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Demos im Berliner Süden„Keine Homezone für Nazis“

In Neukölln demonstrieren am Freitag hunderte Menschen gegen Rechtsextremismus. In Marienfelde stellen sich Anwohner einem NPD-Aufmarsch entgegen.

Dank der Gegendemonstranten in Neukölln verging den NPD-Anhängern schnell die Lust aufs Marschieren. Um 20.45 Uhr packten die Nazis ihre Fahnen zusammen. Bild: dpa

BERLIN taz | Zu der Zeit, als die Nazis sich am Startpunkt ihrer Demonstration sammeln, spricht genau ein Kilometer entfernt eine ältere Frau, roter Mantel, rote Fingernägel, graue Föhnfrisur. „Ich habe das Mikrofon gegriffen, weil ich Zeitzeugin bin“, sagt sie. Sie sei sieben Jahre alt gewesen, als ihr Vater von den Nazis ermordet wurde.

„Ich will als 75-Jährige nicht die Zukunft haben, die ich als Vergangenheit hatte.“ Gisela Pravda wohnt seit mehr als 40 Jahren in Marienfelde, dass die NPD hier demonstriert, hat sie noch nie erlebt, auch rechtsextreme Schmierereien gebe es hier nicht.

Ursprünglich wollte die NPD auch am Freitagabend nicht hierher, ganz in den Süden Berlins, sie wollte durch Neukölln ziehen. Dort hatten für die selbe Zeit linke Gruppen für eine Demo mobilisiert. Die NPD wollte also auch dorthin, sie wollte provozieren mit dem Motto „Kriminelle Ausländer raus“. Gerade an jenem Tag, als Burak B. beerdigt wurde, ein 22-Jähriger, der vergangene Woche von einem Unbekannten erschossen wurde.

Im sogenannten Kooperationsgespäch sei die NPD dann von sich aus nach Marienfelde umgeschwenkt, heißt es von der Polizei. Und hier haben die Neonazis nichts zu suchen, finden Gisela Pravda und die anderen, die sich vor dem Flüchtlingswohnheim in der Marienfelder Allee versammelt haben. Ganz bewusst an diesem Ort, um zu zeigen, dass auch die Asylbewerber ein Recht haben, hier zu leben. Es ist ein Zeichen auch über Parteigrenzen hinweg.

Gemeinsame Erklärung der Parteien

SPD, Grüne, CDU, Piraten und die Linkspartei in der Bezirksverordneten-versammlung Tempelhof-Schöneberg haben gemeinsam eine Erklärung gegen den Nazi-Aufmarsch abgegeben: „Toleranz statt Rassismus und Unmenschlichkeit“. Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) ist gekommen. „Wir dulden die Nazis nicht stillschweigend“, sagt sie. Ihre Genossin Barbara Loth, als Staatssekretärin zuständig für das Thema Rechtsextremismus, ist da.

„Wir müssen kämpfen“, sagt sie. Stadträte demonstrieren mit, Abgeordnete, Bezirksverordnete und Bürger wie Gisela Pravda. Sie wird gefragt, ob sie mitkommt dorthin, wo die NPD marschiert. Zum Protestieren. „Nein“, sagt Gisela Pravda. „Das hält mein Herz nicht aus.“ Neukölln-Rudow, 18 Uhr, die Glocken der St.-Domiicus-Kirche am U-Bahnhof Lipschitzallee hören auf zu läuten.

„Neukölln hat ein Naziproblem“, tönt es aus dem Mikrofon des Demowagens. „Kein Kiez den Faschisten“, rufen Demonstrantinnen und Demonstranten. Zweieinhalb Stunden ziehen sie quer durch Rudow, um gegen die „Neonazistrukturen“ in der Nachbarschaft zu protestieren. Das Motto: „Keine Homezone für Nazis“.

Angemeldet wurde die Demonstration von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Aufgerufen dazu haben verschiedene Bündnisse wie „Neukölln gegen Nazis“ oder „Nazis auf die Pelle rücken“. Letzteres hat sich vor einem Jahr als Reaktion auf den Naziaufmarsch in Kreuzberg gegründet, erklärt Felix Schmidt, Sprecher des Bündnisses.

Rudow wird offensiv von Nazis beansprucht

„Wir müssen aktiv werden in Kiezen, wo Nazis mitten unter uns wohnen.“ Laut Veranstalter sind rund 800 Menschen dabei, die Polizei spricht von 500. Sie wollen zeigen: Der Süden Neuköllns und besonders der Ortsteil Rudow ist ein Raum, der inzwischen offensiv von Nazis beansprucht wird.

Führende Berliner NPD-Kader wohnen hier und immer wieder kam es zu Drohungen und Übergriffen auf Menschen mit Migrationshintergrund, auf solche, die als „alternativ“ wahrgenommen werden, und auf linke Einrichtungen. Allein zweimal wurden im vergangenen Jahr Brandanschläge auf das Jugendzentrum der „Falken“ am U-Bahnhof Britz-Süd verübt.

