■ Der Friedensprozeß stockt. Doch auch wenn Netanjahu den Frieden nicht will – die Verhältnisse drängen danach: Die List der Vernunft?
„Ein kleiner Schritt für den Frieden, ein riesiger Schritt für den Likud!“ So bezeichnete Gusch Schalon, der Friedensblock, den Handschlag von Arafat und Netanjahu in der letzten Woche.
Gewiß hat diese Geste, was den Friedensprozeß betrifft, kaum etwas verändert. Die Probleme sind die gleichen wie zuvor. Die Absperrung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens, die Hunderttausende von Palästinensern an den Rand des Hungers treibt, besteht weiter. Tausende von palästinensischen politischen Gefangenen sind immer noch in israelischer Haft. Der Rückzug aus Hebron, der nach monatelangen Verhandlungen bis in die kleinsten Einzelheiten abgemacht worden ist, hat nicht stattgefunden. Netanjahu will darüber neu verhandeln. Die „sichere Passage“ zwischen Gaza und dem Westjordanland, etwa 60 Kilometer, die schon seit drei Jahren funktionieren sollte, besteht immer noch nicht. Sogar palästinensische Würdenträger werden von israelischen Militärsperren regelmäßig schikaniert. Die Räumung eines Drittels der „Zone C“, des Großteils des Westjordanlandes, der letzten Samstag hätte stattfinden sollen, ist noch nicht einmal besprochen worden. Die Verhandlungen über die essentiellen Fragen – Jerusalem, Flüchtlinge, Grenzen, Siedlungen und natürlich die Form des palästinensischen Staates –, die am 19. Mai hätte beginnen sollen, haben noch nicht angefangen. Und trotzdem: In diesem Konflikt spielen Symbole eine gewaltige Rolle. Und der Handschlag war ein Symbol ersten Ranges.
Die Partei, die heute Likud heißt, hat seit ihrem Beginn vor 60 Jahren stets die Existenz eines palästinensischen Volkes negiert. Palästinenser gibt es für sie nicht, nur „Araber Eretz Israels“, mehr ein Teil der Landschaft als eine Gemeinschaft mit nationalen Rechten. Die PLO wurde von Menachem Begin nur als „die Terrororganisation Pi-El-Oh“ bezeichnet, Arafat war für ihn „das zweibeinige Biest mit den Haaren auf dem Gesicht“ und auch „der arabische Hitler“. Ariel Scharon: „Der größte Judenmörder seit Hitler.“ Der bekannte Schriftsteller Moshe Schamir: „Adolf Arafat“.
Über Rabin und seine Regierung sagte Scharon nach dem Oslo-Abkommen: „Ein Judenrat wie im Ghetto.“ Netanjahus Bundesgenosse, der ehemalige Generalstabschef Rafael Eytan, sagte über Rabin und Kollegen: „Eine Regierung der Quislinge“, und über die Palästinenser: „betrunkene Mistkäfer“. Likud-Prinz Usi Landau: „Rabin will uns nach Auschwitz führen.“
Jetzt hat „Herr Bibi“, wie Arafat ihn in seiner Rede nannte, im Namen seiner Partei und seiner Regierung, diesem „arabischen Hitler“ die Hand gereicht. Die Regierung besteht aus einer Koalition, der die Siedlerpartei und der religiöse Flügel Israels angehört – insgesamt 55 Prozent der jüdischen Wähler. Arafat: „Wir haben jetzt den Friedensprozeß mit der zweiten Hälfte Israels aufgenommen.“ Das stimmt.
Wie schwer dies fällt, zeigte sich bei der Sitzung des 2.000köpfigen Likud-Zentralkomitees am letzten Donnerstag. Man jubelte Scharon zu, Ministerpräsident Netanjahu wurde mit betonter Kälte und Rufen wie „Schande“ empfangen. (Ich selbst wurde körperlich angegriffen, obwohl ich als Journalist anwesend war.)
Warum also hat Netanjahu diesen Schritt getan? Weil er nicht anders konnte. In der arabischen Welt gab man ihm zu verstehen, daß die erst kürzlich aufgenommenen Beziehungen mit Israel bedroht sind. Die israelischen Sicherheitsorgane warnten ihn, daß bei den Palästinensern die islamischen, gewalttätigen Fundamentalisten die Oberhand gewinnen werden, wenn der Friedensprozeß abgebrochen wird. Und Clinton machte ihm klipp und klar deutlich, daß er Fortschritte im Friedensprozeß für seinen Wahlkampf braucht. Der Druck von außen war größer als der Druck von innen, und Netanjahu weiß, wie jeder gute Politiker, an wen man sich in solcher Lage hält.
Das heißt noch lange nicht, daß Netanjahu wirklich den Frieden will. Es heißt aber, daß er bei einer Wiederholung dieser Situation wahrscheinlich auf gleiche Weise reagieren wird. Es ist gut möglich, daß der Friedensprozeß ruckweise vorwärtskommen wird, von Krise zu Krise, mit viel Ach und Weh, immer mit gegenseitigen Drohungen und Beschimpfungen, vielleicht durch Gewaltakte unterbrochen, lustlos und widerwillig.
Optimisten hoffen nun, daß am Ende doch ein Frieden zustandekommen wird und damit die alte Binsenweisheit bestätigt wird, daß es für Leute von rechts leichter ist, Frieden zu schließen, als für Leute von links. (Wie es ja auch für eine linke Regierung leichter ist, Streiks zu brechen als für eine rechte.) Man denke an de Gaulle oder Nixon. Die Rechten haben dabei keine große Opposition zu erwarten, da die Linken diesen Kurs automatisch unterstützen müssen. Das ist in Israel schon einmal passiert, als Begin die ganze Sinai- Halbinsel an Ägypten zurückgab, und kaum ein Hahn danach krähte.
Wenn, was kaum zu erwarten ist, die rechte Koalition doch eines Tages auseinanderbrechen würde, könnte Netanjahu mit der Arbeitspartei eine Große Koalition bilden. Diese Partei, von Geburt an die Macht gewöhnt, kann sich nur schwer an die Opposition gewöhnen. Sie würde Netanjahus Einladung zur Koalition annehmen, bevor der Satz zu Ende ist.
„Pacta sunt servanda“, deklamierte der ehemalige amerikanische Musterschüler Netanjahu vor kurzem im amerikanischen Senat. Verträge müssen eingehalten werden. Sein Vorgänger, Jitzhak Schamir, fragte dagegen: „Wo steht geschrieben, daß man Abkommen einhalten muß?“ Wenn man genug Macht hat, braucht man es ja auch nicht, aber die Macht Israels ist nun mal begrenzt. So wird Netanjahu auf diesem Weg weitergehen, nicht weil er so moralisch ist, sondern weil dieselben Gegebenheiten, die Rabin nach vielen Jahren Widerstand dazu zwangen, mit den Palästinensern zu paktieren, auch Netanjahu dazu zwingen werden. Nur wird es schwerer sein. Aber das ist, laut Hegel, die List der Vernunft.
Der erste Schritt ist getan, und der erste ist der schwerste. Uri Avnery
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