Der Hausbesuch: Für einen Cowboy ist er zu weich
Josef Hammel übernahm den Hof der Eltern, dann wurde er lieber Hausmeister. Doch erst seine Pferde brachten ihm bei, worauf es im Leben ankommt.
Erst Kind. Dann Bauer. Dann Hausmeister. Jetzt im Flow mit seinen Pferden. Das ist Josef Hammel. Alle nennen ihn Sepp.
Draußen: Durch Pfaffenhofen an der Zusam führt eine Durchfahrtsstraße, und die direkt „ins Ried“. Hier, ein paar Kilometer außerhalb des Dorfes, sei man „einfach weg“, sagt Josef Hammel: Rundherum Nebelfelder, über dem Kopf Stromleitungen. Hammel lebt in einem Bauernhaus, Baujahr 1900, im Ortskern. Seine Eltern hatten es mitten im Zweiten Weltkrieg übernommen. Kastanienbäume säumen sein Grundstück. Es riecht nach Pferdemist. Löwenzahn lugt im Innenhof zwischen Betonritzen hervor: darauf ein Traktor, der Kies knirscht unter den Schuhen. Neben den Zaunpfählen zum Nachbargrundstück steht eine Kutsche.
Drinnen: Josef Hammel lebt nur noch im zweiten Stock, heute allein. Die Fenster in der Stube sind mit aprikosenfarbenen Vorhängen umsäumt. Hinterm Glas stehen Topfpflanzen mit müden Blättern. In der Küchenzeile aus hellem Holz bereitet Hammel sein Essen zu: „Kochen ist was anderes.“ Ein Edelstein klimpert in der Wasserkaraffe, als er sich einschenkt. An den mintfarbenen Wänden hängen Fotos von Pferden und seinen Kindern: „Es war schön mit ihnen.“ Hammel zeigt ein Bild weiter: er im Ritterkostüm auf dem Pferd. Daneben er in Nahaufnahme, auf dem Kopf einen Cowboyhut.
Wildwest: Als Cowboy beschrieb ihn auch seine Exfrau. Für die Leute im Dorf sei er nicht ganz normal, sagt „Sepp“ Hammel, 61, Pferdebesitzer und Frührentner. Das karierte Hemd hat er in die Hose gesteckt, darüber glänzt eine metallene Gürtelschnalle: „Wenn i vorher gwisst hätt, was dabei rauskommt, hätt i viele Dinge net gmacht.“ Seine Hände sind in die Hüfte gestemmt, sie sagen: alles in Ordnung so. Eigentlich sei er viel mehr ein Indianer als ein Cowboy: „Ich bin viel zu weich.“
Indianer: „No woman, no cry“, sagt Hammel, reibt mit dem Handballen Wasserflecken kreisförmig in den Eichholztisch. Früher saßen hier auch seine Frau und zwei Kinder, die sind heute erwachsen, Hammel geschieden. Über die Zeit der Trennung sagt er, kurz sei sein „Amphibiengehirn“ zum Vorschein gekommen: „Allein sein bedeutete für den Höhlenmenschen eben Lebensgefahr.“ Heute wisse er, er brauche keine Sippe und keine Partnerin mehr, um zu überleben. Das sei Schritt eins der Selbstehrlichkeit gewesen. Außerdem könne er heute weinen.
Früher: In seiner Kindheit sei das anders gewesen: Ein Bub der weint, „den kannste vergessen, in die Tonne“. Von der Kindergärtnerin lernte er früh, dass er nicht weinen oder sich fürchten dürfe. Dabei habe er viel Angst gehabt: „Tiefes Wasser, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich wollte immer die Sicherheit haben, dass ich stehen kann.“
Zäh und züchtig: Schwimmen lernt Hammel erst in der siebten Klasse, bei einem Ausflug mit Schulkameraden an den Chiemsee. Seine Kindheit spielt sich in der Landwirtschaft ab: 12 bis 14 Stunden Arbeitszeit täglich, keine Mittagspause, so etwas wie Feiertag kennen seine Eltern nicht. Auch nicht so etwas wie krank sein, selbst bei 38 Grad Fieber wird gearbeitet, „dann dauert es eben bisschen länger“. Trotzdem sagt Hammel: „Die Arbeit machte Sinn.“ Seine Mutter kommt von der Klosterschule. Von ihr lernte er früh, „zäh und züchtig“ zu sein, erzählt er, läuft über die Holztreppe in den ersten Stock. Vor einer Ehrenurkunde der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft im Hauseingang macht er halt. Daneben hängt eine Kuhglocke. „Josef Hammel“ steht hier, sein Vater, 1976. Für seine Eltern hätte die Urkunde etwas verändert: Es wäre nicht mehr nur harte Arbeit gewesen, sondern die Motivation, gut zu sein.
