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Der Berliner Wochenendkommentar IMinimale Menschlichkeit

Kündigung wegen Eigenbedarf ist rechtens: Wohnraum hat einen emotionalen Wert. Das Mietrecht behandelt ihn nur als Ware. Sich darüber aufzuregen, ist richtig.

Sich ein leeres Zimmer leisten können? Das ist Luxus und kein Grundrecht Foto: Unsplash/Philipp Berndt

Menschen öffentlich an den Pranger zu stellen ist nie schön. Selbst dann, wenn man vor Ungerechtigkeit toben und sich über individuelles Fehlverhalten aufregen möchte, ist ein Shitstorm gegen eine Einzelperson zumindest aus ethischer Perspektive kaum vertretbar.

Manchmal steht das Fehlverhalten einer Person dennoch für etwas Größeres, das öffentliche Aufmerksamkeit fordert – für grundlegend verfehlten MieterInnenschutz zum Beispiel. So im Fall von Jürgen Rostock: Wegen Eigenbedarf kündigte die Eigentümerin dem über 80-Jährigen seine Wohnung in der Torstraße. Er klagte aufgrund seines fortgeschrittenen Alters auf Härtefall, verstarb jedoch während des laufenden Verfahrens. Das Landgericht Berlin entschied am Dienstag nun zugunsten der Eigentümerin.

Eigentum verpflichtet, bloß leider nicht zu Menschlichkeit. Es lässt sich darüber streiten, ob die Eigentümerin mit Nachwuchswunsch nicht genauso ein Anrecht auf die Wohnung hatte wie der über 80-jährige Langzeitmieter. Vor Gericht war der Fall klar, weil die Härtefallregelung nach Rostocks Tod hinfällig ist.

Rechtens ist nicht immer gleich richtig

Schmerzhaft ungerecht wird die Geschichte durch ihren Kontext. Die Eigentümerin hat (noch) kein Kind. Sie lebt in einer etwas kleineren Dreiraumwohnung, wo es aber – wie sie im Interview mit einem Minimalismus-Blog sagt – bereits in einem der Räume hallt wie im Museum, weil sie sich dem entbehrungsfreudigen Lifestyle entsprechend vieler Besitztümer entledigt hat.

Jürgen Rostock hatte in seiner Dreizimmerwohnung wohl ebenfalls kein Platzproblem, lebte aber seit fast 30 Jahren in dem Wohnhaus und seinem Kiez. Die Moral würde hier die rechtlich, emotional und körperlich schwächere Partei schützen. Das Gesetz tut das nicht, und darüber muss man sich aufregen.

Besonders jetzt, wo Wohnraum zum Luxusgut geworden ist, darf diese Diskrepanz zwischen dem, was richtig ist, und dem, was rechtens ist, nicht sein. Wohnraum ist eben keine austauschbare Ware, sondern ein Ort mit emotionalem Wert. Dieser Wert steigt in der Regel, je länger man in der Wohnung Routinen entwickelt, Erinnerungen schafft und das Selbst durch Nippes oder Einrichtungsgegenstände nach außen kehrt. Diese Tatsache ließe sich unkompliziert juristisch verankern.

Wer zum Beispiel in Dänemark LangzeitmieterIn ist, kann selbst bei Eigenbedarf nicht so leicht gekündigt werden. Wenn in Frankreich ein Mietverhältnis mit über 65-Jährigen beendet werden soll, gilt eine Kündigungsfrist von drei Jahren. Dann müssen EigentümerInnen Ersatzwohnungen für die MieterInnen finden. Es gibt genug Möglichkeiten; um sie einzufordern, braucht es öffentlichen Druck.

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5 Kommentare

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  • und hier noch ein Link, wo man all das nachlesen kann:

    www.finanztip.de/k...igung-mietvertrag/

  • In Deutschland gibt es auch lange Kündigungfristen für Wohnungsmiete, die mit der Dauer des Mietverhältnisses steigt. In Deutschland genießen darüber hinaus alte Mieter auch zusätzlich Räumungsschutz, wenn zB eine Gesundheitsgefahr nachgewiesen ist. Die Vermieterin hätte mit der erfolgreichen Kündigungsklage also die Wohnung noch keineswegs sicher "leer" gehabt.

    Das Problem, das hier behauptet wird, gibt es so nicht.

