen kampieren Frauen vor der Grünen-Parteizentrale. Sie unterstützen die Protestbewegung im Iran. Wir haben drei von ihnen besucht.
Um den Kampf der Iranerinnen für gleiche Rechte zu unterstützen, wollen sie mehr tun, als nur bei einer Demo in Berlin mitzulaufen. Deshalb haben sie ein Camp errichtet, direkt vor der Parteizentrale der Grünen, und fordern die Außenministerin heraus.
Draußen: Der Platz am Neuen Tor in Berlin ist ein liebloser Fleck, unterteilt in vier spärlich bepflanzte Quadrate. Im Süden werden sie begrenzt vom Bettenhochhaus der Charité, im Norden von der Invalidenstraße mit Naturkundemuseum und Verkehrsministerium. Straßenbahnen rattern dort vorbei. Auf dem nordöstlichen Quadrat des Platzes, das direkt vor der Bundesgeschäftsstelle der Grünen liegt, stehen Zelte. Auch sind Plakate aufgehängt, „Frau, Leben, Freiheit“ steht auf vielen von ihnen.
Drinnen: Im Hauptzelt findet sich alles, was sich in über 50 Tagen als unerlässlich herausgestellt hat. Bänke, Stühle, ein Tisch mit Wasserkocher und Herdplatte, Decken, Thermoskannen, Kuchen, Brot, Obst. Der Heizstrahler ist wichtig, seit es nicht mehr so warm ist. An den Wänden hängen Plakate, die Frauenrechte, Menschenrechte, queere Rechte einfordern. Dazu Bilder von im Iran ermordeten Frauen, Mahsa Zhina Amini, Nika Shakarami. Die Referenz an Allah auf einer iranischen Flagge wurde mit einer Grafik in arabischer Typografie ersetzt. „Frau, Leben, Freiheit“ steht auch dort jetzt drauf. Es ist die Flagge der Zukunft.
Protest: Seit bald drei Monaten gehen Frauen und Männer im Iran gegen das islamische Regime auf die Straße. Angefangen hat es mit dem Tod von Mahsa Zhina Amini Mitte September. Die 22-jährige Kurdin starb, nachdem die Sittenpolizei sie verhaftet hatte, weil sie ihren Hijab nicht wie vorgeschrieben trug. Frauen, „die im Iran halb so viel wert sind wie Männer, sollen in der Öffentlichkeit gekleidet sein, als wären sie nur ein Schatten“, sagt Maryam Bahrami. Sie ist eine der Aktivistinnen, die am 9. Oktober den Platz vor der Zentrale der Grünen besetzten. „Annalena Baerbock spricht von feministischer Außenpolitik. Im Iran ist eine feministische Revolution im Gange. Wo gab es das je? Was läge näher für Baerbock und alle Feministinnen, diese zu unterstützen?“ Setayesh H. fragt das. Seit 50 Tagen verbringt sie, wie Saba S. und Maryam Bahrami, viel Zeit im Camp. Die Frauen sind drei für viele. „Feminista Berlin“ nennt sich die Gruppe, die nach dem Tod von Mahsa Zhina Amini innerhalb kürzester Zeit entstanden ist.
Aktiv werden: „Auf Demos gehen war uns nicht genug“, sagt Setayesh H. „Ich wollte aktiv werden. Nicht passiv bleiben. Wir können doch nicht wegsehen.“ Und Maryam Bahrami, die zehn Jahre älter ist als die beiden anderen, sagt: „Ich wollte helfen.“ Sie arbeitet als Softwareingenieurin in Berlin. Zusammen mit ihrem Mann verließ sie den Iran, als vor mehr als zehn Jahren die damalige Protestwelle, „die Grüne Bewegung“, niedergeschlagen wurde. Immer wieder gab es Aufstände im Iran. Immer wieder schlug das Regime gnadenlos zu.
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Der Schwarm: Eine Twitternachricht habe alles ins Rollen gebracht, erzählt Saba S. Wie sie am Ende auf dem Platz landeten, weiß sie nicht mehr genau. Jemand sagt etwas, jemand nimmt es auf, jemand tut etwas. Sie dachten an Sitzstreik, dann wurde es das Camp, es habe sich organisch ergeben. Eine Woche wollten sie vor der Parteizentrale ausharren und ihre Forderung klarmachen, dass die Bundesregierung das Regime im Iran nicht länger als legitimes politisches Gegenüber betrachten soll, mit dem man Geschäfte macht. Jetzt sind sie schon mehr als sieben Wochen auf dem Platz. „Seit 47 Tagen war ich nicht mehr zu Hause“, sagt Saba S. Sie wohnt eigentlich in Hannover und ist Informatikstudentin. Seit sieben Jahren lebt sie in Deutschland.
