Demos II: Das geht in Berlin
Auf dem Festival gegen Rassismus in Kreuzberg berichten Flüchtlinge aus dem Iran über ihre Lebensbedingungen. Anderswo fordern Iran-Anhänger, Israel zu zerstören.
Beim Festival gegen Rassismus auf dem Kreuzberger Blücherplatz ist am Samstagmittag noch wenig los. Das liege wohl an den Demos gegen „Pro Deutschland“ und den antiisraelischen Al-Quds-Marsch, hofft einer der Organisatoren. Fast 40 Vereine und Initiativen richten das Festival gemeinsam aus – ein Bündnis, das vom „Haus alternativer Migrationspolitik Allmende“ über den Humanistischen Verband bis zur Antirassistischen Initiative und Autonomen Antifa reicht.
Doch die AktivistInnen bleiben am Nachmittag fast unter sich. Er sei enttäuscht, sagt der Flüchtlingsaktivist Bruno Watara, der eine Diskussionsrunde zur Lebenssituation in Heimen in Berlin und Brandenburg organisiert hat. Gut 40 Flüchtlinge sind angereist. Sie berichten sich mehr oder weniger gegenseitig über ihre Lebensbedingungen.
Zwei Anliegen hat der aus Afghanistan stammende A.: Seine Anhörung für das Asylverfahren liege Monate zurück, so der in Berlin lebende Flüchtling. Wann eine Entscheidung über seine Anerkennung falle, könne ihm niemand sagen: „Warum können die Behörden nicht innerhalb einer bestimmten Frist entscheiden?“, fragt er. Der Endzwanziger will raus aus dem Heim, sein Geld selbst verdienen. Eine Chance dazu hatte er schon: Er hätte als Putzmann in einer Reinigungsfirma anfangen können. Doch Arbeiten ist Flüchtlingen erst nach einem Jahr erlaubt. „Warum lasst ihr uns nicht arbeiten, wenn wir Jobs finden?“, ist A.s zweites Anliegen. Der Afghane ist eigentlich Zahnarzt.
Aus Eisenhüttenstadt berichtet die Iranerin Z.: Viele Kinder gebe es in dem Heim, aber keine Chance für diese, zur Schule zu gehen. In einem Raum, den die Heimleitung „Kindergarten“ nenne, lägen ein paar Spielzeuge: Betreuung gebe es dort nicht, ebenso wenig wie Deutschkurse für die Heimbewohner. Ihr und ihrem Sohn, der gut Fußball spiele, sei nicht erlaubt worden, zu einem Gespräch mit einem Sportberater nach Potsdam zu fahren. Die Aufhebung der Residenzpflicht, die Flüchtlinge an ihren Landkreis bindet, sei erst nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland möglich, so die Begründung. Z.s Familie ist erst zwei Monate da. Stattdessen wurde ihrem Sohn der Besuch des Heimkindergartens empfohlen: Der Junge ist 15 Jahre alt.
Während auf dem Blücherplatz Menschen berichten, die aus der Islamischen Republik Iran flüchten mussten, fordern auf dem Kurfürstendamm Anhänger des iranischen Regimes die Zerstörung Israels. Den jährlich am letzten Wochenende des islamischen Fastenmonats stattfindenden „Al-Quds-Tag“ für die „Befreiung“ Jerusalems hat der Gründer der Islamischen Republik, Khomeini, einst ins Leben gerufen. Gut 1.000 seiner AnhängerInnen gehen in diesem Jahr in Berlin auf die Straße. „Nieder mit Israel!“, rufen sie, Fahnen der von der EU als ganz oder teils terroristisch eingestuften Hamas und Hisbollah werden gezeigt. Während die Polizei dagegen nicht vorgeht, drängt sie GegendemonstrantInnen mit Israel-Fahnen teils ruppig zurück. „Das geht in Deutschland?“, fragt eine Ku’damm-Flaneurin erschrocken. „Das geht in Berlin“, erwidert ein Teilnehmer der zwei Gegendemonstrationen. An denen, ebenfalls auf dem Ku’damm, beteiligten sich gut 400 Personen.
Die Wiese am Blücherplatz füllt sich gegen Abend merklich. Von Westen kommend, lassen viele TeilnehmerInnen der Gegendemos gegen den Al-Quds-Tag den Tag auf dem Festival gegen Rassismus ausklingen. Aus östlicher Richtung kommen die TeilnehmerInnen der Lärmdemo gegen Mieterhöhungen am Kottbusser Tor, die diesmal zur Unterstützung des Festivals auf dem Blücherplatz endet. Die Bands, die das Abendprogramm bestreiten, haben mehr Publikum als die Diskussionsrunden tagsüber. Die Stimmung ist gelöst, beinahe zufrieden. Die Flüchtlinge sind längst in ihre Heime zurückgekehrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz