Der CDU-Parteitag und die Frauenquote: Dröhnendes Schweigen
Mit ihrem Antrag für eine Quote wollte die Frauen-Union als Tiger die CDU antreiben. Sie landet als Bettvorleger. Was ist da passiert?
A m Samstagmorgen ist Kristy Augustin spät dran. „Das Taxi kam nicht“, sagt sie und eilt auf ihren schwarzen Highheels Richtung Sitzungssaal in der Leipziger Messe. Dort sitzen die Brandenburger Delegierten. Augustin ist eine unter fünf Frauen und zwölf Männern. Dieses Geschlechterverhältnis umreißt recht anschaulich ein Problem der gesamten CDU, mit dem sich der 32. Bundesparteitag in Leipzig an diesem Wochenende befassen muss: dem Frauenanteil in der Partei und deren Zugang zur Macht.
Kristy Augustin, 40 Jahre und gerade wiedergewählte Landtagsabgeordnete, ist Landesvorsitzende der Frauen-Union, sie will eine Lösung. Der Parteitag aber wird die Frage erneut vertagen. Auch weil die Frauen so nett sein werden und der direkten Debatte ausweichen. Warum? Dazu später. Aber noch ist es Samstagmorgen, noch hat Kristy Augustin, die CDU-Familienpolitikerin aus dem Oderbruch kurz vor Polen, es eilig. Noch sagt sie: „Wir brauchen hier auf dem Parteitag eine deutliche Botschaft. Die Frauen-Union muss hier zeigen, was sie will.“
Was will sie denn, die Frauen-Union mit ihren 150.000 Mitgliedern? Kurz gesagt: endlich neue Regeln, um mehr Frauen an die Schaltstellen der Politik zu bringen und so die gesamte Partei anschlussfähiger, attraktiver für Wählerinnen zu machen, für die Chancengleichheit nicht nur eine Floskel ist. Anderen ist das egal oder sie sind strikt gegen Quoten – überraschenderweise nicht nur die Männer, sondern auch der Parteinachwuchs. Sie finden, die Frauen sollten einfach mitmachen, dann würde sich das Problem schon von selbst erledigen.
Es ist das alte Henne-Ei-Problem: Erfüllt die CDU ihre selbst gesetzte, eigentlich verpflichtende 30-Prozent-Quote nicht, gerade weil oder eben obwohl Frauen fehlen, die bereit sind, mitzutun, Verantwortung zu übernehmen? Die Frauen-Union findet, erst müssten die Strukturen geschaffen werden. Ihre KritikerInnen meinen, die Partei sei offen für jeden und jede. Kristy Augustin sagt es so: „Wir sind eine Volkspartei, also brauchen wir auch eine Repräsentanz von Frauen.“
Radikale Töne für eine konservative Partei
An diesem Samstag soll der Parteitag deshalb über einen mit viel Aufmerksamkeit bedachten Antrag der Frauen-Union im Bereich Struktur- und Satzungsfragen abstimmen. Auf Seite 166 des 363 dicken Buches findet sich Antrag C63: „Mehr Frauen in der CDU, in Ämtern und Mandaten“. Der Ton des Textes klingt für diese immer noch große bürgerliche Partei erstaunlich genervt. Die CDU, steht da, habe frauenpolitisch „ein Umsetzungs- und Durchsetzungsproblem“. Allen sei das bewusst, über verbindliche Zielvorgaben für mehr Frauen in Ämtern und Mandaten werde seit anno 1985 diskutiert. Gefasste Beschlüsse wie das 30-Prozent-Quorum würden nicht umgesetzt, sondern – im Gegenteil – permanent unterlaufen. Fraktionen der CDU in Kommunen, Kreistagen und Ländern zählten regelmäßig zu denen mit dem geringsten Frauenanteil.
So weit die Problembeschreibung. Nun zu den Lösungsvorschlägen. Das Quorum, fordern die Frauen, müsse endlich verbindlich werden. Wahllisten sollen künftig nach dem Reißverschlussprinzip besetzt werden. Dies müsse „mindestens für die Anzahl der Kandidatinnen und Kandidaten gelten“, wie es der Zahl der Abgeordneten entspricht. Das hieße: Parität. Und: Über den parteiinternen Finanzausgleich sollen außerdem Verbände belohnt werden, die das Paritätsprinzip tatsächlich durchsetzen. „Das Ziel ist die Erhöhung des Frauenanteils in der Mitgliedschaft, in allen Funktionen und auf allen Ebenen bis hin zur hälftigen Teilhabe.“ Das klingt nach Revolution, jedenfalls für eine konservative Partei. Doch noch bevor es an die Debatte über den Antrag geht, gilt als ausgemacht, dass der Parteitag nicht darüber abstimmen wird.
