Demonstrationen in Hongkong: Mit lautem Protest ins neue Jahr
An Neujahr gehen in Hongkong rund eine Million Menschen auf die Straße. Manche sind pessimistisch, andere fordern gar die Unabhängigkeit von China.
![Ein Polizist hält vor einem Bank-Gebäude eine Waffe auf die Kamera. Ein Polizist hält vor einem Bank-Gebäude eine Waffe auf die Kamera.](https://taz.de/picture/3886904/14/24474556-1.jpeg)
Unter grauen Wolken marschierten die größtenteils friedlichen Demonstranten am 1. Januar vom frühen Nachmittag an vom Victoria Park Richtung Finanzviertel Central. Laut den Veranstaltern nahmen mehr als eine Millionen Menschen an der Demonstration teil, die am Abend in Zusammenstößen mit der Polizei eskalierte und frühzeitig beendet wurde.
Polizisten setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, während einzelne Aktivisten mit Steinen und Molotowcocktails warfen sowie Barrikaden errichteten. Auch die Schaufenster von Unternehmen, die als regierungsnah angesehen werden, wie beispielsweise die britische Bank HSBC, wurden angegriffen. Dem Geldhaus wird vorgeworfen, mit der Verhaftung von vier Mitgliedern von Spark Alliance, einer Gruppe, die Geld zur Unterstützung der Demonstrationen gesammelt hat, zu tun zu haben.
Am Vorabend hatten Tausende Demonstranten am Hafen unter Protestrufen das neue Jahr eingeläutet. Zuvor war es auch an diesem Tag bei einzelnen Protestaktionen zu Zusammenstößen mit der Polizei und zu Verhaftungen gekommen.
Ein Fünftel will die Unabhängigkeit
Die Aktivisten demonstrieren für die Erfüllung ihrer „fünf Forderungen“: das Auslieferungsgesetz an Peking komplett zurückzuziehen, den Rücktritt der Regierung, eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt während der Proteste, dass die Proteste nicht weiter als Krawalle bezeichnet werden, und die Freilassung aller verhafteten Demonstranten.
Neben den üblichen Forderungen der Demonstranten waren während des Marschs am Mittwoch auch Flaggen für die Unabhängigkeit Hongkongs zu sehen. Knapp ein Fünftel der Menschen in Hongkong unterstützen laut einer Umfrage im Auftrag der Nachrichtenagentur Reuters die Unabhängigkeitsforderungen. Viele der Demonstranten sagen, sie hielten eine Abspaltung von China grundsätzlich für eine gute Idee, sehen dieses Ziel aber als schwer erreichbar an.
Jess, Studentin
„Ich glaube, die Unabhängigkeit Hongkongs ist eine Wunschvorstellung“, sagt Jess, 19 und Studentin an der Hong Kong University. Sie will im neuen Jahr weiter demonstrieren, plant aber, in den nächsten Jahren die Stadt zu verlassen. „Ich sehe hier keine Hoffnung und keine Zukunft mehr. Die Regierung tut nichts für uns.“
Seit dem Beginn der Demonstrationen wünscht sich laut Reuters-Umfrage eine Mehrheit den Rücktritt der Regierungschefin Carrie Lam. „Hongkong wäre besser dran, wenn wir unsere eigene Regierung wählen könnten“, sagt Wong, 30. „Hongkongs Führung dient nicht uns, sondern der Kommunistischen Volkspartei.“ In den Monaten seit Beginn der Proteste habe die Ablehnung der Menschen gegenüber dem Einfluss Chinas auf Hongkong zugenommen.
Kandy blick düster in die Zukunft
Neben weiteren Protesten suchen die Aktivisten neue Möglichkeiten, Druck auszuüben. Bei der Demonstration am Mittwoch waren zahlreiche neue Gewerkschaften vertreten, um Mitglieder zu werben und letztendlich Streiks zu organisieren. Viele betrachten die bestehenden Gewerkschaften als zu regierungsnah.
Am Dienstag hatten sich Regierungsgegner unter anderem zu einer Menschenkette versammelt. Außerdem hatten Veranstalter zu einer Protestaktion in einem Einkaufszentrum aufgerufen, in dem es schon am Weihnachtsabend zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen war.
Kandy, eine der dort Anwesenden, sagt, die Leute werden weiter protestieren, bis die „fünf Forderungen“ erfüllt sind. Der Ausblick der 30-Jährigen auf das neue Jahr ist aber düster: „Angesichts der Macht der Kommunistischen Partei Chinas ist es unmöglich, mit einer positiven Einstellung ins neue Jahr zu gehen.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden