Demokratie-Experte über Meck-Pomm: „Ein wichtiger Rückzugsraum“
In Meck-Pomm können sich rechte Gruppen ausbreiten wie kaum irgendwo in Deutschland. Daniel Trepsdorf erklärt, was Megalandkreise damit zu tun haben.
taz: Herr Trepsdorf, die Identitäre Bewegung baut in Rostock ihre Bundeszentrale auf. Warum dort?
Daniel Trepsdorf: Das hat eine gewisse Logik und überrascht uns nicht. Wir beobachten in Mecklenburg-Vorpommern eine Vielzahl an Aktivitäten von rechtsoffenen, rassistischen und völkischen Gruppen. Die AfD ist die zweitstärkste Partei. Das Land ist über die Jahre zu einem wichtigen Rückzugsraum und Experimentierfeld rechter Gruppen geworden.
Welche Gruppen sind da aktiv?
Viele. Das geht vom Rockerclub Huskarlar MC über die Greifswalder Burschenschaft Rugia bis hin zu völkischen Artamanensiedlungen mit Vorliebe für deutschen Honig und deutsche Apfelsorten. In Grevesmühlen gibt es mit dem Thinghaus ein nationalistisches Bildungszentrum, in Lübtheen bei Ludwigslust einen sogenannten „Kulturraum“ zur Schulung von NPD-Kadern. Oft gibt es auch Bezüge zur nordischen, heidnischen und germanischen Volksideologien.
Das klingt nach Orten, die strategisch wichtig für die rechtsextreme Szene sind.
Ja, das ist sicher so. Gerade die völkischen Siedler in Dörfern rund um die Region Güstrow betreiben hier nationalistische Vorfeldpolitik. Das ist oft gepaart mit einer „Blut-und-Boden-Ideologie“ und dem Fernziel, sogenannte Wehrdörfer für einen möglichen künftigen Guerilla-Kampf zu etablieren.
Trepsdorf, 41, leitet das Regionalzentrum Ludwigslust der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA). Das Beratungszentrum führt Demokratieprojekte an Schulen durch und berät Verwaltungen, Vereine und Verbände im Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit.
Klingt alarmierend. Wie konnte sich das so entwickeln?
Man darf sicher nicht unterschätzen, dass diese Gruppen auf gewisse Weise einen subjektiv gefühlten Mehrwert bieten: Gemeinschaft, Verständigung, soziale Rückversicherung.
Wie meinen sie das?
Wir erleben ja ein beständiges Maß an Demokratieentleerung, das sich über die Jahre fortentwickelt hat. Es entstehen unbesetzte soziale Räume, die von diesen Gruppen gefüllt werden. Viele Menschen haben keine positive Wahrnehmung mehr von Demokratie, weil sie keine positive Alltagserfahrungen damit machen. Sie meinen zu erleben, dass der Staat sich zurückzieht.
Inwiefern?
Gerade in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern, wo die Rathäuser, Feuerwehren und Krankenhäuser geschlossen werden, wo demokratische Institutionen und der Staat selbst nicht mehr erfahrbar sind und die Busse nicht mehr fahren – wer soll da eigentlich die Stellung halten? Wer soll da eigentlich Demokratie leben und vermitteln? Passiert das einfach von alleine?
Sie sagen, der Staat zieht sich zurück. Können Sie dafür mal ein Beispiel nennen?
Zwei. Das eine ist das Krankenhaus, das andere die Kreisgebietsreform.
Fangen wir mit dem Krankenhaus an.
Die Kinderklinik in Wolgast sollte geschlossen werden. Das war die einzige Kinderklinik im weiten Umfeld in einer der strukturschwächsten Regionen Deutschlands. Der Protest gegen diese Pläne war natürlich ein identitätsstiftendes Projekt in der Region. Der AfD-Landtagsabgeordnete Ralph Weber hat im Prinzip über den Kampf um die Kinderklinik sein Mandat gewonnen. Wenn Politik sich mehr und mehr von Bürgerinnen und Bürgern entfernt, passiert genau das. Niemand hat bedacht, was diese Entscheidung für den soziale Nahraum der Menschen bedeutet hätte. Die Klinik wird jetzt erhalten, weil man ganz am Ende doch noch verstanden hat, worum es hier eigentlich geht. Was wir brauchen, ist ein „Democracy Mainstreaming“. Das bedeutet, dass Leute einbezogen werden, wenn es um ihre Angelegenheiten geht.
Und was hat das mit der Kreisgebietsreform zu tun?