Reaktion: Erst hätten die Grünen vor der Parteizentrale sie ignoriert, erzählt Setayesh H., „dann wurden wir lauter, begannen zu stören“. Wie? Mit Parolen, mit Krach. „Your silence is violence!“ – Dein Schweigen ist Gewalt. Omid Nouripour, der Bundesvorsitzende der Grünen, kam inoffiziell mal vorbei; seine Familie ist aus dem Iran. Was er gesagt habe, sei eher lau gewesen. Die Aktivistinnen wollen, dass Deutschland die diplomatischen Beziehungen herabstuft. „Ja, wir überlegen. Geben euch Bescheid.“ – Das seien so Antworten gewesen. „Die dachten: ‚Das Wetter wird kälter, die gehen schon wieder‘“, sagt Setayesh H..
Das Camp: Die drei sind nicht alleine. Ständig kommt jemand ins Zelt. Eine lesbische Frau ist darunter. „Lesbisch geht im Iran gar nicht.“ Auch Männer sind da. „Frauen sind mutiger“, sagt einer. „Die Frauen müssen die Stimme haben bei diesem Protest, aber Männer wollen auch Gleichberechtigung“, sagt Setayesh H.. Und dann wiederholt sie: „Aber die Frauen müssen die Stimme haben.“ Es braucht viele Leute, um rund um die Uhr das Camp zu halten. Einige schlafen nachts im Zelt; einige machen Nachtwache. Es gab schon Angriffe. Die Polizei fährt regelmäßig vorbei.
Wellen: Seit der Islamischen Revolution 1979 kämpfen Frauen im Iran um gleiche Rechte, sagt Maryam Bahrami. „Seit 43 Jahren.“ Immer wieder flammt der Protest auf und wird niedergeschlagen. Saba S. sagt, es sei unbegreiflich, dass Deutschland für den Iran in all der Zeit Wirtschaftspartner Nummer eins in der EU wurde. „Man nimmt den Kampf der Frauen dort nicht ernst, sonst würde man das nicht zulassen.“ Maryam Bahrami gerät außer sich: „Frauen und Mädchen im Iran sind Bürgerinnen zweiter Klasse. Mit 13 kann man sie verheiraten. Du kannst dich nicht scheiden lassen, bekommst das Sorgerecht nicht. Bei einem Unfall erhalten Frauen die Hälfte der Entschädigung eines Mannes. Für alles müssen sie Männer um Erlaubnis fragen. Frauen können gesteinigt werden für unehelichen Sex. Stell dir das vor. Steinigung – das ist nicht mit großen Steinen, das ist mit kleinen. Die Frauen sollen lange leiden.“ Sie zählt noch viel mehr auf. „Und jetzt sehen wir den Aufstand der Frauen.“ Sie sehen ihn von Berlin aus.
Klassenfrage: Saba S. und Setayesh H. mussten in Deutschland auf einem Sperrkonto über 11.000 Euro hinterlegen, wie jede, die aus dem Iran kommt und hier studieren will. „Arme Familien können sich das nicht leisten“, sagt Setayesh H. Sie zählt ihre Familie zur Elite, zumindest sei es vor sechs Jahren so gewesen, als sie kam. „Jetzt ist der Mittelstand verarmt.“ Ihr Vater ist Banker, die Mutter Schneiderin. „Wir versuchen auch hier mit unserem Protest repräsentativ zu sein. Aber wir wissen nicht, ob uns das gelingt. Wir kommen nicht aus ärmeren Regionen.“
Und Zukunft? „Unsere anderen Leben pausieren gerade“, sagt Setayesh H. Sie meint ihren Alltag, meint ihr Studium der Prozesstechnik, meint ihren deutschen Mann, den sie gerade selten sieht. Ihr Aufenthaltsstatus ist sicherer als der von Saba S.. „Ich dagegen bin zur Studentin verurteilt“, sagt sie. Einen Aufenthaltstitel bekäme sie nur, wenn sie einen Job nachwiese mit einem Gehalt von 46.000 Euro im Jahr. Aber während Setayesh H. und Maryam Bahrami lieber in Deutschland bleiben, kann sie sich vorstellen, auch zurück in den Iran zu gehen. „Wenn ich dort so leben könnte wie hier.“
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