piwik no script img

Der HausbesuchEine Kämpferin für die Seele

Unter den Nazis wurde Dorothea Buck zwangssterilisiert. Seitdem kämpft sie für eine menschlichere Psychiatrie – auch noch mit 101.

Dorothea Buck in ihrem 101. Lebensjahr: Sie liest noch viel, schreibt auch Foto: Christian Kaiser

Es ist ein selten heißer Sommertag im Hamburger Stadtteil Schnelsen. Die Sonne hat das rote, backsteinerne Gemäuer des Pflegeheims aufgewärmt.

Draußen: Ein leiser Wind fährt durch Blätter im Innenhof. Das Rauschen dringt durch die Terrassentür.

Drinnen: In Dorothea Bucks Zimmer ist es still. An den Wänden: warme Farben. Orchideen, Rosen und Engelsfiguren stehen auf der Fensterbank. Auf der Uhr an der Wand steht für jede Stunde ein anderer Vogel. Gerade ertönte das Gezwitscher der Grasmücke. „Vier Uhr“, sagt Dorothea Buck. „In einer Stunde ist das Rotkehlchen dran.“ Im Regal stehen Bücher, darunter „Und Nietzsche weinte“ und „Über den Tod und das Leben danach“.

taz am wochenende 15./16.9.2018

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Leben: Buck sitzt aufrecht in ihrem Bett, hellwach. „Ich fühle mich hier ganz wohl“, sagt die 101-Jährige mit singender Stimme, „hier kann ich lesen.“ Neben dem Bett häufen sich Zeitungen. „Die gebe ich weiter, an einen Patienten, der noch lesen kann und noch nicht dement ist.“ Manchmal schreibt Buck auch noch etwas auf. Sie besteht auch darauf, ihre Bücher zu signieren.

Gehen: 2013 kam Buck in das Pflegeheim, weil ihre Füße wund wurden und sie das Antibiotikum nicht vertrug: „Ich fühlte mich ganz schwach. Ich dachte: So, jetzt sterbe ich und war damit ganz zufrieden.“ Buck sagt: „Sie begleiten uns hier ja auf unserem Weg – das muss man so sagen – in den Tod. Wir sind zum Sterben hergekommen.“ Für viele sei das „keine einfache Sache“, Buck vermutet, deshalb würden viele dement, wollten nicht realisieren. Sie selbst habe Vertrauen. „Ich glaube ja, dass der Tod eine gute Erfahrung sein kann, wenn Menschen sich um andere gekümmert haben und alles getan haben, dass es ihnen hier im Leben gut geht, dass es ihnen auch nach dem Leben, also im Tod, gut gehen wird.“

Danken: An den Wänden hängen Glückwünsche zum hundertsten Geburtstag. „Sie müssen wissen, dass mein Geburtstag in der Universität groß gefeiert wurde.“ Während des Symposiums saß sie wie jetzt auf ihrem Bett, zugeschaltet per Skype. „Ich werde ja hoch geschätzt, hoch geachtet“, sagt Buck. An einer Wand hängt ein Plakat mit einem Zitat: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ Darunter ein Gruß: „Danke, dass Sie die Psychiatrie und auch mich verändert haben.“

Engagement: Für ihr Lebenswerk wurde Buck unter anderem mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik ausgezeichnet. Sie gründete den Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener mit. Startete gemeinsam mit Thomas Bock 1989 das erste Psychose-Seminar nach dem Prinzip des „Trialogs“, das sich in ganz Deutschland ausbreitete. Es sollte darum gehen, „Profis“, also Therapeuten und Ärzte, Angehörige und Betroffene zusammenzubringen, um den „Sinn der Psychose“ zu erkennen, sagt Buck. Es gehe dabei nicht darum, die Symptome zu sehen, sondern den Menschen zu verstehen, mit seiner Erfahrung und seinem Lebensweg. Eine Psychose sei die Reaktion auf eine Lebenskrise.

Träumen: Das Welterleben in der Psychose könne man sich ähnlich vorstellen wie in einem Traum. Das Unbewusste breche in das Bewusstsein herein. Die Welt spreche plötzlich in Bildern. Es gelte, sie zu deuten. „Die Psychose hat einen Sinn.“ Könne Chance zur Persönlichkeitsbildung sein. Für Buck ist nicht die Psychose das Quälende gewesen, sondern der Umgang der anderen damit.

