piwik no script img

■ Der Nazi-Attentäter Kai D. verkörpert einen neuen Typus: den psychopathischen Einzeltäter nach US-VorbildDer Fascho als Outlaw

Der neue deutsche Faschismus bezieht seine Stärke aus seiner Vielgestalt. Er reicht von den rechtspopulistischen Versuchsballons von Leuten wie Peter Gauweiler bis zur psychotischen Mordgewalt des lange verharmlosten Neonazi-Terrorismus. Er verbreitet sich dumpf und zäh in den Produkten, die man neben der Tageszeitung am Kiosk um die Ecke erwerben kann – wann haben wir eigentlich unserer freundlichen Zeitungsverkäuferin zu erkennen gegeben, daß wir die taz, den Halfzwaren und, ja, auch den neuesten Asterix-Band woanders zu erwerben gedenken, wenn wir sie neben der Nationalzeitung, der Soldatenzeitung und dem Landser-Heft suchen müssen? Wir bekommen ihn in vorsichtiger Dosierung mit dem täglichen Fernsehprogramm; wir gewöhnen uns an ihn. So wie Harald Juhnke ja nicht nur seinen eigenen Verstand versäuft, sondern mit seinen Ausfällen vorführt, was wir uns schon alles zu verzeihen bereit sind. Jedesmal wenn ein Sender Harald Juhnke verzeiht, verzeiht er auch dem häßlichen Deutschen, dem Suffnazi von nebenan. Das mediale Geschehen in Deutschland scheint derzeit vor allem eine listige Verhandlung über die Frage: Wieviel Faschismus wollen wir uns denn leisten?

Zugleich aber zeigt der neue deutsche Faschismus auch seine brutale Fratze im Untergrund. Er ist Alltag und Skandal zugleich, Grauen und Langeweile. Man kann sich an ihn gewöhnen, man kann mit ihm leben, man merkt ihn ja kaum, flüstert er von der einen Seite. Und von der anderen Seite schreit er Mord, legt Bomben und trampelt Menschen zu Tode. So sieht sich der Bürger in der Mitte zweimal zum Schweigen genötigt.

Der neue deutsche Faschismus hat seine Positionen im gesellschaftlichen Mainstream und seine Mythen der Dissidenz. Die neueste Variante scheint die amerikanische: der White-Trash-Rechtsanarchist mit der Pump-Gun im einsamen Kampf gegen alles, was er hassen muß; die Liberalen, die Kommunisten, die Frauen, die Schwulen, die Ausländer. Er sieht aus wie eine Gestalt aus einem häßlichen B-Movie, und genauso benimmt er sich auch. Er sucht nicht mehr, wie der gewöhnliche Neonazi, nach Anerkennung in der Mitte der Gesellschaft, von der er weiß, daß sie ihn stillschweigend duldet oder bewundert, er provoziert auch nicht mehr durch seine offen ausgelebte feige Brutalität wie der Nazi-Skinhead. Er bekriegt sogar die Gesellschaft, die ihn dulden würde, wenn seine destruktive Kraft nicht so sehr nach außen drängen würde. Er will nicht mehr vom Faschismus träumen, er will ihn leben. Jetzt.

Die Aufsplitterung der neofaschistischen Szenerie in unterschiedliche, ja widersprüchliche Lebens- und Todesmodelle hat mehrere Ursachen. Natürlich zwingt, ganz materiell, das Verbot offen neofaschistischer Organisationen ihre Mitglieder dazu, sich neu zu formieren. Das Verbot spaltet sie in einen Teil, der neue Organisationen und Tarnungen sucht, und einen anderen Teil, der in den Untergrund abtaucht. Die rationalen und die paranoiden Impulse brechen auseinander, um getrennt voneinander und doch nach wie vor gemeinsam zu wirken.

Aber dieser Prozeß ist nicht zu denken ohne die mediale Identifikation. Der Faschist alten Zuschnitts mit seiner Verbindung von Pflichttreue und Gewalt ist dabei nur eines von vielen Bildern – und gewiß nicht das attraktivste. Andere Bilder bietet die US-popular culture mit ihrer Bewunderung für den rechtsanarchistischen Einzelkämpfer, der immer mal wieder in den vietnamesischen oder kolumbianischen Dschungel zurückkehrt, um dort „aufzuräumen“, und der immer auch gegen den eigenen Staat, die Polizei sowieso, antreten muß. Er ist der Mann, der mit seiner Knarre eins wird. So macht der Waffenfetischismus den jungen Mann zu einer soziopathischen Bombe. Denn die Waffe ist das Versprechen, das gegen Impotenz- und Inferioritätsängste hilft.

Überflüssig wird dabei auch die Gegenüberstellung der Phantasien von neofaschistischen Verschwörungen einerseits und dem paranoiden Einzeltäter andererseits. Denn in den amerikanischen Militias, den Ku-Klux-Klan-Ablegern und rassistischen Gewaltzirkeln ist etwas Drittes entstanden: eine faschistische Subkultur, die den soziopathischen „Einzeltäter“ in Serie produziert und zugleich immer neue Bilder der populären Kultur besetzt. Dem halbfaschistischen deutschen Biedermann fehlte vordem ein Bild dafür, daß Neofaschisten auch Häuserbesetzer sein können. Daß sie sogar Polizisten ermorden, mag ihn vollends verwirren. Dennoch vernetzen sich die Bilder neofaschistischer Präsenz so sehr, wie sich die neofaschistischen Formen von Organisation und Subversion vernetzen. Der Neofaschist als neuer Outlaw-Mythos besetzt nicht zuletzt vakante Stellen in der populären Kultur. So erfahren wir von dem neonazistischen Polizistenmörder Kai D., daß sein Vater die Familie schon vor seiner Geburt verlassen habe und keinen Kontakt mit seinem Sohn aufgenommen habe. Und die Mutter solle gar „Mietschulden“ hinterlassen haben, als sie vor drei Jahren die gemeinsame Wohnung aufgab. Ist der neofaschistische Mörder Ausdruck des schmerzhaften Weges in die vaterlose Gesellschaft, der Kampfhund und die Pump-Gun Ersatz für das verweigerte ödipale Drama? Und wäre James Dean heute Nazi?

Nachdem man sich an die Gewalttäter, die Martin Walser verständnisvoll „Skinhead-Buben“ nennt, gewöhnt hat, wird nun der psychotische Mörder das nächste neofaschistische Authentizitätsmodell. Er hat die Fähigkeit, Angst zu erzeugen, und trägt die Phantasie des faschistischen Märtyrers schon in sich. Er ist Mörder und Selbstmörder zugleich, der Faschist, der nicht mehr warten will. Und er ist perfekter Ausdruck einer desolaten gesellschaftlichen Situation.

Gewiß gibt es eine strukturelle Ursache für die Entstehung des rechtsanarchistischen White Trash. Unsere Gesellschaft produziert eine Klasse von Verlierern, die keine Erklärung für ihr Verlierertum in der herrschenden Ideologie findet. Auch die populäre Kultur kann nicht erklären, warum ich zu den Verlierern gehöre. Ich habe keinen Spiegel, in dem ich mich sehen kann, so muß ich mein Bild erschaffen, mit Gewalt, mit was sonst. Um nicht zu den Ausgegrenzten zu gehören, muß ich die Ausgegrenzten bekämpfen. Dieser Prozeß muß sich hysterisieren, je weniger er im individuellen wie im sozialen Bereich so etwas wie eine Lösung erzielt. Der psychotische Rechtsanarchist ist ein notwendiges Abfallprodukt der großen gesellschaftlichen Lüge, in der wir leben. Georg Seeßlen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen