Demos mit Nahost-Bezug in Berlin: Videos von rennenden Polizisten
Bei einer Demo setzt die Polizei ein Kind fest. Der Senat sollte solche Vorkommnisse mehr auswerten um Eskalationen zu verhindern, fordern die Grünen.
Der Junge wiederum steht mit dem Rücken zur Wand und guckt mit großen Augen in die Kamera. Nach einem Schnitt ist zu sehen, wie der Pulk von Polizist*innen den Jungen wegführt. „Sie nehmen einen Minderjährigen mit“, ist zu hören. Noch ein Schnitt, und zwei Beamte bugsieren das Kind in ein Polizeiauto.
Gefilmt ist das 51 Sekunden lange Video am Samstagabend auf einer Demonstration „mit Bezug zum Nahostkonflikt“. Die Polizei teilte mit, die Einsatzkräfte seien auf den Jungen aufmerksam geworden, weil er offenbar „ohne Begleitung“ an der Demo teilgenommen habe. Zu „seinem eigenen Schutz“ habe die Polizei ihn „in Obhut“ genommen und seinen Vater benachrichtigt, der ihn 90 Minuten später abholte. Es gebe keinen Verdacht einer Straftat. „Eine Festnahme fand nicht statt.“
Szenen wie diese seien es, die der Senat viel systematischer als bisher erfassen und auswerten sollte, fordert der Abgeordnete Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen. Er hatte in einer Kleinen Anfrage den Senat nach „Straftaten und Versammlungsverboten im Zusammenhang mit Versammlungen mit Bezug zur Situation in Israel und Gaza“ gefragt.
Fehlender Überblick schadet allen Seiten
Das Ergebnis: Der Senat habe offensichtlich nicht mal einen Überblick über die Zahl der Demo-Teilnehmer*innen, die Anzahl von Verletzten auf Demos, über Disziplinarverfahren gegen Polizist*innen, über tatsächliche antisemitische Vorfälle, über Personen, die die Situation nutzen, um zu eskalieren, oder darüber, welche Versammlungen besonders problematisch waren.
„Seit knapp einem Jahr sind die Folgen des Terroranschlags der Hamas und des Leids in Gaza auch auf Berlins Straßen und durch zahlreiche Versammlungen präsent“, sagt Franco. „Obwohl Eskalationen bei Versammlungen bis hin zu Vorwürfen von Polizeigewalt wiederholt ein riesiges Echo hervorrufen, gibt es keine fundierte Analyse über das Versammlungsgeschehen über das letzte Jahr.“ Die Innenverwaltung sollte ein Lagebild erstellen – wie sie das etwa bei der Letzten Generation oder der Fußball-EM auch getan habe.
Denn: Während Berlin aus Sicht des Grünen-Innenpolitikers wegschaut, guckt die sogenannte Welt durch das Social-Media-Fenster umso genauer hin. Das Video von dem Jungen haben auf X reichweitenstarke Accounts geteilt und kommentiert – meist mit dem Take, dass Berlins Polizei nun schon Kinder verhafte.
„Solche Videos sollen oft bewusst eine Eskalation befeuern“, sagt Franco. Teils würden auf Demos auch Kinder angestiftet, zu provozieren. Die Polizei würde sich oft nicht äußern oder einfach damit argumentieren, dass sie wegen antisemitischer Straftaten hart durchgreifen musste.
„Das schadet allen: Palästinenser*innen in Berlin, die sich von niemandem mehr repräsentiert fühlen. Aber auch der Polizei selbst, wenn keine Auseinandersetzung darüber erfolgt, welches Vorgehen rechtmäßig war“, sagt er. Das wüssten Extremisten für sich zu nutzen – die ebenjenes internationale Publikum im Blick hätten. „Der Senat lässt Bilder für sich stehen“, kritisiert Franco. Und fördere damit die Eskalation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“