Kristy Augustin
Denn die Antragskommission hat einen Kompromiss gefunden: Der Vorschlag der Frauen wird in eine – noch zu bildende – Struktur- und Satzungskommission verwiesen. Annette Widmann-Mauz, die Vorsitzende der Frauen-Union und Staatsministerin für Integration im Kanzleramt, sagte vor dem Parteitag der taz: „Wir geben unsere Ziele nicht auf. Es gibt unterschiedliche Wege, aber es muss klar sein: Beim Parteitag 2020, da wird die CDU sich entscheiden müssen.“
Dahinter steht auch die Einsicht, dass die Frauen in der Union ihrer Spitzenfrau Annegret Kramp-Karrenbauer in schwierigen Zeiten nicht auch noch eine Geschlechterdebatte ans Bein binden wollen. Ein Thema, bei dem es um verbriefte, nicht nur freundlicherweise zugestandene Beteiligung für Frauen geht, kommt in Zeiten der aufgebrachten Jungs nicht gut an. Die Truppen gegen Kramp-Karrenbauer werden für alle sichtbar von Männern angeführt; sie heißen Friedrich Merz, Tilman Kuban, Carsten Linnemann. Eine Fokussierung auf ihr Geschlecht, gar eine gönnerhafte Erzählung kann Annegret Kramp-Karrenbauer in Leipzig gar nicht gebrauchen. Die Abstimmung darüber würden ihre Gegner sie mit Freuden verlieren sehen. Ob sie eine Frau ist, soll dabei keine Rolle spielen.
Die Pointe: Dass sie eine ist, wird gerade von ihren Kritikern gern als Beweis dafür hergenommen, dass bei der CDU alle was werden können. Merkel, Kramp-Karrenbauer, von der Leyen – da sehe man es doch. Wozu also noch Quoten, die hier gern „Verbote“ genannt werden. Gemeint sind damit Verbote für Männer. Man kann das als typische CDU-Haltung verstehen, die Frauenfrage in diese extra zu bildende Strukturkommission zu verweisen. Intern strittige Themen werden nicht gern öffentlich debattiert – in der Hoffnung, dass man auf diese Weise einen Kompromiss finden möge, dem die Mehrheit zustimmen kann. Das Problem: Eine Quote für Frauen kann kein Kompromiss sein. Entweder es gibt sie oder eben nicht. Insofern ist nur zu verständlich, dass die ohnehin nur 26 Prozent der Mitgliedschaft ausmachenden Frauen die Faxen dicke haben und eine Entscheidung erzwingen wollen. Und wenn sie das schon nicht hinkriegen – diesmal nicht –, dann wollen sie wenigstens für Öffentlichkeit sorgen. Und Öffentlichkeit bedeutet bei der CDU: Streit. Unangenehm. Kristy Augustin sagt: „Jetzt wollen wir mal sehen.“
Wiebke Winter belässt es bei „Ich will #MehrMädels“
Extra zur Abstimmung ist Wiebke Winter nach Leipzig gereist. Winter ist 23 Jahre alt und seit diesem Jahr Vorsitzende der Jungen Union in Bremen. Sie ist eine Gegnerin der Frauenquote. Ihre Überzeugung: „Wir brauchen keinen Kampf der Geschlechter, sondern ein Miteinander.“ Winter ist außerdem für eine gewisse Leichtigkeit bei diesem hart umkämpften Thema, das in CDU und CSU gern als zweit- bis drittrangig beiseite gewischt wird. Im Oktober, beim Deutschlandtag der Jungen Union in Saarbrücken, haben Wiebke Winter und andere junge Frauen Sticker verteilt: „Ich will #MehrMädels (in der JU)“. „Das klingt nicht so aggressiv und verbissen, ist aber eine klare Message“, sagt Winter.
