Der 1. Mai in Berlin: Autonom ist out
Propalästinensisch ist in: Ausrichtung und Wirkung der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ hat sich deutlich verschoben. Friedlicher ist sie auch.
Doch mit diesem Jahr ist noch eine weitere Tradition – womöglich endgültig – Geschichte, die des autonomen 1. Mai. Anarchist:innen und Autonome, das waren lange die prägenden Subszenen der radikalen Linken, die das Bild bestimmten, für Außenstehende erkennbar in ihrer Formierung als Schwarzer Block. Nun aber sind, bis auf ein paar wenige Ausnahmen wie einem 200 Personen umfassenden radikalfeministischen Block, jene radikalen, undogmatischen Linken von der Demo verschwunden.
Der Wandel hatte sich schon eine Weile abgezeichnet, darf aber nun zumindest vorerst als abgeschlossen gelten. Die Demo wird organisiert und dominiert von kommunistischen Gruppen, ob sie nun Kommunistischer Aufbau oder Bund der Kommunist:innen heißen, die, wie stets, von einer revolutionären Massenpartei träumen. Abzulesen ist deren Dominanz nicht nur an den prägenden roten Fahnen, sondern auch am Wechsel des Demonstrationsorts. Dieser hat sich von der einstigen Autonomenhochburg Kreuzberg inzwischen vollständig nach Neukölln verlagert.
Das spricht gleichwohl dafür, dass die organisierenden Gruppen, zu denen federführend auch die Migrantifa gehört, als Ziel ihrer Agitation hauptsächlich die oft marginalisierte, meist migrantische Jugend ins Auge fassen. Angesichts einer schwindenden klassischen linksradikalen Szene, ob autonom oder post-autonom, ist die Fokussierung auf andere Zielgruppen nachvollziehbar – und durchaus erfolgreich: Mit 15.000 bis 20.000 Demonstrant:innen, die inzwischen regelmäßig angezogen werden, ist der Revolutionäre 1. Mai so groß wie nie zuvor in seiner Geschichte.
Einseitig
Sie war aber auch so einseitig wie nie. Das Thema Palästina, in Form der Solidarität mit den Palästinenser:innen, dominierte nahezu den gesamten Demonstrationszug, der ganz bewusst durch die Sonnenallee, das Zentrum jener Proteste in den vergangenen Monaten, führte. Die anderswo umstrittene Klassifizierung des Gaza-Kriegs als „Genozid“ war hier unwidersprochen, mitunter hatte es fast den Anschein, Palästina gilt für jene Linken als das gelobte Land.
Andere relevante Themen, sei es die gerade in Berlin so existenzielle Mietenfrage oder auch, größer, die soziale Frage als Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, jene nach der Klimakatastrophe oder dem drohenden Faschismus spielten keine Rolle, weder auf Transparenten noch in Sprechchören.
Trotz vereinzelter verbotener Slogans, etwa „From the river to the sea“, mitunter leicht abgewandelt, legten es die Teilnehmer:innen aber nicht wirklich darauf an, die niedrige Eingriffsschwelle der Polizei für jene Formen der Meinungskundgebung zu überschreiten. Zwar stand ein Eingreifen der argwöhnisch lauschenden Polizist:innen mehrfach kurz bevor, zweimal wurde der Zug auch kurz gestoppt, aber letztlich setzte auch die Polizei auf Deeskalation.
34 Festnahmen
Zu Festnahmen, vor allem nach Beendigung der Demo, kam es dennoch. Laut vorläufiger Bilanz wurden 34 Demonstrant:innen vorläufig festgenommen und 39 Strafverfahren eingeleitet, nach 117 im Vorjahr. Fünf Polizist:innen wurden leicht verletzt, so wenig wie nie. Aus Sicht von Polizei und Innensenatorin ist das auch ein Verdienst eines fast erdrückenden Aufgebots, oder wie es Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik formulierte: „Eine deutliche Präsenz lässt schon manches im Keim ersticken.“
Etwa 6.000 Polizist:innen sind es, die alljährlich das Demonstrationsgeschehen in Berlin begleiten, trotz der jährlich zurückgehenden Zwischenfälle ist es bislang zu keiner Reduzierung des Aufgebots gekommen.
Kritiker:innen, etwa von Linken und Grünen, fordern schon seit Jahren und auch am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde im Abgeordnetenhaus ein Anpassen an die neue Situation, in der Massenmilitanz kein drohendes Szenario mehr darstellt.
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