Demo in Frankfurt: Der Zorn der Bankerin
"Wir zahlen nicht für eure Krise" - bei der Demo in Frankfurt zogen Tausende Menschen durch das Finanzviertel. Darunter auch eine Bankerin mit Sympathien für Attac.
Frankfurt am Main Nein, als klassische Bankerin sieht sich Andrea Neukirchen* nicht. Sie arbeitet in der Kommunikationsabteilung einer Frankfurter Privatbank, deren Namen sie nicht nennen möchte. Und sie betont, dass sie nur für sich sprechen könne. Sie wisse gar nicht, was ihre Kolleginnen und Kollegen denken, schon gar nicht, wie ihre Branche im Westend, dem vornehmen Bankenviertel in Frankfurts Innenstadt, insgesamt tickt. In diesem Moment läuft der Ver.di-Block an ihr vorbei, also der Gewerkschaft, die für ihre Branche steht. Sie schaut sich nach bekannten Gesichtern um. "Ich denke, ich bin die Einzige von meiner Bank, die hier demonstriert."
Es ist nicht die erste Demonstration der 43-Jährigen. Für den Frieden sei sie schon auf die Straße gegangen. An Anti-Atomkraft-Demonstrationen habe sie teilgenommen. Und vor gar nicht allzu langer Zeit habe sie sich als Mutter von zwei Kindern an Protesten für mehr Bildung und Kitabetreuung beteiligt. "Das sind mehr so die Themen, die mich beschäftigen", sagt sie. Attac? Findet sie sympathisch. Gewerkschaften? "Sind mir fremd." Was sie dennoch trotz strömenden Regens an einem Samstagmittag auf die Straße treibt? "Es ist eine absolute Frechheit, wie sich die Vorstandsmitglieder der großen Banken trotz Staatshilfe weiter systematisch Millionen in die Taschen schieben", sagt sie.
Tausende Menschen ziehen an diesem Samstag durch das Bankenviertel und die Frankfurter Innenstadt. Die Veranstalter sprechen später von 20.000, die Polizei von 12.000 Teilnehmern. "Wir zahlen nicht für eure Krise", ertönt es immer wieder aus den Lautsprechern der Veranstalter. Und: "Für eine solidarische Gesellschaft!" Andrea Neukirchen steht am Straßenrand und wartet. Der Block mit den vor allem schwarz gekleideten Demonstranten ist ihr nicht ganz geheuer. In einem Abstand von 200 Metern folgt der besonders lautstarke Zug der türkischen MigrantInnenorganisation Didif. Die nächsten Kilometer sind geprägt von den Blöcken von IG Metall, GEW und Ver.di. Opelaner aus Bochum und Rüsselsheim folgen. Dazwischen zieht eine Delegation südkoreanischer Fabrikarbeiterinnen einer Gitarrenfabrik mit einem großen Transparent an ihr vorbei. Seit Monaten demonstrieren sie wegen Entlassungen gegen ihre einstige Firmenleitung und wollen nun die Musikmesse in Frankfurt für weitere Proteste nutzen. Andrea Neukirchen wartet auf den Attac-Block.
"Attac macht seine Sache gut", sagt sie. Das Netzwerk würde "fundiert informieren und "nicht nur Stimmung" machen. Eine gute Alternative für jemanden wie sie, die grundsätzlich zwar politisch interessiert sei, aber keine Zeit für ellenlange und klein gedruckte Flugblätter mehr habe. "Da kann man die Krise durchaus verstehen - wenn man sie denn verstehen will."
Sie selbst habe von der Demo erst zwei Tage zuvor erfahren. In ihrem Freundeskreis hat sie daraufhin herumgefragt, ob jemand Zeit für die Demo hat. Die Antworten fielen verhalten aus.
Viel diskutiert wird in ihrem Kollegenkreis über die Krise nicht, erzählt sie. Schon gar nicht, ob und wo Fehler in ihrer Branche gemacht wurden. Natürlich hätten auch viele von ihnen Geld verloren, das sie zu besonderen Angestelltenkonditionen angelegt hatten. Doch zum einen seien es ohnehin "virtuelle Verluste", sagt sie, so wie es vor der Krise "virtuelle Gewinne" waren, die nie wirklich erwirtschaftet wurden. Zum anderen sei nicht wirklich damit zu rechnen, dass irgendjemand von den Bankern demnächst auf Hartz IV angewiesen ist. Wenn überhaupt jemand Probleme habe, suche er seinen individuellen Ausweg, erzählt sie. Zumal seit Jahren behauptet werde, dass Deutschland "overbanked" sei, es also zu viele Banken gebe. "Die Jobangst hat es bei uns auch vor der Krise schon gegeben."
Der Jobverlust ist - auch für Neukirchen selbst - eine durchaus konkrete Bedrohung. Wenn bis zum 31. März keine Kündigung vorliegt, könne sie sich immerhin für die nächsten drei Monate in Sicherheit wähnen. Der 30. Juni sei dann der nächste Stichtag. Eine gewerkschaftliche Organisierung ist in ihrer Bank so gut wie gar nicht vorhanden, ihre Präsenz gleich null. Auch Neukirchen hat keinen Bezug zu Gewerkschaften. Broschüren des Betriebsrats oder der Gewerkschaften lägen nicht aus, stattdessen Oster-Flyer.
Existenzängste hat Neukirchen aber keine. "Nicht mehr", sagt sie. 15 Jahre arbeitet sie nun für denselben Arbeitgeber, viele Jahre war sie in der Familie die Alleinverdienerin. Inzwischen habe auch ihr Ehemann einen guten Job - nicht in der Bankbranche. "Vielleicht ist es ein guter Zeitpunkt, sich umzuorientieren."
Die Demonstrationszüge schlängeln sich nun durch die engen Gassen der Innenstadt und nähern sich dem Römerberg. Dort soll die Abschlusskundgebung stattfinden. "Jetzt sind die dran, die sich schamlos bereichert haben", ruft eine Ver.di-Funktionärin. Ein "gerechtes Steuersystem" und "ein soziales Konjunkturprogramm" fordert Oskar Lafontaine. Wenig später fliegen Eier und Äpfel auf den Linkspartei-Chef. Wegen früherer Äußerungen könne Lafontaine "nicht Teil einer linken Krisenlösung" sein, heißt es auf Flugblättern, die halb vermummte Antifas in die Luft werfen. "Wir sollten zusammenstehen und nicht kleinkarierte Kämpfe untereinander austragen", ruft Lafontaine seinen Kritikern daraufhin zu. Die Lage beruhigt sich, als ein Chor auf der Bühne das Lied von der "Einheitsfront" von Bertolt Brecht anstimmt.
Neukirchen wundert sich, wie gelassen die Stimmung insgesamt geblieben ist. Für sie waren es die "üblichen Verdächtigen", die auch sonst derzeit auf Demos zu sehen sind. Dabei müsste "die Botschaft doch gehaltvoller sein", sagt sie. "Ich würde denken, dass dieses Thema noch viel mehr Leute auf die Straße bringt." Offensichtlich aber sei die Krise bei den Leuten doch noch nicht angekommen, vermutet sie. Noch nicht.
*Name von der Redaktion geändert
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