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■ Der „Fall“ des 11-jährigen Raoul WüthrichSieben Wochen in Untersuchungshaft

Wenn Raoul Wüthrich neben der US-amerikanischen nicht auch noch die Schweizer Staatsbürgerschaft hätte – außerhalb des kleinen Vororts von Denver würde wohl niemand seine Geschichte kennen. So aber diskutiert man nun in Derutschland und vor allem der Schweiz über die Moralvorstellungen in den USA und über den Umgang mit Jugendlichen in diesem Land.

Am 30. August wurde in Evergreen, Colorado, der 11-jährige Raoul gegen Mitternacht vom Sheriff aus dem Bett geholt, man legte ihm Handschellen und Fußeisen an und brachte ihn ins Jugendgefängnis. Am Dienstagabend, nach siebenwöchiger Untersuchungshaft, ordnete die Richterin nun seine Freilassung an; zunächst soll er in eine Pflegefamilie, dann in ein thearpeutisches Heim kommen. Raouls Eltern sind mit ihren drei Töchtern aus Furcht vor einer weiteren Verfolgung ihrer Familie, wie sie angaben, in die Schweiz geflohen.

Roul muss sich nun vor Gericht wegen „Inzests“ verantworten. Eine Nachbarin hatte beobachtet, wie er seiner 5-jährigen Schwester die Hose runterzog, an der Scheide des Mädchens fummelte und sein Gesicht dagegendrückte. Der Junge habe dem Mädchen nur beim Pinkeln helfen wollen, sagten die Eltern. Er selbst erklärte, er habe seiner Schwester Steine aus der Unterhose holen wollen.

Die Haft des Jungen wurde nicht nur aufgrund der Aussagen der Nachbarin, sondern erst nach einer Befragung des Mädchens durch eine Sozialarbeiterin angeordnet. In einer spieltherapeutischen Sitzung habe das Mädchen erzählt, dass Raoul sie regelmäßig begrapscht und ihr dabei immer das Versprechen abgenommen habe, „nichts der Mama zu erzählen“.

Die Verhaftung hat in der Schweiz zu einem Sturm der Entrüstung geführt, die Zeitung Blick sammelte bisher 9.000 Unterschriften für die Freilassung des Jungen. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sind Raouls Eltern an dessen langer Untersuchungshaft nicht unschuldig, der Junge hätte immerhin auf Kaution freikommen können. Durch ihre Abreise aber hätten die Eltern signalisiert, dass auch Raoul den Gerichtsterminen nicht nachgekommen wäre. Die Aufregung über diesen Fall erklärt die Sprecherin der US-Staatsanwaltschaft, Pam Dressler, mit den kulturellen Differenzen zwischen Europäern und Amerikanern. „Was in Europa eher mit sozialarbeiterischen Mitteln behandelt würde, gehen wir mit dem Strafgesetz an. Das ist es, wohin uns unsere gesellschaftliche Entwicklung geführt hat“, sagte sie der taz. Raoul droht eine zweijährige Jugendstrafe.

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