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Der Conti-Turm leuchtet bald wieder

■ Wo vor 60 Jahren die Nazis das Fernsehen starteten, eröffnet heute das Innova-Kaufhaus am Theodor-Heuss-Platz. Der stetige Wechsel der Hausnutzer spiegelt den Verlauf deutscher Geschichte

Bald leuchtet sie wieder, die Neonreklame, 44 Meter über der Stadt. Nur steht dann nicht wie früher „Conti-Reifen“ in Leuchtschrift am Turm, sondern „Innova“. Am Theodor-Heuss-Platz eröffnet heute das Innova-Kaufhaus im Gebäude des ehemaligen NAAFI-Zentrums. Dem schlichten Gebäude mit den zwei Seitenflügeln, in dem man ab heute Radios und Pullover kaufen kann, sieht man seine bewegte Geschichte nicht an.

Als Amerikahaus wurde es vor fast genau 70 Jahren am damaligen Reichskanzlerplatz als das modernste Gebäude Berlins eröffnet. Wegen der Stahlskelett-Bauweise nach US-amerikanischem Vorbild gab Bauherr Heinrich Mendelssohn dem Gebäude vis-à-vis zum Deutschlandhaus den Namen Amerikahaus. An seinem Turm prägte die erste Neonreklame der Stadt den nächtlichen Himmel: „Richtung Conti-Turm“ wurde im Volksmund bald zur feststehenden Ortsangabe.

Unter den Nazis wäre das Haus beinahe dem Schneidbrenner zum Opfer gefallen. Es galt als „Ausgeburt jüdischen Bauwesens“, die „jedes für Schönheit und Anstand empfindsame Auge stört“. Werner March, der Architekt des nahegelegenen Olympia-Geländes, sah besonders in der Leuchtreklame einen Schandfleck am Adolf-Hitler-Platz, wie er jetzt hieß.

Nur durch das Engagement Paul Rettigs, ein Mitarbeiter des nach London emigrierten Bauherren Mendelssohn, konnte das Haus gerettet werden. Er verteidigte den Conti-Turm als imposant, allein wegen seiner „nächtlichen Lichtwirkung“ und seines „grandiosen Flächeneffektes“, was mit ästhetischen Maßstäben nicht zu erfassen sei. Auch die Reifenfirma Continental, die nur ungerne auf ihre Werbetafel verzichten wollte, unterstützte ihn. Doch die Bemühungen hatten nur zum Teil Erfolg, das Haus blieb stehen, die Neonreklame mußte weichen.

Schon 1938 störten sich selbst die Nationalsozialisten nicht mehr an der modernen Architektur. Sie richteten im Amerikahaus das erste feste Fernsehstudio Deutschlands ein. Nach ersten TV-Experimenten bei Reichsparteitagen und der Olympiade 1936 wurde nun aus Charlottenburg mit einem flimmerfreien Bild ins Land gesendet. Privathaushalte mit Fernsehempfängern gab es jedoch kaum. Zum TV-Glotzen ging man wie ins Kino in einen der 15 öffentlichen Säle in Berlin. Propagandafilme wie „SA marschiert“ und Leni Riefenstahls „Triumpf des Willens“ wurden neben Lustspielen mit Marika Rökk und Axel von Ambesser vom Reichspostministerium gesendet, dem die Station unterstellt war. Bis zu einem Bombeneinschlag 1943 betrieben die Nazis täglich sechs Stunden Programm und Propaganda.

Nach Ende des Krieges begann auch für das Amerikahaus eine neue Epoche. Die britische Militärregierung quartierte in den Räumen für ihre Soldaten die NAAFI ein (Navy-, Army- and Airforce-Institute), mit eigenen Läden, einem Kino und dem bekannten BFBS-Sender. Kurzzeitig kehrte auch eine Leuchtreklame an den Reichskanzlerplatz zurück, wie er seit 1945 wieder hieß: Diesmal von „Telefunken“.

Mit dem Abzug der britischen Armee 1991 verstummte auch die Stimme des englischen Senders, die NAAFI räumte das Gebäude. Nach sieben Jahren Leerstand wird das Haus jetzt durch das Innova-Kaufhaus wieder mit Leben gefüllt. Wo einst Nazi-Fernsehen gemacht wurde, werden jetzt Fernseher verkauft. „Der Kreis schließt sich“, setzt Firmengeschäftsführer Henry Neumann auf die Geschichte des Hauses – allerdings nur was die Technik betrifft, nicht die Politik, wie sich Neumann auf Nachfrage zu betonen beeilt. Für Innovation, die seine Firma ja schon im Namen trage, habe das Haus schließlich immer gestanden, vom Baustil über die TV-Technik bis hin zur Leuchtreklame. Und die soll nun auch bald wieder leuchten. Ocke Bandixen

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