Demokonzert gegen Körperhass: „Wir feiern jede*n“
Heidi Klum schickt „die Mädchen“ in die elfte Runde. Aber wer tut sich das noch an? Erst recht nicht, wenn es ein Alternativprogramm gibt.
Der Nebel auf der Bühne leuchtet mal rot, mal pink, mal blau. In den bunten Schwaden steht die junge Musikerin Finna aus Hamburg. Sie erzählt von ihrer Schwangerschaft und ihrer Reise durch sechs Kleidergrößen. Ihre Stimme zittert. Dann rappt sie über den Hass auf den Körperhass, dann über ihre Unsicherheit.
Das bunt gemischte, wenn auch vorwiegend weibliche Publikum jubelt ihr zu. So richtig in Protestlaune ist hier keiner. Naja irgendwie schon. Aber das geht ja auch tanzend. Denn die Veranstaltung ist keine Negativ-Protestaktion, sondern eine Party und ein Alternativprogramm zur zweiten Folge der elften Staffel Germany‘s Next Topmodel (GNTM), die an diesem Abend zeitgleich ausgestrahlt wird. In diesem TV-Format werde, so die Veranstalter Pinkstinks, ein limitiertes Mädchenbild entworfen, Körperhass produziert und Sexismus gefördert.
Die Idee zu einer Anti-GNTM-Aktion kam aus dem Bundesfamilienministerium. „Sie sind auf uns zugekommen“, erzählt Pinkstinks-Geschäftsführerin Stevie Schmiedel. „Das Ministerium will eine neue Zielgruppe ansprechen und in den Medienbereich vorstoßen.“ Deshalb auch der freie Eintritt. „Wir wollen jeden ansprechen und mit der Party auch jeden feiern“, sagt Schmiedel. Ein Fest für moderne Geschlechterrollen und alle Körperbilder, das vom Ministerium finanziert wurde.
Pinkstinks, eine gemeinnützige Protestorganisation, versuchen dem Trend der „Pinkifizierung“ schon seit Jahren entgegenwirken. Und die betreffe Jungen und Mädchen gleichermaßen. Ihr Zuruf: Es gibt nicht nur zarte Prinzessinnen und starke Ritter. Sei, wer du willst und wie du es willst! Seit 2012 organisieren sie Aktionen gegen GNTM. „Das Frauenbild, dass die Sendung zelebriert sagt Mädchen: Du bist nicht schlank genug, nicht sexy genug, zu widerspenstig“, kritisiert Schmiedel, die in der Genderforschung promovierte. Ihre Organisation erreichte 2015 eine Prüfung der Sendung durch den Jugendschutz. Sie wurde aber nicht als jugendgefährdend eingestuft. „Lächerlich“, findet die Pinkstinks-Geschäftsführerin.
Ein Protest-Eintopf der guten Laune
Das Programm des Abends ist so voll gepackt wie die Tanzfläche. Die Rapperinnen Sookee und Finna sprechsingen über Schönheitsbilder und Selbstzweifel. Rampensau Bernadette La Hengst und Soulsängerin Tamika geben sich im Anschluss das Mikrofon in die Hand. Alle Musikerinnen thematisieren in ihren Texten Sexismus, Homophobie und Genderfragen. Sookee vermittelte dann noch Poetry-Slammerin Ninia La Grande für die Moderation und fertig war ein Protest-Eintopf der guten Laune.
Aber es gibt nicht nur Musik. Die Journalistinnen Silke Burmester und Margarete Stokowski interviewen das österreichische Plus-Size Model Ina Holoub, die zuvor mit anderen Models mit Übergröße in Abendrobe und später Unterwäsche über den Laufsteg gelaufen war. Ob sie auch GNTM schaut, will Margarete wissen. „Ja, denn man muss ja das Feindbild kennen“, antwortet Ina, die später noch einen Burleske-Auftritt in einem anderen Club vor sich hat.
Die Gefährdung junger Mädchen durch Formate wie GNTM ist wissenschaftlich belegt. Eine Studie von Medienwissenschaftlerin Maya Götz kommt zum Ergebnis, das die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper bei jungen Mädchen angestiegen ist, seitdem die Klum-Show im Fernsehen läuft. Kein Wunder, denn dort werden nur Mädchen bis Kleidergröße 36 genommen. Wenn die wüssten, wie viel Applaus und Geschrei die Plus-Size-Models an diesem Abend bekamen. Ohrenbetäubend!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!