Der Hausbesuch: Im Leertakt
Für Dennis Weissert ist Musicaldarsteller mehr als nur ein Beruf. Dass er in der Coronapandemie kaum arbeiten kann, belastet ihn.
Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2015 zog Dennis Weissert näher zum Rest der Familie und stellte sich die Frage: Was ist wichtig im Leben?
Draußen: Eine ruhige Straße im Chamissokiez in Berlin-Kreuzberg. Das Wohnhaus ist denkmalgeschützt. Es wurde 1999 von den Mieter*innen erworben und saniert. Im Treppenhaus prunkt Stuck an den hohen Wänden. Im Hinterhof klettert Efeu an der Hausfassade hoch.
Drinnen: Im Wohnzimmer stehen Fernseher, Playstation und Spiele. Daneben DVDs von Loriot. Über der blauen Couch hängt ein farbenfrohes Gemälde. Dennis Weissert und seine Freundin Sid haben lange nach einem passenden Bild gesucht. Online bestellt kam nur die bemalte Leinwand. „Dann mussten wir den Keilrahmen selbst bauen.“
Erbstück: Die Jukebox steht neben dem blauen Sofa. „Ich kann sie einstöpseln.“ Die Tonfunk Violetta rauscht und brummt. Weissert dreht am Knöpfchen, bis ein Song von Herbert Grönemeyer ertönt. Sie funktioniert, wird aber selten benutzt. „Die hat erst meinem Opa gehört und dann meinem Vater.“ Ein Foto von ihm und seinem Vater steht auf dem Schrank im Zimmer nebenan. Sein Vater trägt Vollbart und ein gestreiftes Hemd. Weissert ist noch ein Kind mit kinnlangen blonden Haaren.
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Inspiration: Sein Vater, ein Mathe- und Physiklehrer, beschäftigte sich in der Freizeit viel mit Musik. Er lernte immer wieder neue Instrumente. Klavier, Blockflöte, Cembalo. „Was Musik angeht, war mein Vater eine große Inspiration.“ Auch deshalb studierte Weissert Musical an der Universität der Künste in Berlin. In „Hair“, in der „West Side Story“, in vielen anderen Musicals war er dabei.
Der Vater: Die Eltern trennten sich, da war Dennis Weissert acht oder neun. Lange wohnt er dann mit seinem Vater zusammen, der, Workaholic, irgendwann einen Burn-out hat. Danach vernachlässigt er seine Gesundheit erst recht. Im Jahr 2015 kommt er ins Pflegeheim, 2018 stirbt er. Weissert, damals 25, lebt seitdem sehr bewusst – körperlich wie mental. „Das gehört alles zusammen.“ Und er fragt sich, was im Leben wichtig ist. Weissert möchte Kinder haben und, anders als sein Vater, auch seine Enkelkinder noch erleben.
Die Familie: Es zieht ihn näher zum Rest der Familie nach Kreuzberg. Er wohnt nun im selben Haus wie seine Mutter. Auch seine Halbgeschwister leben nicht weit entfernt. „Die sind alle sechs bis zwölf Jahre älter.“ Sein Vater hatte noch drei Söhne. Mit einem Bruder musiziert er viel, singt mit ihm zusammen im Chor. Seine Mutter hat noch eine Tochter und einen Sohn, die sind halb türkisch. Weisserts Mutter spricht neben Spanisch auch fließend Türkisch.
Japanisch: Weissert wächst mit vielen Disney-Filmen auf. Am liebsten schaute er „Cap und Capper“, die Geschichte mit dem Fuchs und dem Hund. „Kappa ist übrigens auch ein japanischer Wassergeist!“, sagt er. Seit 2018 lernt er Japanisch. Mit Apps wie Duolingo oder einer Onlineplattform namens Japanesepod101. „Ich gucke auch sehr gerne Anime“, japanische Zeichentrickfilme. Liebend gerne würde er mal mit einem Musical in Japan auftreten. Bisher hat es nicht geklappt.
Linie 9: Auf die Bühne zog es Weissert schon recht früh. In der Grundschule führten sie eine Abwandlung des Musicals „Linie 1“ auf. Ein Stück, das über 30 Jahre am Berliner Grips-Theater gespielt wurde. Die Schule lag an der U-Bahn-Linie 9. „Deshalb hieß unser Stück dann ‚Linie 9‘.“ Für seine Darstellung bekommt er damals Komplimente, später wird ihm klar, dass er auch beruflich auf die Bühne will. „Mit 16 war ich in New York. Da habe ich mir ein paar Sachen angeschaut und war fasziniert von ‚Wicked‘.“ Das war der Zündfunke, das wollte er auch.
Tänzer und Songwriter: Noch auf der Schule fängt Dennis Weissert an, Tanzunterricht zu nehmen und in Chören zu singen. „Steppen war die einzige Tanzsache, wo ich sogar Talent hatte“, sagt er. Verunsichert hat ihn vor allem das Singen im Chor. Er bekam Halsschmerzen, und seine Stimme wurde schnell müde. „Das war ganz lange ein Problem.“ Aber er bekommt es in den Griff. Dreimal tritt er später beim Bundeswettbewerb für Gesang an. Im Jahr 2015 gewinnt er mit einem selbst geschriebenen Song.
YouTube: Auch heute schreibt er eigene Lieder, beschäftigt sich mit Kompositionssoftware. Hat überlegt, einige Cover und Songs auf Youtube hochzuladen. Aber mit so viel Spaß wie möglich und wenig Nachbereitung. „Um mit einem Youtube-Kanal Geld zu verdienen, muss man schon viel Arbeit und Zeit investieren“, sagt er. Viele seiner Kolleg*innen starten derzeit eigene Videokanäle oder geben online Gesangsunterricht. Damit jetzt aber erst anzufangen, lohne sich kaum.
Arbeitslosengeld: Durch Corona liegen viele Produktionen auf Eis oder sind ganz abgesagt worden. „Ein Kollege hat öffentlich gemacht, dass er nun Hartz IV beantragt.“ Das sei wichtig, um das Stigma zu brechen. Viele Künstler*innen in der Branche sind nun darauf angewiesen, auch Weissert hat Arbeitslosenhilfe beantragt. Eine Sommerproduktion in Chemnitz, wo er mitmachen wollte, wurde abgesagt, obwohl sie coronakonform und im Freien stattfinden sollte. „Alle Theater hängen gerade im luftleeren Raum und wissen überhaupt nicht, was sie machen sollen.“
En suite: Weissert spielte bisher meist in Stadt- und Staatstheatern. „Da ist es oft so, dass es Probenphasen gibt, dann die Premiere, und wenn du Glück hast, eine Serie von mehreren Aufführungen.“ Manchmal funktioniert es auch, an zwei Stücken gleichzeitig mitzuwirken. Da hat man dann nicht mehr so viel freie Zeit.
Pandemie: Mit Corona ist alles anders. „Jetzt muss man gucken, dass man sich eine Routine aufbaut.“ In den letzten drei Monaten hat er eine Weiterbildung in Kamera und Schauspiel für Film und Fernsehen gemacht. „Wir arbeiten mit einem Dramaturgen, bereiten Szenen vor und besprechen sie.“ Es gehe auch darum zu lernen, wie Castingabläufe funktionieren. Bei Film und Fernsehen müsse man immer bestimmte Texte oder eine Szene vorbereiten. „Im Musical hast du deine paar Monologe und Lieder, die du immer wieder mitbringen kannst.“ Auch auf Castingportalen meldet er sich nun an, lädt Vorstellungsvideos hoch, lässt neue Fotos machen.
Disziplin: Als Musicaldarsteller müsse man sich Klischees und Vorurteilen stellen, sagt Weissert. „Es heißt immer, Musicaldarsteller könnten nichts. Die seien aufgesetzt, spielten oberflächlich.“ Dabei müsse man gleich mehrere Darbietungsformen beherrschen und sei gefordert, sich in allen Bereichen konstant weiterzuentwickeln. Auch jetzt, während des Lockdowns, macht er viel, um in Form zu bleiben. Er trainiert daheim, übt das Tanzen.
Konkurrenz: Vor Corona kamen viele Absagen. Auch jetzt ist die Situation belastend. „Man fragt sich natürlich, wie man sein Geld verdient. Aber ich kann mich damit beruhigen, dass ich etwas gelernt habe und dass ich damit schon noch wieder Geld verdienen werde“, sagt Dennis Weissert. Er ist selbstbewusst. In einem Business, in dem Menschen ständig bewertet und verglichen werden, ist das eine wichtige Voraussetzung. Natürlich nagt es manchmal an ihm. „Aber ich finde es immer besser, sich zu zeigen und so die Möglichkeit zu bekommen, sich weiterzubilden. Ob man dann den Job bekommt, ist die Sahnehaube oben drauf.“
Überzeugung: Irgendwann möchte er nur noch an Stücken mitwirken, auf die er wirklich Lust hat. Und sich nebenbei ein zweites Standbein als Filmschauspieler aufbauen. „Ich bin gespannt, wo mich die Karriere als Darsteller noch hinbringt“, sagt er.
Zuversicht: Pläne für die Zukunft würden ihm Halt geben, sagt er, „und der Gedanke, dass diese Pläne nicht erschüttert werden können von all dem, was jetzt gerade passiert“. Singen, Spielen, Tanzen – Weissert macht das nicht nur für Publikum, sondern auch für sich. Seine Freundin Sid arbeitet in derselben Branche, auch sie ist auf E-Castings, spielt per Skype vor und hofft, trotz Pandemie arbeiten zu können. Die Pläne, die Künste, die Passion – das alles kann Sid nachvollziehen und teilen, sagt er. „Dafür bin ich unglaublich dankbar!“
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