: Der Anti-Antifa-Bauernhof
Ein Verein droht Mitgliedern mit Kündigungen, wenn sie sich auf dem Vereinsgelände politisch äußern. Nach Kritik daran wird einem ansässigen Pferdeprojekt gekündigt
Von Nicolai Kary
Auf dem Kinderbauernhof „Ilse Reichel“ in Alt-Großziethen tummeln sich Hühner, Bienen, Katzen, Schafe, Ziegen, Esel und vor allem Pferde. Unweit des Berliner Flughafens hat man es sich zur Aufgabe gemacht, einen Wohlfühlort für Mensch und Tier zu sein. Kinder werden in die Betreuung der Tiere mit eingebunden und sollen so Verantwortung, Teamgeist und den respektvollen Umgang mit Tieren erlernen, heißt es auf der Website des Kinderbauernhofs. Auch ein Verein für therapeutisches Reiten ist auf dem Gelände ansässig. Das Pferdeprojekt Förderverein für Mensch & Tier e. V. bietet pferdegestützte Therapien für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an.
Mit Grundsätzen wie „füreinander dasein“ und „Verantwortung übernehmen“ wirbt der Trägerverein des Kinderbauernhofs, der Eltern-Kinder-Kreis Gropiusstadt Nord e. V, auf der Website, aber auch „Demokratie lernen“. Politische Meinungsäußerungen jedweder Form will der Vorstand des Trägervereins jedoch vom Areal des Kinderbauernhofs verbannen.
Das geht aus einer internen E-Mail des Vorstands an die Mitglieder des Vereins hervor, die der taz vorliegt. Darin heißt es, man dulde „politische Meinungsäußerungen, Propaganda und/oder Symbole“ nicht, „ob durch Kleidung, Verhalten, Gespräche, etc.“. Dies gelte für Mitglieder sowie „Nichtmitglieder“, also Besucher:innen. Wer sich nicht an die entsprechende Vorgabe hält, dem könne die Kündigung von Verträgen, ein Ausschluss aus dem Verein, von Veranstaltungen oder ein Hausverbot drohen.
Kleidung mit politischen Botschaften sorgen bekanntermaßen immer wieder für politische Diskussionen, so auch in diesem Fall: „Leider mussten wir feststellen, dass während des Sommerfestes (…) einige Mitglieder bzw. Unterstützer des Vereins Kleidung mit politischen Botschaften getragen haben“, heißt es in der internen E-Mail des Vorstands des Trägervereins. Auslöser für die Mail sind T-Shirts mit den Aufschriften „Alle meine Freunde hassen die AfD“ und „FCK ich bin ja kein Nazi aber …“, die auf Vereinsfesten getragen wurden.
Das Verbot rechtfertigt der Vorstand des Kinderbauernhofs in der Mail an die Mitglieder auch mit Verweis auf das Grundgesetz. Zwar habe jede:r das Recht auf freie Meinungsäußerung, allerdings fänden diese Rechte „ihre Schranken (…) zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“, heißt es in der Mail an die Mitglieder. Zudem sei in der Vereinssatzung festgelegt, dass der Verein „parteipolitisch und konfessionell neutral“ sei.
Mitglieder wehren sich
Nun formiert sich intern Protest. Aus Sorge, zur Zielscheibe zu werden, wollen die Mitglieder des Vereins jedoch nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen. „Anstatt Meinungsfreiheit zu respektieren, wird hier versucht, Stimmen zu kontrollieren und kritisches Denken kleinzuhalten“, sagt ein Mitglied der taz. Es mache Angst, dass rechte Politik zunehmend in alle Lebensbereiche eingreife „und unter dem Deckmantel der Neutralität ein Klima geschaffen wird, in dem Vielfalt und freie Haltung keinen Platz mehr haben“. Wer so handele wie der Vorstand des Kinderbauernhofs, stelle sich „nicht auf die Seite der Demokratie, sondern schwächt sie“, so das Mitglied.
Ein weiteres Mitglied, das ebenso anonym bleiben möchte, sagt der taz: „Es entsteht der Eindruck, dass gesellschaftskritische Meinungen vom Verein nicht erwünscht sind“. Der Vorstand sei damit „weit übers Ziel hinausgeschossen“. Kritische Stimmen würden unter „fadenscheiniger Rechtsauslegung unterdrückt“. Eine Rücknahme des Verbots sei wünschenswert, so das Mitglied.
Darüber, dass sich „einige Mitglieder“ eine Rücknahme des „Verbotes politischer Äußerungen“ wünschen, will der Vorstand nichts wissen. Zutreffend sei, dass „zwei Mitglieder (…) Kommunikationsbedarf mit dem Vorstand angemeldet haben“, heißt es in der Antwort des Vorstands auf eine taz-Nachfrage. Der Vorstand des Eltern-Kinder-Kreises Gropiusstadt Nord e. V. beharrt auf den angebrachten Argumenten und sieht sich im Recht: In der Antwort heißt es, die Mehrheit der Mitglieder habe sich gewünscht, dass er seine „satzungsgemäßen Aufgaben“ wahrnehme. Den Vorwurf, dass man mit dem Verbot „gesellschaftskritische Meinungen“ unterdrücke, weist der Vorstand zurück. Auf rechtsextreme Verhaltensweisen eines Mitglieds habe man in der Vergangenheit „genauso bzw. noch deutlicher“ reagiert.
Doch ist eins solches Verbot auf einem Vereinsgelände überhaupt rechtlich zulässig? Mit Blick auf die angesprochenen Symbole stellt Lukas Theune vom Republikanischen Anwaltsverein fest, diese seien „selbstverständlich von der Meinungsfreiheit gedeckt“. Theune hält das Vorgehen des Vereins für „absolut unzulässig“. Etwaige politische Botschaften dürften nicht zur Grundlage von Sanktionen gemacht werden. Die Behauptung, man habe in der Vergangenheit auch etwas gegen rechtsextremes Verhalten gemacht“, sei „selbstverständlich nicht geeignet, die Meinungsfreiheit der Mitglieder einzuschränken“, sagt Theune.
Dieser Einschätzung schließt sich auch der Rechtsanwalt Michael Röcken mit Schwerpunkt Vereinsrecht an. Zwar könne ein Verein im Rahmen seines Hausrechtes auf bestimmte Verhaltensweisen hinweisen und Gäste des Vereinsgeländes bei Verstößen verweisen. Problematisch werde es jedoch, „wenn diese ‚Verstöße‘ Ausdruck der Meinungsfreiheit sind“. Für die entsprechenden T-Shirts treffe das allerdings zu.
Nach interner Kritik scheint die Situation auf dem Gelände zu eskalieren. Dem auf dem Gelände ansässigen Pferdeprojekt für therapeutisches Reiten werden Ende September Koppel, Weide, Reithalle und Räumlichkeiten mit einer sechsmonatigen Frist ohne Angabe von Gründen gekündigt.Das Pferdeprojekt hatte nach taz-Informationen erst Anfang September das Verbot in einer internen Mail an den Vorstand des Kinderbauernhofs stark kritisiert.
Einen Zusammenhang weist der Vorstand des Kinderbauernhofs von sich und rechtfertigt die Kündigung damit, dass das Pferdeprojekt „schon seit längerer Zeit konkrete Trennungsabsichten“ hege. Das betroffene Pferdeprojekt wollte sich auf taz-Anfrage dazu in der Zeitung nicht äußern, wohl auch, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Das Pferdeprojekt sucht derweil bereits nach einem neuen Gelände für ihre Tiere. Bis April müssen sie das Gelände räumen.
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