Rudow erscheint als ruhiger Stadtteil, geprägt von Plattenbauten und idyllischen Reihenhäuser. Manche Bewohner applaudieren, als die Demonstranten vorbeiziehen. Andere schauen grimmig oder schimpfen. In Marienfelde laufen die Nazis um 19.30 Uhr los.

Es geht durch die Wohngegend rund um die Hildburghauser Straße und den Tirschenreuther Ring, an achtstöckigen Wohnblocks vorbei. Anwohner schauen aus den Fenstern, einige filmen mit ihrem Smartphone. Sie sehen viele Polizeiautos mit Blaulicht, mehrere hundert Polizisten, rund 300 Gegendemonstranten.

Eine Handvoll NPD-Frauen

Und in der Mitte etwa 45 NPD-Anhänger, darunter eine Handvoll Frauen; angemeldet waren 100. „Nazis raus“, rufen die Gegendemonstranten und „Haut ab, haut ab“. Anwohner haben ein Transparent über die Straße gespannt. „Ich mag meine Nachbarn aus Polen, Persien, Sri Lanka, BRD, Türkei“, steht darauf.

Viele Marienfelder haben sich vor dem Dorothee-Sölle-Haus versammelt, dem evangelischen Gemeindezentrum. Sebastian Schmidtke, der NPD-Landes-vorsitzende, spricht durch den Lautsprecher. Sie demonstrierten hier, weil auch die Marienfelder Probleme hätten, sagt er.

Wenn nicht jetzt, dann in Zukunft. Probleme mit einer vermeintlichen „ausländischen Parallelgesellschaft“ etwa. Doch das einzige Problem scheint an diesem Abend in Marienfelde die NPD zu sein. Es ist gar niemand da, der ihre Parolen hören will.

Es ist niemand da, der hören will, wie Schmidtke das Mordopfer aus Neukölln verhöhnt: „Hätte es Kiezstreifen gegeben, wie die NPD fordert, wäre der junge Burak nicht ums Leben gekommen.“ Die Polizisten ziehen ihre Helme auf, immer wieder versuchen junge Gegendemonstranten die Straße zu blockieren – erfolglos.

„Schlappe für die rechtsextreme Szene“

Die NPD-Leute haben dann offenbar selbst keine Lust mehr. Gegen viertel vor Neun, es ist inzwischen dunkel, stoppt der Demonstrationszug, die Nazis packen ihre Fahnen zusammen.

Später werden sie von der Polizei zu einem BVG-Bus geführt. Wieder raus aus Marienfelde.Von drei Nazis nimmt die Polizei die Personalien auf, sie sollen gegen das Vermummungsverbot verstoßen haben. Auch gegen einige Gegendemonstranten wird ermittelt, unter anderem wegen, Landfriedensbruch und versuchter Gefangenenbefreiung. Vorrübergehend waren zehn Personen festgenommen werden, teilte die Polizei am Samstagmittag mit.

„Das war eine Schlappe für die rechtsextreme Szene“, sagt Sebastian Wehrhahn von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Für ihn ist es ein großer Erfolg, dass die NPD die Antifa-Demo in Neukölln nicht aus dem Takt bringen konnte“ und dass in Marienfelde in kurzer Zeit ein Protest auf die Beine gestellt wurde, „dass Nazis hier nicht willkommen sind“.

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2 Kommentare

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  • J
    Jörg

    Nur was zu der älteren Dame. Ich habe häufiger in Tempelhof zu tun und wohne in Neukölln. Ich finde fast jede Woche NPD Aufkleber in Tempelhof, egal ob Alt-Tempelhof, Mariendorf, Lichtenrade oder Marienfelde. Temeplhof ist eine der Hochbogen der NAZIS in West-Berlin

  • OB
    Oesten Baller

    Sehr schade war, dass Gegner des Rechtsextremismus in der Stadt zerstreut waren, die Antifa-Demo in Rudow, die offizielle Politik-Veranstaltung einen Kilometer von der Demonstrationsroute entfernt. In erster Linie wäre es doch darum gegangen, den widerwärtigen Aufmarsch der Neonazis in einem multikulturellen Wohngebiet im Süden Berlins zu verhindern.

     

    Kein einziger Stein und keine einzige Flasche ist geflogen, weil die von einer kritischen Kirchengemeinde, von Anwohnern, von vielen Jugendlichen mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln getragene Gegendemonstration völlig friedlich war.

     

    Das weitgehend martialische Auftreten der Polizei am Rande der Legalität, die vielen temporären Polizeikessel und Polizeiketten und grundloser Zwangseinsatz sowie rechtswidriges Dauerfilmen waren angesichts des berechtigen Anliegens der Gegendemonstration, die sich spontan in den Abendstunden gebildet hatte, fehl am Platze.

     

    Erst zum Schluss schwenkte die Polizei um - nunmehr weitgehend entspannt - als die Abschlusskundgebung der NPD im Zentrum des Wohngebietes in lauten Sprechchören der Gegendemonstration unterging.

     

    Ein Anwohner aus des Süden Berlins