Demos gegen FPÖ-Regierung: Das andere Österreich
Dass die rechtsextreme FPÖ ihre nächste Regierung anführen soll, treibt in der Alpenrepublik zehntausende Demokrat:innen auf die Straße
Die sind aus ganz unterschiedlichen Gründen gekommen: „Ich bin wegen der ÖVP hier. Sie rollt der FPÖ den Teppich aus“, sagt die 30-jährige Laura der taz. Auch ein 66-Jähriger stört sich am Sinneswandel der ÖVP, mehr noch am zunehmenden Antisemitismus, den die FPÖ immer wieder bedient. Eine Rentnerin kritisiert die prorussische Haltung von FPÖ-Chef Herbert Kickl und dass er Maßnahmen zum Klimaschutz rückgängig machen will.
Mehr als 25.000 Demonstrant:innen waren es laut Behördenschätzung am Donnerstag insgesamt. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen hatten zur ersten Großdemonstration und Lichterkette gegen die drohende FPÖ-Regierung geladen – und zwar dort, wo die Zuständigen sitzen: vor dem Bundeskanzleramt und der angrenzenden Präsidentschaftskanzlei.
Dass die rechtsradikale FPÖ nun doch den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen hat, hat viele in Österreich kalt erwischt. Viele hatten damit gerechnet, dass sich die konservative ÖVP, die sozialdemokratische SPÖ und die liberalen Neos zu einer Regierung zusammenraufen. Es kam anders, die Verhandlungen scheiterten zu Jahresbeginn krachend.
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Schlechte Erfahrungen mit Schwarz-Blau
Schon am Dreikönigstag kam es zu einer Demo mit Hunderten Teilnehmern. FPÖ-Chef Kickl wurde von Buhrufen empfangen, als er an der Präsidentschaftskanzlei ankam. Dort erhielt er, schneller und expliziter als von vielen erwartet, grünes Licht von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, eine Regierung mit der ÖVP zu bilden. Diese hatte schlagartig ihren Kurs gewechselt, nachdem ihr Parteichef und Bundeskanzler Karl Nehammer von beiden Ämtern zurückgetreten war.
Am Dreikönigstag war auch Susanne Scholl mit dabei. Die evangelische Pfarrerin und Psychotherapeutin im Ruhestand hat 2017 die „Omas gegen Rechts“ gegründet – in Reaktion auf die damalige schwarz-blaue Regierung unter Sebastian Kurz. Nach dem österreichischen Vorbild entstanden auch in Deutschland und anderen Ländern ähnliche Gruppierungen.
Anders als damals droht nun nicht nur das Amt des Vizekanzlers, sondern das des Kanzlers und damit die Regierungsführung in FPÖ-Händen zu landen. „An einer blau-schwarzen Koalition macht uns alles Sorgen“, sagt Salzer. Eine solche Regierung bedeute einen Abbau der Demokratie und der freien Medien.
Die Sorge vor einer FPÖ-geführten Regierung speist sich nicht nur aus den rechtsextremen Wortmeldungen Herbert Kickls, sondern auch aus Erfahrungen mit der Regierung von 2017 bis 2019. Sie griff systematisch in grundlegende Menschenrechte ein, verschärfte das Asylrecht und kürzte die Mindestsicherung für Asylberechtigte. Die Ausweitung polizeilicher Befugnisse, darunter erweiterte Überwachungsmöglichkeiten und verschärfte Demonstrationsauflagen, schwächte die Versammlungsfreiheit und griff in die Privatsphäre ein.
Kein Aufschrei mehr
Durch den 12-Stunden-Tag beschnitt das Rechtsbündnis Arbeitnehmerrechte, es schwächte die in Österreich traditionell starke Sozialpartnerschaft. Mit aggressiver Rhetorik gegen Minderheiten, besonders gegen Muslime, schuf Schwarz-Blau ein Klima der Ausgrenzung. Bevor sie den Rest ihrer Agenda umsetzen konnte, implodierte die Regierung nach anderthalb Jahren im Ibiza-Skandal.
Mit Sebastian Kurz, der sich damals ohne Not auf die FPÖ als Regierungspartner einließ, sei die ÖVP ausgehöhlt worden, sagt Susanne Salzer. „Ihre Haltung hat sie verlassen.“ Sie fürchtet, dass die vorgeblich von der ÖVP vertretene „Mitte“ endgültig nach rechts abfällt.
Für die Omas gegen Rechts bedeutet das vor allem eines: Protest. Schon jetzt halten sie täglich eine Mahnwache für Menschen auf der Flucht ab. Die „Omas“ sind in der Lage, sich binnen zwölf Stunden zu mobilisieren. Sie wollen bei allen großen Protestaktionen gegen die FPÖ dabei sein.
Die jüngste Wiener Großdemo reiht sich in die Tradition der „Donnerstagsdemos“ ein. Diese waren von Oktober 2000 bis Februar 2003 ein wöchentlicher Protest gegen die damalige erste schwarz-blaue Bundesregierung. Auch damals ging ein ÖVP-Chef ohne Not in eine Regierung mit der FPÖ. Es war die erste rechtsextreme Regierungsbeteiligung in einem EU-Staat, sogar bilaterale Sanktionen gab es damals gegen Österreich. Heute gibt es im Ausland keinen großen Aufschrei mehr, auch in Österreich ist die FPÖ längst etabliert. Sie regiert in fünf von neun Bundesländern mit, überall mit der ÖVP.
Landesweite Proteste
Organisiert wurde die Demo vom neugegründeten Österreichischen Netzwerk für Zivilgesellschaft (ÖNZ). „Eine autoritäre, minderheitenfeindliche und nationalistisch agierende Regierung würde für die Menschen in unserem Land, für kritische Bürger:innen und engagierte Initiativen eine große Gefahr darstellen“, schreibt das ÖNZ. Zum Netzwerk zählen mehr als 20 NGOs, etwa Attac, Greenpeace und Fridays for Future.
Auch die 1992, aus Protest gegen die zunehmend rassistische FPÖ gegründete Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch ist führend dabei. Deren Sprecher, Alexander Pollak, ist eine der wichtigsten Stimmen gegen Rechtsextremismus in Österreich. Proteste änderten zwar selten etwas von einem Tag zum anderen – aber sie würden wichtige Zeichen setzen, Zusammenhalt schaffen und könnten den öffentlichen Diskurs wie auch politischen Handlungsspielraum ändern, sagte Pollak gegenüber der taz.
Auch in Innsbruck, Salzburg und Graz gingen am Donnerstag Tausende auf die Straße. In Graz, Landeshauptstadt der seit Kurzem FPÖ-regierten Steiermark, sollen künftig wieder wöchentliche Demos stattfinden.
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