: Der Europastern wird jetzt zum Stier
Spanien übernimmt die EU-Präsidentschaft und will sich besonders um die Zusammenarbeit der Polizei kümmern
MADRID taz ■ Die spanische Regierung schaut mit gemischten Gefühlen ihrer EU-Präsidentschaft entgegen: „In unsere Amtszeit fällt die Einführung des Euro. Geht es gut werden uns alle loben, gibt es Probleme, sind wir der Sündenbock“, meint ein Sprecher des Außenministeriums in Madrid, der vorsichtshalber „schon mal beten“ will.
Seine Dienstherrn freilich versprühen Optimismus. Ein Europastern, der sich zum Stier verwandelt, schmückt das Emblem der spanischen Präsidentschaft. Bei innerer Sicherheit, Wirtschaftsreformen und Osterweiterung wollen die Konservativen von der iberischen Halbinsel für „mehr Europa“ sorgen. Das größte Anliegen ist inzwischen vom Tisch. Wie kein anders Land hat sich Spanien für den europäischen Haftbefehl stark gemacht. Die eigenen Präsidentschaft soll jetzt dazu genutzt werden, die genauen Richtlinien zur Umsetzung der polizeilichen und juristischen Zusammenarbeit auszuarbeiten. „Der Kampf gegen den Terrorismus ist das oberste Ziel unserer Präsidentschaft“, sagt Regierungschef Aznar. Schließlich erhofft er sich vom gemeinsamen polizeilichen Vorgehen Fahndungserfolge im Kampf gegen die baskische ETA.
Auch im wirtschaftlichen Bereich sieht sich der Konservative als Vorreiter. Wie kein anderes Land wusste Spanien den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten fünf Jahre zu nutzen. Eine Wachstumsrate, die ständig über drei Prozent lag, ließ im Schnitt täglich 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Das wiederum erlaubte eine Senkung der Lohn- und Einkommenssteuern, ohne wesentliche Kürzungen bei den Sozialleistungen. Diese Politik soll jetzt als Vorbild für Europa dienen. Aznar will die Liberalisierung der Wirtschaft vorantreiben. „Wir wissen sehr wohl, dass die Konjunktur der internationalen Wirtschaft nicht vorteilhaft ist, aber das darf nicht als Ausrede herhalten, um notwendige Reformen zurückzustellen“, erklärt er. Die Reform des europäischen Transportsystems, die Liberalisierung des Energie- und Finanzsektors, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes stehen ganz oben auf Aznars Liste.
Bei der Osterweiterung will Spanien alles daransetzen, um die „road map“ einzuhalten. Aznar reiste deshalb vor wenigen Wochen durch Europas Osten. Vor allem mit Polen baut Madrid die Beziehungen aus. Ein Abkommen erleichtert künftig die Immigration von polnischen Arbeitskräften nach Spanien. Von einer mehrjährigen Übergangszeit bei der Freizügigkeit, wie sie Deutschland fordert, will Aznar nichts wissen, denn Spanien braucht qualifizierte Immigranten. Die Annäherung an Polen hat noch andere Gründe. Das Land könnte schon bald Spanien die Rolle als größter Empfänger von EU-Hilfsgeldern streitig machen. Warum sich also in dieser Frage nicht zusammentun?
Bei der EU-Außenpolitik setzt Spanien auf die traditionellen Bindungen an Lateinamerika. Im Mai wird deshalb in Madrid der zweite Europäisch-Iberoamerikanische Gipfel einberufen.
REINER WANDLER
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