Eine Helferin: Die Wand neben ihrem Bett ist mit Telefonnummern übersät. Vor allem für Betroffene ist Buck mit ihrer positiven Sicht wegweisend. Früher beantwortete sie viele Briefe, mit ihrer Schreibmaschine in ihrem Gartenhaus. Der Paranus Verlag hat den Briefwechsel veröffentlicht („Der Gartenhaus-Briefwechsel“). Heute, im Pflegeheim, klingelt oft das Telefon. Betroffene rufen Buck an, wollen mit ihr sprechen. Ihre Biografie „Auf der Spur des Morgensterns. Psychose als Selbstfindung“ hat sie früher noch unter dem Pseudonym Sophie Zerchin veröffentlicht, es sind die Buchstaben aus dem Wort „Schizophrenie“. Sie hatte in ihrem Leben fünf psychotische Schübe, zwischen 1936 und 1959. Mit der Einsicht in den Sinn der Psychose habe sie sich selbst geheilt.

Entwürdigungen: Mit 19 hatte sie ihren ersten psychotischen Schub. Damals habe sie einen inneren Impuls wahrgenommen, der sie in das Watt zog, in Wangerooge, wo sie aufwuchs. Dort sah sie am Himmel einen Morgenstern aufsteigen. Sie schrieb dieser Erfahrung eine religiöse Bedeutung zu. Später interpretierte sie das als Teil einer Lebens- und Glaubenskrise. Buck kam in die Bodelschwinghsche Heilanstalt in Bethel. Ihre Mutter und ihr Vater, ein Pfarrer, glaubten, „sie hätten das Allerbeste getan“, als sie sie dorthin brachten. „Bethel wurde verehrt“, sagt sie.

Vernunft: Das Schlimme sei gewesen, dass man sie in Bethel als bloßes Objekt behandelt habe. „Die sprachen ja gar nicht mit uns, diese merkwürdigen Psychiater.“ Für jede Gefühlsregung wurde sie mit neuen „Beruhigungsmaßnahmen“ bestraft. Sie habe den Umgang in Bethel als tiefe Entwürdigung verstanden.

Die Narben an den Bäuchen anderer Patientinnen wurden ihr als Blinddarmnarben erklärt. Auch bei ihr wurde dieser „kleine Eingriff“ vorgenommen, ohne dass sie darum wusste, 1936. Eine Mitpatientin klärte sie anschließend darüber auf. Noch Jahrzehnte nach der Nazi-Zeit wurde Patienten in manchen Psychiatrien geraten, sich freiwillig sterilisieren zu lassen.

Wege: „Eigentlich wollte ich Kindergärtnerin werden, das durfte ich aber nicht.“ Als Sterilisierte durfte sie keinen sozialen Beruf ergreifen. „Dann habe ich eben die Bildhauerei für mich entdeckt.“ Buck war freischaffende Bildhauerin, modellierte vor allem Akte. In den 60ern wurden ihre Arbeiten weniger – zugunsten ihres Engagements.

Zeitzeugin: Als eine der letzten Zeitzeuginnen kämpft Buck dafür, Opfer von Zwangssterilisationen zu rehabilitieren. 1987 gründete sie mit anderen Betroffenen den Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten e. V. Bis heute werden die etwa 400.000 Opfer nicht als „rassisch Verfolgte“ anerkannt. Psychiater, die darin verwickelt waren, starteten im Nachkriegsdeutschland teils große Karrieren. „Es haben ja namenhafte Psychiatrien mitgemacht.“ Sowohl bei den Zwangssterilisationen als auch bei den Euthanasie-Programmen.

Euthanasie: Buck erinnert sich an einen Psychiatrie-Aufenthalt in Frankfurt, 1943. „Da war eine Oberärztin, die sagte, als eine Patientin nicht richtig reagierte, dass es schade um sie sei. Dann fragte ich: Wieso schade? Und dann klärte mich eine alte Mitpatientin aus der Universitätsklinik auf, dass sie in die Eichberger Klinik käme und dass sie dort umgebracht werde. Die kriegten die Patienten, von denen sie glaubten, die werden nicht mehr.“

Krieg: „Ich habe ja auch den Krieg ganz dicht erlebt“, sagt Buck. „Furchtbar, furchtbar. Wir saßen beim Abendbrot.“ Mit Lisbeth, der Kinderpflegerin. „Man hatte so seine Stammplätze und ich hatte mich auf ihren Platz gesetzt. Dann bat sie mich, dass wir die Plätze tauschen.“ Kaum saßen sie, kam der Angriff. „Sie war sofort tot und ich war unverletzt.“ In ihrer Biografie stellt Buck den Umgang mit der Psychose dem Kriegserleben gegenüber. Im Krieg würde man eine Schicksalsgemeinschaft, schreibt sie. Der innere Konflikt mit der Psychose und der Entwertung als „geisteskrank“ sei ein einsamer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • es ist bersser, die bücher & artikel von frau buck selbst zu lesen.

    die eithansieprogramme dr nazis, fdemne sire knsapp entkommen sind, waren natürölich aud ANTI_VERNUNFT gerbaut, per STASGEWALT zur WISSENSCHAFT pre gesetz erhoben.

