Demonstrationen in Georgien: EUphorisch
Zehntausende Georgier gehen gegen das „Ausländische Agenten“-Gesetz auf die Straße. Kids raven zu Sirenen. Der Protest hat vorerst Erfolg.
Die Kids raven. Etwa zwanzig sind es, sie hüpfen mitten auf der Straße herum, schütteln ihre Körper, nicken mit ihren Köpfen, recken Mittelfinger hoch. Sie tragen Atemschutzmasken, Schutzbrillen, dicke Kopfhörer. Aber sie tanzen nicht zu Techno. Sie tanzen zu Warnsirenen der Polizei.
Wir befinden uns auf der zentralen Straße von Tbilissi, der Hauptstadt Georgiens. Es ist der 9. März, 2 Uhr früh, die zweite Nacht der Proteste. Begonnen hatten sie unmittelbar nach Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzentwurfs durch das Parlament. Demnach müssten sich NGOs und Medien, die mehr als 20 Prozent der Mittel aus dem Ausland erhalten, als „ausländische Agenten“ registrieren lassen. Das „russische Gesetz“ wurde es genannt. Dort hat ein ähnliches Gesetz kritische Stimmen zum Schweigen gebracht.
Der Klang der Sirenen verstummt. Die Menge jubelt und applaudiert. Man könnte meinen, dass sie nun den Künstler feiert, der gerade die Vorstellung seines Lebens beendet hat. Doch die Menge ist wütend.
Drei Tage und zwei Nächte hintereinander sind zehntausende Georgier auf die Straße gegangen und haben die Rücknahme des Gesetzentwurfs gefordert. Viele fürchteten, dieses Gesetz könne Georgiens europäischen Traum zerstören. Rund 80 Prozent der Bevölkerung unterstützt einen möglichen EU-Beitritt. Das Land wartet auf die Entscheidung der Europäischen Kommission, ob es den Beitrittskandidatenstatus erhalten wird.
„Wir haben uns für die EU entschieden“
„We go to clubs for sirens and smoke, you dicks!“, steht auf dem Plakat, das eine junge Frau mit grüner Jacke in der Hand hält. In beiden Nächten setzte die Bereitschaftspolizei Tränengas, Wasserwerfer, Rauchbomben und Pfefferspray ein, um die Menge zu vertreiben. Im Gegenzug warfen die Demonstranten mit Steinen und Molotowcocktails. 133 Menschen wurden festgenommen. Immer wieder räumte die Bereitschaftspolizei die zentrale Straße von Tblissi. Aber die Menschen kamen immer wieder zurück.
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„Wir haben die Wahl zwischen Russland und der EU. Wir haben uns für Letztere entschieden“, sagt Zorzh Zhamerashvili, 21, einer der Organisatoren der Studentenproteste, am späten Donnerstagabend. Zu diesem Zeitpunkt haben sie bereits gewonnen. Der Gesetzentwurf wird vorerst wieder zurückgenommen. Dieselben, die ihn angenommen hatten, stimmten am Morgen des 10. März dagegen.
Das Innenministerium hat zudem angekündigt, dass alle Personen, die während der Proteste festgenommen wurden, freigelassen werden. Für den Moment feiern die Demonstranten einfach diesen Erfolg. Das passiert in Georgien nicht allzu oft.
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