Die Entscheidung: Mit 25 Jahren heiratet Hammel. „Ich war spätberufen.“ Fünf Jahre danach übernimmt er den Hof. Seine Eltern sind da bereits krank. Seine Kinder spielen auf demselben asphaltierten Innenhof wie er früher. Mit 35 Jahren habe er die Landwirtschaft aufgegeben, erzählt er am Tisch im Innenhof und kippt sich Bröselkaffee in eine Kaffeetasse: „Es war das Schwierigste, mir das einfach zu erlauben.“
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Hausmeister: Er wird der „Hausel“ an einer Montessorischule im Nachbarort: „Ich hab einfach da a weng ebbes und da a weng ebbes gmacht“, eher wie eine Hausfrau als ein Hausmeister. Die Lehrerinnen hätten ihm früh gesagt: „Es tut gut, dass du da bist.“ Irgendwann seien sie zu ihm gekommen, wenn sie reden mussten: weil er außenstehend, aber trotzdem mittendrin gewesen sei. Täglich sitzt Hammel als teilnehmender Beobachter im Lehrerzimmer und wundert sich. „Ich hab nie verstanden, warum die so viel jammern und freihaben wollten“, sagt Hammel und schmiert Rum-Rhabarbermarmelade auf ein Butterbrötchen. „Jetzt darf ich’s ja sagen.“ Er lächelt.
Stress: Am ersten Schultag schon wieder freihaben zu wollen, das verstehe er nicht. Stress sei es, immer dort sein zu wollen, wo man gerade nicht ist. Oder das zu befürchten, was noch gar nicht da ist. „Die bekommen doch schon eine Woche vorher Grippe, bevor sie den Wetterbericht hören.“ Ein Heuschnupfen sei gleich eine Katastrophe. „Bei diesem notorischen Gejammer arbeitet das Gehirn in die falsche Richtung.“ Hammel schüttelt den Kopf. Wenn zwei Züge zusammenrauschen, gebe es heute gleich eine Kri-sen-in-ter-ven-tion, er betont jede Silbe. „Und wer war da, als unsere Eltern aus dem Krieg kamen?“ Er habe die Akademiker in der Schule nie beneidet.
Abschied vom Arbeiten: Seit er 58 ist, nennt sich Hammel „Privatier“. Das sei jemand, der nicht arbeitet, sondern nur das tut, was er gerne mag, und davon leben kann: nicht mehr das machen, was von ihm erwartet werde. Viele würden den Absprung in die Frührente nicht schaffen. Es sei wie mit seinem Hund, der das ganze Leben an einer Kette angebunden war, erklärt Hammel: „Auch wenn ich ihn losmache, läuft er keinen Zentimeter weiter.“ Ein Jahr nach seinem Absprung bekommt er Nachrichten von den Lehrern, ob er nicht zurückkommen könne, einfach nur um da zu sein. Aber Hammel bleibt. Mittlerweile hat er ein neues Hobby: seine Pferde.
Die wichtigste Lektion: 1996 kam das erstes Pferd in den Stall, Wiecki. „Sie war besonders“, Hammel lehnt jetzt an einer angeknabberten Pferdebox, ein Halfter von Wickie hängt noch immer am Haken: schneeweiß sei sie gewesen und stur. „Sie hat mir gezeigt, wo es langgeht.“ Am Anfang habe sie sich geweigert, aus dem Stall zu gehen. Hammel schämt sich vor seiner Tochter, nicht genug Macht über das Tier zu haben. Nachts geht er mit Wickie im Wald spazieren. In der schützenden Dunkelheit setzt er sich das erste Mal auf ihren Rücken. Hier ein Schenkeldruck, da eine Gewichtsverlagerung. Beim Reiten lernt Hammel eine unmittelbare Art der Kommunikation kennen: „Pferde können nicht unehrlich sein, sie können nicht lügen.“
Tod: Hammel legt sein Messer aus der Hand und pausiert: 20 Jahre war Wickie alt, das Herz war schon immer schwach, dann läuft ihr Eiter aus dem Kiefer: „Du schaust ihr in die Augen und weißt es.“ In der Klinik sagen sie Hammel, sie habe keine Chance. „Natürlich ist der Tod nicht schön, aber wir alle müssen irgendwann gehen.“ Hammel entscheidet sich, sie einzuschläfern: „Oft befriedigt der Mensch nur sein eigenes Bedürfnis, jemand am Leben zu erhalten.“ Mit Tierliebe hätte das nichts zu tun. Die Lektionen, das, was ein Pferdecharakter ausmachte, das wäre immer noch da, sagt er. Dann kommen ihm die Tränen.
Hier und Jetzt: In der Nacht, als Wickie endlich mit ihm kooperierte, wusste er, dass er es verstanden hatte. „Wenn du Macht oder Kraft brauchst, machst du etwas falsch.“ So wäre es auch beim Arbeiten. „Du zählst keine Stunden und keine Anstrengung mehr, du tust es einfach“, sagt er. Kinder wären darin gut, Pferde auch, erwachsene Menschen nur zum Teil. Nur das Hier und Jetzt sei entscheidend. „Flow, sagt man heute?“
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