    Seltsamerewisd wurd nicht die vorkriegsewinsvchätuzujng des unewissenschsaftölochr chrsalkte dr samelsimktriumsbregrufs schgizophrenie wiedrhegestellt, sinsdern imzuge der RESTAURATION fsast alles beim NAZI-alten imn dr psyvchioasterzre belasen.

    djur ganz erxgtremanti-intektuellen bogbrothrs ausden usa sete da freudig bis heut auf.

  • Hoffnungsvoll, stimmt mich dieser Artikel!

    Immer noch herrschen vorwissenschaftliche Betrachtungsweisen in Psychiatrie und Psychologie vor, wie z.B. Roelcke in seiner Habilitationsschrift belegt. Dies ist wenig verwunderlich, in Anbetracht des Übergangs von der Dämonologisierung zur Biologisierung und zur Pathologisierung. Ein kurzer Blick in die Texte von Emil Kraeplin reicht aus, um die desaströsen Auswirkungen dieses vorwissenschaftlichen fließenden Übergangs ansatzweise verstehen zu können.

    Umso wertvoller war und ist die Arbeit von Personen wie z.B. Dorothea Buck, damit die Aufgaben der Psychiatrie und Psychologie verwissenschaftlicht werden und in die Hände von Sozial- und Kulturwissenschaftlern übergehen können. Dieser Schritt ist notwendig, um ein überwiegend biologistisches Verständnis der Psychologie und Medizin durch ein interdisziplinäres Verständnis vom menschlichen Bewusstsein ersetzen zu können. Dorothea Buck hat an dieser Stelle einen wertvollen Beitrag geleistet und die Debatte in die richtige Richtung gelenkt.

  • Eine bewundernswerte Frau. Danke für das Porträt.

    Der „innere Konflikt mit der Psychose“ und die Einsamkeit, von der hier die Rede ist, resultiert vor allem daraus, dass für den Betroffenen aufgrund der Erkrankung nicht zu erkennen ist, wo ganz genau die Realität endet und der „Traum“ anfängt. Genau diese Unfähigkeit berechtigt Mediziner vermeintlich, sich einzumischen in das Leben wildfremder Menschen - und ihnen im Zweifel ihre Restgesundheit zu ruinieren.

    Leider weigern sich viele Ärzte und Therapeuten aus Angst vor Überforderung, den Menschen hinter der Akte wahrzunehmen. Aber wer sich nicht einlassen will auf die Geschichte seines Patienten, für den werden die Grenzen zwischen Realität und Wahn auch bloß nicht sichtbar. Wie also soll so jemand helfen, den Konflikt aufzulösen, der Teil des Leids ist, das die Krankheit verursacht?

    Meiner Erfahrung nach werden Psychiatrie-Patienten von den behandelnden Ärzten und Therapeuten bis heute im Wesentlichen in drei Gruppen eingeteilt:

    1) „Geisteskranke“ mit Heilungschance. Das sind die, die sich ohne Widerstand behandeln lassen von den Medizinern.

    2) (Von den Fachleuten) Geheilte. Diese Menschen können - bis zum nächsten Schub - entlassen werden und müssen nicht mehr interessieren.

    3) Austherapierte. Das sind die, für die die Krankenkassen nicht mehr zahlen wollen oder die sich weigern, den Anweisungen der Mediziner zu folgen und beispielsweise Medikamente einzunehmen oder sich in Kollektiv-Sitzungen "zu öffnen".

    Die erste Gruppe motiviert die Behandelnden, ihren Beruf auszuüben. Ihre Mitglieder sind beliebt. Die zweite macht sie stolz und generiert positive Erinnerungen. Was aber mit der dritten Gruppe geschehen würde, wenn man die Mediziner machen ließe, möchte ich gar nicht so genau wissen. Es muss schließlich eine existenzielle Kränkung für jeden Fachmann sein, zu versagen am Laien-Patienten – und auch noch ganz genau zu wissen, dass man zwangsläufig versagen musste aufgrund eigener Selbstschutzbetrebungen.