Überhaupt findet sie, dass jedeR was werden kann in der Union, egal welchen Geschlechts. Wenn ältere Frauen in der Partei ihr erzählen, auch für sie werde es einen Punkt geben, an dem sie in der Partei als Frau nicht weiterkommt, ist sie leicht genervt. „Meine Generation ist anders. Es ist nicht alles perfekt, aber schon deutlich besser als für die Frauen damals.“
Jetzt steht sie am Rande des Plenums, den Schal hat sie locker um den Blusenkragen geschlungen, am linken Arm trägt sie eine Handtasche. Sie ist bereit zur Auseinandersetzung. Mit anderen Aktiven der Jungen Union hat sie schon besprochen, wer für den Parteinachwuchs ans Rednerpult gehen soll, wenn die Frauen-Union ihre Plädoyers für ihren weitreichenden Antrag hält. Wiebke Winter rechnet mit mehreren Wortwechseln in der Sache.
Und wie es so ist auf einem Parteitag, bei dem alle durcheinanderwuseln, läuft gerade direkt vor ihr die Chefin der Frauen-Union vorbei. „Frau Widmann-Mauz“, spricht Winter sie an, „ich hatte Ihnen einen Brief geschrieben, den Sie nicht beantwortet haben.“ Das fängt ja gut an. Widmann-Mauz hat es eilig, gleich wird über C63 abgestimmt. Aber sie fragt freundlich nach, sie hat den Brief gerade nicht auf dem Schirm und hat auch keinen Schimmer, wen sie vor sich hat. Wiebke Winter sagt nun, sie habe ihr geschrieben, um der Behauptung entgegenzutreten, nur die Frauen-Union kämpfe für die Belange von Frauen. Es folgt eines dieser körpersprachlich interessanten Gehakel unter Frauen: Man bleibt freundlich im Ton, dabei beharrlich in der Sache, Argumente werden von piksenden Zeigefingern untermalt. So, jetzt muss Annette Widmann-Mauz aber weiter. Einen wunderschönen Tag noch! Ebenso! Wiebke Winter wirkt zufrieden.
Es rührt sich keine Hand. Stille
Dann ist es endlich so weit. Um halb eins wird in der Leipziger Messehalle über den vor dem Parteitag als Sprengstoff gehandelten Antrag der Frauen-Union abgestimmt. Der Tagungsleiter, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, ruft Antrag Nummer C63 auf. Jetzt wird es spannend. Günther sagt, dass die Parteitagsregie vorschlägt, den Antrag in die Struktur- und Satzungskommission zu verweisen. „Gibt es dazu Wortmeldungen?“ fragt er in den Saal, in dem sich Hunderte Delegierte emsig über ihre Papiere und Ipads beugen.
Es rührt sich keine Hand. Keine Stimme. Günther schaut irritiert auf, fragt noch einmal nach: Irgendwelche Wortmeldungen zum Antrag der Frauen-Union? Das ist nicht der Fall. Aha. Der Antrag, der eben noch wahnsinnig wichtig und sinnstiftend war, wird ohne Debatte, ohne eine Stellungnahme, ohne Gegenrede verwiesen.
Diana Kinnert
Wie hat Kristy Augustin, die Frauen-Unions-Chefin aus Brandenburg, gesagt? „Jetzt wollen wir mal sehen.“ Zu sehen ist aber exakt: nichts. Stattdessen betretenes Schweigen und auf Nachfrage der taz nach dem Warum eine Mail der Sprecherin der Frauen-Union: „Annette Widmann-Mauz hat in der allgemeinen Aussprache am Freitag bereits dazu Stellung genommen. Und Zustimmung der Frauen Union zum Verweis signalisiert. Weder Befürworter noch Kritiker wollten eine langwierige Debatte.“
Tatsächlich hatte Widmann-Mauz am Freitag als achte Rednerin nach der Vorsitzenden das Wort ergriffen. Von ihren dreieinhalb Minuten Redezeit widmete sie exakt eine Minute dem Thema. Man musste aber schon genau hinhören: Weder der Begriff Quote noch gar Parität, nicht einmal das Wort Frauen störte das Harmoniebedürfnis der tausend Delegierten. Sie glaube, sagte sie da, „es ist ein guter Weg, denn wir können ihn gemeinsam gehen“. Anschließend konzentrierte sie sich auf das Thema Integration und Zuwanderung. Tatsächlich alles andere als „eine langwierige Debatte“ zu einem Thema, das in Zeiten von der CDU abwandernder Wähler überlebenswichtig ist.