    Zudem sollte man berücksichtigen, dass der verstorbene Mieter erst mit über 60 in die Wohnung eingezogen ist, die für eine Einzelperson sehr groß ist. Vermutlich war er solventer und "sicherer" als zB eine arme Familie, deren Vater ja jederzeit arbeitslos werden könnte.

  • Liebe Lin Hierse,



    was sollen diese Unterstellungen?



    Wollen Sie der Eigentümerin etwa vorschreiben, dass sie sich gefälligst erst schwängern lassen muss, um dann ein Recht an ihrem Eigentum anmelden zu "dürfen"?



    Die derzeitige Wohnung der Eigentümerin ist mit 64m² lediglich 3/4 so groß wie die Wohnung des Verstorbenen, also nicht nur "etwas kleiner" (sic!) wie von Ihnen behauptet.



    Dass ein Raum nicht oder nur spärlich eingerichtet ist sagt nichts über dessen Nutzung durch die Eigentümerin aus.



    Wieso ist der Beklagte die"rechtlich, emotional und körperlich schwächere Partei"?



    Kennen Sie Eigentümerin und den Verstorbenen wirklich persönlich und so gut, dass Sie sich ein Urteil darüber erlauben können?



    "Wohnraum ist ... ein Ort mit emotionalem Wert." Nein, der Wohnraum selbst ist zwar im Grundgesetz geschützt (Art. 13 GG), der "emotionale Wert" liegt jedoch ausschließlich im Selbstverständnis des Mieters. Wieso sollte dieser mit fortschreitender Mietdauer steigen? Dem gegenüber steht der Eigentumsanspruch des Vermieters (Art. 14 GG).



    Ach ja, das Mietrecht im Ausland!



    Im ach so schönen Dänemark dann bei ausbleibender Mietzahlung bereits nach 14 Tagen ein Räumungstitel erwirkt werden. In Köln z. B. dauert das zur Zeit 2 Jahre.



    Die französischen Mietverträge sind durchwegs befristet auf 3 (6 bei gewerblichen Vermietern) Jahre und können zum Ablauf hin gekündigt werden. Der Verkauf der Immobilie ist auch ein Kündigungsgrund. Die Vermieterpflicht zum Suchen und Finden von Ersatzwohnungen ist unter Juristen stark umstritten.



    Was sollen diese Unterstellungen? Sie schüren noch den Hass auf



    die bereits mit vollem Namen im Netz angeprangerte Eigentümerin.



    Ihre Forderung nach "öffentlichen Druck" klingt stark nach "Volkszorn".



    Dann muss aber auch andererseits das öffentliche Anprangern von unbotmäßigen Mietern legalisiert werden. Das wird ein Shitstorm par excellence.

    • Lin Hierse , des Artikels, taz-Redakteurin
      @Saccharomyces cerevisiae:

      Liebe*r Saccharomyces Cerevisiae,

      ich bin definitiv nicht dafür "Volkszorn", geschweige den Hetze gegen die Eigentümerin zu richten. Öffentlicher Druck sollte sich aus meiner Sicht gegen den verfehlten Mieter*innenschutz bemerkbar machen, für den der hier geschilderte Einzelfall steht. Dass ich mit meinem Kommentar Hass schüren will ist – um Ihren Kommentar aufzugreifen – eine Unterstellung, der ich an dieser Stelle nochmals widerspreche.

      Ich habe in diesem Kommentar mein Unbehagen und Unverständnis darüber artikuliert, dass der auch von Ihnen genannte Eigentumsanspruch von Vermieter*innen gesetzlich stärker geschützt wird, als die Bedürfnisse von Mieter*innen – insbesondere zu Zeiten, in denen es in Berlin fast unmöglich geworden ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

      Dass Wohnraum auch einen emotionalen Wert hat, der in oft in Zusammenhang mit der Wohndauer steht und insbesondere für ältere Mieter*innen von Bedeutung ist, lässt sich im Feld der Wohnraumforschung oder der home studies nachlesen.

      Mit freundlichen Grüßen



      Lin Hierse

    • @Saccharomyces cerevisiae:

      Im Wesentlichen stimme ich Ihnen zu, aber der "öffentliche Druck", den die taz fordert, ist doch recht klar auf die Politik bezogen, Gesetzte zu ändern und nicht auf diesen Einzelfall oder gar auf persönlichen Druck gegen die Vermieterin.