Die Kreisgebietsreform von 2011 ist das Ganze in groß. Heute sind drei der fünf größten Landkreise der Bundesrepublik in Mecklenburg-Vorpommern. Das sind enorme Gebiete. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, rund um Neubrandenburg, ist doppelt so groß wie das Saarland. Das Saarland ist ein Bundesland mit einer eigenen Landesregierung. In Mecklenburg-Vorpommern schaffen es aber viele Kreis- und Landtagspolitiker gar nicht mehr, sich in die entlegenen Ecken ihres Wahlkreises auf den Weg zu machen. Es mag aus Kostengründen vielleicht Sinn gemacht haben, diesen gigantischen Landkreis zu schaffen, aber wir sehen nun, was die Folgen davon sind.
Was denn?
Das Prinzip, dass Probleme von den Menschen vor Ort gelöst werden sollen, ist gar nicht mehr durchführbar. Die Ansprechpartner fehlen vielerorts. Also ist die Frage: An wen wende ich mich dann? Völkische Siedler, die Prepperszene, Reichsbürger oder autonome Nationalisten vermitteln dann oft ein Gefühl von Zugehörigkeit, das einher geht mit dem geteilten Misstrauen in den Staat. Diese Gruppen nutzen natürlich ihre Monopolstellung in diesen Räumen. Ihre „traditionswahrende“ Werthaltung ist ein Angebot, an das man sich anlehnen kann. Ich wundere mich, dass wir so wenig aus der Geschichte lernen.
Wie meinen Sie das?
Im Grunde erleben wir gerade im ländlichen Raum den Erfolg rechtsextremer Überwältigungs- und Unterwanderungsstrategien, die die NPD in den Städten nicht zuwege brachte. In der SED galt einst die Devise, man müsse auch im ländlichen Raum präsent sein. Damals hieß es: „Wo die Partei nicht ist, da ist die Kirche.“ Ich will keine schiefen Vergleiche ziehen, aber: Heute sind stabilisierende Institutionen wie die Kirche oft auch nicht mehr da. Der ländliche Raum ist verwaist. Das ist der Grund, warum sich entlegene Gegenden als Hinterland für Rechtsextreme entwickeln konnten. Die Bundesgeschäftsstelle der Identitären Bewegung ist da nur eines von vielen Beispielen.
Sie gehen an Schulen, um Schüler von den Vorzügen der Demokratie zu überzeugen.
Herr Trepsdorf, Ihr eigenes Projekt organisiert an Schulen Demokratieprojekte. Was erleben Sie da?
Wir treffen auf viele Schüler, die in Fächern wie Mathe oder Physik sehr gut sind. Aber wenn wir in den Abi-Jahrgängen fragen, ob sie uns mal fünf Vorteile der Demokratie gegenüber diktatorischen Regimen nennen können, fallen ihnen oft nur zwei Vorteile ein.
Wo setzen Sie da an?
Wir entwickeln etwa in Kindergärten und Schulen eine gemeinsame Verfassung mit den Kindern. Wir fragen Sie: Was ist Euch wichtig? Welche Regeln wollt Ihr Euch geben? Wie wollt Ihr Entscheidungen fällen? Und: Wenn Ihr Euch einigen müsst, wie ihr Geld ausgebt: Soll es dann in die Schaukel, in Spielzeug oder die Toilettensanierung gehen? Wie geht ihr mit denen um, die was anderes wollen als ihr? Demokratie ist ja eine zivilisatorische Leistung und kein Serviceangebot, das serviert wird. Wir müssen also in Kindergärten und Schulen üben, was es bedeutet, sie zu erhalten und wieder eine demokratische Streitkultur zu entwickeln, die in Teilen des Landes kaum noch existiert.
Und? Sind sie zuversichtlich?
Klar, Optimismus gehört dazu. Doch in der Tat ist diese Situation ernst und gravierend. Ich sehe aber auch, dass es ein großes Engagement gegen Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit gibt, auch hier in Mecklenburg-Vorpommern. In Rostock gibt es starke Proteste gegen das Vorrücken der Identitären Bewegung. Und gerade erst habe ich erlebt, wie sich etliche zivilgesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen haben, um für den Landkreis Vorpommern-Greifswald ein eigenes Integrationskonzept zu erarbeiten. Da waren Migrantenorganisationen, Kirchen, Bürgerinitiativen und Gewerkschaften beteiligt. Hier zeigt sich gut, wie partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Behörden und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe auch im ländlichen Raum funktionieren kann. Das ist wichtig, das brauchen wir.
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