Dennis Radtke über Flügelstreit in der CDU: „Es gibt da einen herben Dissens“
Dennis Radtke, Vizechef des CDU-Arbeitnehmerflügels, kritisiert die Bundestagsfraktion scharf. Er fordert, das sozialpolitische Profil zu schärfen.
taz: Herr Radtke, der CDU-Arbeitnehmerflügel kritisiert die Bundestagsfraktion in einem Beschluss scharf. Warum?
Dennis Radtke: Das fehlende oder defizitäre soziale Profil der CDU hat unter anderem zu diesem Absturz bei der Bundestagswahl geführt. Was die Bundestagsfraktion nun daraus ableitet, ist schwer bis gar nicht zu akzeptieren. Sie nimmt dem Sozialflügel den Sprecherposten in der Fraktionsarbeitsgruppe Arbeit und Soziales, der seit ewigen Zeiten bei der CDA lag. Und sie wählt bei den Ausschüssen, in denen die Union den Vorsitz stellen wird, vor allem solche im Bereich Wirtschaft und Finanzen. Wie will man so auch in der parlamentarischen Arbeit Profil in der Sozialpolitik zurückgewinnen?
Der Sprecher der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales geht an die CSU. Fehlt der CDA in der Fraktion der Einfluss?
Schon in der letzten Legislaturperiode waren zwei Drittel der Abgeordneten Mitglied im Parlamentskreis Mittelstand, das ist jetzt ähnlich. Aber es geht nicht darum, Dinge durchzustimmen. Sondern es ist eine klassische Führungsaufgabe, deutlich zu machen, wie wichtig es ist, dass jemand aus der Arbeitnehmergruppe diese Position besetzt.
42, sitzt im EU-Parlament und ist Bundesvize der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), des Sozialflügels der CDU.
In dem Beschluss der CDA heißt es: „Wir zweifeln daran, dass die amtierende Fraktionsspitze dazu in der Lage ist, unsere CDU für die Zukunft richtig aufzustellen.“ Ist Ralph Brinkhaus, dessen Amtszeit als Fraktionschef im April ausläuft, für Sie also kein Mann der Zukunft?
Nein, das steht da nicht. Ich habe in den letzten Wochen Ralph Brinkhaus öffentlich sehr gelobt. Aber an dieser Stelle gibt es einen ganz herben Dissens. Wir haben mehrfach drauf hingewiesen und um Korrektur gebeten, aber geändert hat es nichts.
Was fordern Sie jetzt?
An diesen Entscheidungen wird man jetzt nichts mehr ändern können, das Personalpaket wird nicht noch einmal aufgeknüpft werden. Aber die Sprecherposten werden in einem Jahr wieder vergeben, dann sollte sich etwas ändern. Außerdem hoffe ich, dass Ralph Brinkhaus das in seine Planung für die kommenden Wochen und Monate aufnimmt, dass man so mit dem Sozialflügel nicht umgehen kann.
Alle Kandidaten für den Parteivorsitz fordern mehr Augenmerk für die Sozialpolitik. Wie passt das mit den Entscheidungen der Fraktion zusammen?
Gar nicht, das ist ja unser Problem.
Friedrich Merz stellt sich bei seiner dritten Kandidatur für den Parteivorsitz breiter auf, hat seine Ansprache verändert und mit Mario Czaja einen Sozialpolitiker als Generalsekretär vorgeschlagen. Überzeugt Sie diese Veränderung?
Die muss mich nicht überzeugen, ich nehme das zur Kenntnis. Aber jeder Parteivorsitzende muss zur Kenntnis nehmen, dass wir zweieinhalb Millionen Stimmen in der sozialen Mitte verloren haben, anderthalb an die SPD und fast eine Millionen an die Grünen. Da müsste man schon mit politischer Blindheit geschlagen sein, um nicht zu erkennen, dass das auch mit dem sozialen Profil zu tun hat.
Merz, bislang eher Kandidat der Mittelstandsvereinigung, war für den Arbeitnehmerflügel eher ein Graus. Hat sich das verändert?
Was heißt Graus? Herr Merz ist nicht so dogmatisch und so verbohrt, wie viele das zu glauben meinen. Manche Anhänger und Unterstützer von ihm sind da deutlich dogmatischer und deutlich radikaler.
Diese Unterstützer werden bei der Wahl von Merz zum Parteichef mehr Einfluss einfordern.
Das müssen Sie seine Unterstützer fragen. Aber auf keinen Fall darf die zukünftige Spitze der CDU nur aus der Mittelstandvereinigung und dem Wirtschaftsrat bestehen.
Zum Teil schlägt jetzt schon eine etwas radikalere Rhetorik durch, zum Beispiel redet man in der Union gerne von „linksgelb“, wenn man die Ampel meint. Ist das der richtige Ton?
Mit dem Narrativ linksgelb, mit Retro und Rückwärtsgang werden wir bei den Wählerinnen und Wählern keinen Blumentopf gewinnen. SPD und Grüne stellen sich im Erfolg neu auf. Uns scheint dieser Mut sogar in der Stunde der schmerzhaftesten Niederlage zu fehlen.
Sie selbst gehörten bei der letzten Vorsitzendenwahl vor einem Jahr zum Team Laschet, viele aus diesem Lager unterstützen jetzt bei der Wahl zum neuen CDU-Vorsitzenden Helge Braun. Sie werben für Norbert Röttgen. Warum?
Norbert Röttgen hat sich in den letzten Wochen sehr intensiv damit beschäftigt, wie wir aus diesem Loch beim sozialen Profil herauskommen und welche Rolle die CDA dabei spielen kann. Wir haben oft und intensiv über diese Fragen diskutiert. Das hat mich persönlich überzeugt.
Am Freitag wird die Mitgliederbefragung ausgezählt und das Ergebnis bekannt gegeben. Glauben Sie, dass dann schon der künftige Parteivorsitzende feststeht?
Nein, ich gehe davon aus, dass es eine Stichwahl geben wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!