Die Männer sind weniger bescheiden
Für andere in der Partei hingegen scheinen langwierige Debatten über ihnen wichtige Themen kein Problem darzustellen. Tilman Kuban, der lautstarke Vorsitzende der Jungen Union, nutzt direkt nach der sprachlosen Frauen-Union die Gelegenheit, bei den Delegierten für den Antrag des Parteinachwuchses auf Urwahl eines künftigen Kanzlerkandidaten zu werben. Er weiß: Nach der erfolgreichen Rede der von ihm hart kritisierten Parteivorsitzenden Kramp-Karrenbauer und dem arg vagen Auftritt von JU-Posterboy Friedrich Merz tags zuvor hat er hier und heute keine Chance auf Zustimmung. Aber er tut, was man halt so macht in einer Partei: hingehen und sagen, was seine Junge Union fordert.
Die Delegierten mögen murren, sogar lachen. Der Applaus ist mau, die Ablehnung groß – aber er hat gesprochen. Man sieht sich schließlich immer zweimal, bei der CDU eher zigmal, und dann ist wieder ein kleines Stück gedanklichen Spielraums erobert. Urwahl – das mögen sie hier nicht. Frauenquote – mögen sie auch nicht, schaut man in die ganz überwiegend männlichen Gesichter der Delegierten. Aber freundlicherweise hat die Frauen-Union den Delegierten erspart, sich irgendwie zu diesem Thema verhalten zu müssen. Eine schicke neue Kommission und weg auf Wiedervorlage – es kann so bürgerlich friedlich zugehen bei der Christlich Demokratischen Union.
Diana Kinnert findet das Ergebnis deprimierend
Für ihre Verhältnisse geradezu sauer steht Diana Kinnert in der Messehalle und sagt: „Furchtbar. Vielleicht bin ich einfach zu naiv, was Parteitage angeht, vielleicht ist das hier auch nur Abstimmungsfolklore.“ Die 28 Jahre alte Frau mit dem markanten Hut ist seit elf Jahren CDU-Mitglied. Sie reist durch die Welt, berät Regierungen und Nichtregierungsorganisationen in Fragen von Diversität und Nachhaltigkeit. In ihrer Partei arbeitet sie im Bundesfachausschuss für gesellschaftlichen Zusammenhalt mit, sie ist ein modernes Gesicht der überalterten Volkspartei, das gern vorgezeigt wird. Jetzt grummelt sie: „Du musst doch nach vorne gehen, wenn du was willst.“
Im September war sie noch von Annette Widmann-Mauz zum Bundesdelegiertentreffen der Frauen-Union eingeladen worden, sie hat eine Keynote gehalten. Die Frauen haben dort den Antrag beschlossen, der an diesem Samstag geräuschlos in den Arbeitskreis weggestimmt worden ist. „Das war so kraftvoll bei der Frauen-Union“, erinnert sie sich, „aber hier spielt das gar keine Rolle mehr, schrecklich.“ Kinnert sagt selbst, dass sie nicht viel von Quoten hält. Sie glaube schon lange nicht mehr an soziologische Kategorien wie Herkunft, Alter oder Bildung. Aber das Geschlecht sei nicht zu ignorieren. „Es ist nicht tragbar, dass wir nur zwanzig Prozent Frauen auf allen Ebenen haben“, sagt sie über ihre Partei. „Wenn keine anderen Instrumente wirken, muss es jetzt eben eine Frauenquote geben – den Punkt habe ich erreicht.“ Es klingt, als wundere sie sich ein bisschen über sich selbst.
Und Kristy Augustin? Sehr wortkarg steht die Brandenburger Frauenunion-Vorsitzende am Samstagnachmittag in der Leipziger Messehalle. „Ich würde mal sagen: geräuschlos in die Strukturkommission.“ Auf die Frage, warum ihre Frauen-Union den Antrag C63 nicht mit den Delegierten debattiert, nicht einmal erklärt habe, antwortet sie, dass die Diskussionen eher „im Vorfeld“ stattgefunden hätten. Und dann findet sich noch dieser Satz im Notizblock: „Schade, dass es schon so spät ist.“ Weiß Gott, das ist es.
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