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Demonstration und Streiks im IranProteste flammen neu auf

Erneut gehen Tausende Menschen im Iran auf die Straßen. Fabriken und Unis werden bestreikt. Frankreich wirft dem Iran Geiselnahme vor.

Dieses Video soll Proteste am Dienstag vor der Azad University in Khomeinishahr zeigen Foto: reuters

Berlin taz/rtr/dpa | Das Gedenken an die landesweiten Proteste im Jahr 2019 („Blutiger November“) hat dem Aufstand im Iran erneut Auftrieb gegeben. In Dutzenden Städten versammelten sich am Dienstag und Mittwoch Menschen an Universitäten, auf den Straßen und Basaren und vor Bahnstationen.

Ak­ti­vis­t*in­nen hatten zu dreitägigen Protesten aufgerufen, um unter anderem den Menschen zu gedenken, die 2019 ermordet wurden. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach damals von rund 1.500 Toten; andere Quellen gehen von mehreren Hundert aus.

In rund siebzig Städten war bereits am Dienstag protestiert worden. In 60 Städten wurde gestreikt und an mindestens 40 Universitäten protestiert. Die jüngsten Aktionen erstreckten sich auch auf kleinere Städte und umfassten Irans kurdische Gebiete als auch die Hauptstadt Teheran und den Norden des Landes.

An mehreren Orten sollen Regimekräfte gewaltsam gegen Protestierende vorgegangen sein. Nach Angaben von Ak­ti­vis­t*in­nen wurden zwei Demonstrierende in den Kurdenregionen erschossen.

„Heute waren wir wieder massenhaft auf der Straße. Die Hoffnung bleibt, auch wenn die Menschen sich ein paar Tage zurückgezogen hatten“, sagte ein Kontakt in Teheran am Dienstag gegenüber der taz. „Wir können nicht jeden Tag auf die Straße gehen, weil der Staat das mit seinen Repressalien fast unmöglich macht.“

Als in Teheran am Dienstag die Regimekräfte anrückten, habe sich eine Menschenmenge sofort aufgelöst, nur um sich an anderer Stelle prompt neu zu formieren, berichtet die Person. „Die Streitkräfte waren überfordert“. Sie bedauerte, dass die Demonstrierenden im Iran oftmals kein Mobiltelefon dabei hätten und das Internet zudem so langsam sei, dass die Menschen auf der Straße nicht immer mitbekämen, was in anderen Städten des Landes los sei.

Geschlossene Läden

Neu aufgeflammt waren die Proteste schon am Dienstagmorgen, als sich erste Bilder und Videos von Streiks und Protesten aus den kurdischen Gebieten verbreiteten. Aufnahmen zeigten auch geschlossene Läden in Karadsch und auf dem Teheraner Bazar. Gestreikt wurde auch in einem Stahlwerk in Isfahan. Im Eisenbasar von Teheran griffen Einsatzkräfte die Streikenden am Mittwoch an.

Die aktuellen Parolen der Protestierenden nehmen Bezug auf die derzeitigen Demonstrationen sowie auf die Proteste im November 2019. Damals waren steigende Benzinpreise der Auslöser gewesen.

„Nieder mit der Diktatur“, „Im Gedenken an den Blutigen November“, „Sage es: Freiheit, Freiheit, Freiheit“, und „Frau, Leben, Freiheit“ lauteten einige der Parolen diese Woche. Viele Protestierende sehen mittlerweile eine Revolution im Gange und weigern sich, lediglich von Protesten zu sprechen.

In der mehrheitlich kurdischen Stadt Sanandadsch versammelten sich am Mittwoch Protestierende vor dem Haus von Fouad Mohamadi, der am Dienstag bei einer Protestaktion getötet worden war.

An der Universität von Sanandadsch stellten Studierende in einer performativen Aktion am Dienstag die Folterszene von Khodanoor Lajaei dar. Lajaei war am sogenannten „blutigen Freitag“ Ende September in der iranischen Provinz Belutschistan ermordet worden. Ein Bild des Mannes, auf dem er gefesselt ist, war im Netz geteilt worden. Seither wird die Szene immer wieder aufs Neue dargestellt, um an die Brutalität des Staates zu erinnern.

„Inakzeptablen Geiselnahme“

Unterdessen wurden nach Regierungsangaben vom Mittwoch mehrere französische Geheimagenten inhaftiert. „Menschen anderer Nationalitäten wurden bei den Unruhen festgenommen, von denen einige eine große Rolle spielten. Es gab Elemente des französischen Geheimdienstes, und sie werden gemäß dem Gesetz behandelt“, sagte Innenminister Ahmad Vahidi.

Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna hatte vergangene Woche erklärt, dass insgesamt sieben französische Staatsangehörige festgenommen worden seien. Es gebe eine zunehmende Aggressivität Irans gegenüber seinem Land mit einer „inakzeptablen Geiselnahme“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Rande des G20-Gipfels.

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1 Kommentar

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  • Sanandadsch ist im iranischen Kurdistan.

    Dieses Detail illustriert, was neu ist: Baludschistan hat alle 10 Jahre einen Aufstand, aber früher ist das am anderen Ende des Landes nicht so rezipiert worden.

    Das passt zu dem Detail, dass die Teilnehmenden an früheren (vorwiegend im Großraum Tehran statfindenden) Protesten sich gern als "PerserInnen" bezeichneten, um ihre Distanz zum Staat Iran auszudrücken.



    Das ist nunmehr nicht mehr so. Heute protestieren "Iraner*Innen" - aus Tehran, aus Kurdistan, aus Baludschistan. Der Protest hat es aus der Nische geschafft und ist tatsächlich zu einem Aufbegehtren des iranischen Volks, zum Beginn einer Revolution geworden.

    Man kann nur gutes Gelingen wünschen - und zB mithelfen, indem man Originalquellen der Proteste auf Sozialmedien verbreitet. Zu finden sind die am einfachsten, indem man auf Wikipedia den persischen Namen von Städten, in denen gerade etwas los ist, findet, und auf Facebook, Twitter usw danach sucht.

    Das klingt sehr nach Slacktivismus, aber soweit ich es verstanden habe, hilft es diesmal tatsächlich eine Menge. Denn die Strategie des Regimes ist, weil sie schon die Proteste nicht unterdrückt bekommen, die Berichterstattung nach Möglichkeit zu unterbinden. Und das geht um so schlechter, je mehr Menschen im Ausland sehen, was im Iran los ist. Insbesondere, wenn ausländische Regierungen mit den Ereignissen konfrontiert werden - denn die, zumal in der EU, würden sich nur zu oft gern hinter der Sprachbarriere verstecken, und so tun, als würde bei ihnen nichts ankommen.