Proteste in Berlin, Frankfurt und London: "Den Kapitalismus abwracken"

Mehrere Zehntausend zogen gegen die Verantwortlichen der Finanzkrise auf die Straßen, forderten mehr Hilfe für Menschen anstatt für Konzerne. Lafontaine wurde mit Eiern begrüßt.

Großprotest in der Bankenmetropole: "Wir zahlen nicht für eure Krise" Bild: dpa

BERLIN/FRANKFURT taz Mehrere zehntausend Menschen haben am Samstag in Berlin und Frankfurt gegen das Weltfinanzsystem protestiert. So versammelten sich in Berlin zwischen 15.000 und 30.000, in Frankfurt zwischen 12.000 und 25.000, um gegen Bankiers und Politik zu demonstrieren.

Proteste gab es auch in London, Wien, Genf, Madrid, Paris, Rom und Oslo. Allein in London, am Ort des G-20-Gipfels am kommenden Donnerstag, der Anlass für die Proteste ist, gingen 35.000 Demonstranten aus vielen Ländern unter dem Motto "Put People First" auf die Straßen. In Rom waren es bis zu 50.000 Menschen, in Paris dagegen waren es nur ein paar hundert, die einen großen Sandhügel vor der Pariser Börse aufschütteten, der eine Steueroase symbolisieren sollte.

"Wir zahlen nicht für eure Krise"

Das Gefühl, unschuldig für eine Krise aufkommen zu müssen, während die Verantwortlichen straflos davonkommen, das trieb auch in Berlin die Menschen auf die Straße. Die Veranstalter sprachen von 30.000 Teilnehmern, während die Polizei die Zahl auf 15.000 taxierte. Auch die Berliner Demonstranten erklärten den Regierungsvertretern der 20 größten Industrie- und Schwellenländer, die sich in London treffen werden, in ihrem Motto eindringlich: "Wir zahlen nicht für eure Krise".

Ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Parteien, Globalisierungskritikern, linken Gruppen und Umweltverbänden hatte unter diesem Satz zu den Protesten aufgerufen. Entsprechend gemischt waren auch die Teilnehmer der Demonstration. Rote Fahnen von jeglicher Art waren zu sehen – getragen von Gewerkschaftern, Linksparteilern bis hin zu Aktivisten der Antifa-Gruppierungen.

Auch die Redner repräsentierten ein breites Spektrum der linken Bewegungen: Neben dem prominentesten Redner, dem Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi, sprachen unter anderem Hans-Jürgen Urban aus dem Vorstand der IG Metall und Carsten Becker vom Personalrat der Charité.

"Die Großbanken verstaatlichen"

Fast allen Rednern gemeinsam: die Aufforderung, sich in Dimension und Intensität an den Protesten in Frankreich zu orientieren. Dort waren in den vergangenen Monaten mehrere Millionen Menschen auf die Straße gegangen, um für soziale Maßnahmen zu protestieren. Erst vor zehn Tagen legte ein Generalstreik das Land lahm – gleiches wünschten sich die Redner und Demonstranten auch für Deutschland.

Applaus gab es nicht nur für Forderungen nach einem Generalstreik, sondern auch für die kapitalismuskritischen Parolen. Den "Kapitalismus abwracken", riefen etwa die beiden Rednerinnen vom antikapitalistischen Block, "die Überführung der Banken in die Öffentliche Hand" forderte Alexis Passadakis von Attac.

Auch Gysi stimmte ein: "Die Großbanken müssen verstaatlicht werden", forderte er vor applaudierendem Publikum. Nur wenn es einen wachsenden zivilgesellschaftlichen Widerstand gebe, sagte Gysi, sei es möglich, eine Sozialisierung der Verluste zu verhindern.

Ähnlich sahen es manche Teilnehmer der Demonstration: "Ich bin davon überzeugt, dass es etwas bringt, auf die Straße zu gehen", erklärte ein Mittfünfziger mit mehreren Zeitungen unter dem Arm. Hinter ihm stand eines der zahlreichen Transparente, die einen Mindestlohn von zehn Euro und eine 30-Stunden-Woche fordern. "Wäre die Welt eine Bank, hättet Ihr sie längst gerettet", hieß es auf anderen Plakaten. Auf einem anderen stand: "Krisen abschaffen nur mit Revolution".

In Frankfurt gegen Banken-Schutzschirme

Auch in Frankfurt waren die DemonstrantInnen von "Schutzschirmen für Banken" nicht begeistert. Sie hätten lieber mehr "Schutzschirme für Menschen". Mancher Demonstrant mag sich das nicht nur im übertragenen Sinne gewünscht haben, sondern auch ganz konkret gegen den anfangs strömenden Regen.

Aber das schlechte Wetter konnte die Tausenden von Menschen nicht abhalten, in zwei Demonstrationszügen durch die Frankfurter Innenstadt und das Bankenviertel zu ziehen. Die Polizei sprach von 12.000 TeilnehmerInnen - woraufhin Attac ihr vorwarf, bewusst zu geringe Zahlen anzugeben. Denn die Veranstalter wollen 25.000 Menschen gezählt haben.

Musste vor Eierwürfen geschützt werden: Oskar Lafontaine. Bild: dpa

Zu Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften kam es in Frankfurt nicht. Doch vorsichtshalber waren vor allem einige Bankengebäude im Stadtteil Westend mit Holzbrettern vernagelt worden. "Überflüssig", sagte eine Demonstrantin aus Stuttgart. Es zeige bloß, dass die Banker sich ihrer Schuld gegenüber der Gesellschaft bewusst seien.

Auch in Frankfurt war die Demonstration geprägt von Gewerkschaftern, Anhängern der Linkspartei sowie den GlobalisierungskritikerInnen um Attac. Auch Umwelt- und Entwicklungsorganisationen waren vertreten, sowie ein eigener Block von Autonomen. Einig waren sich die Demonstranten, wer für die Krise künftig zur Kasse gebeten werden solle: "Jetzt sind die dran, die sich schamlos bereichert haben", forderte Leni Breymaier, Verdi-Vorsitzende in Baden-Württemberg.

Dass ein so breites Bündnis auch zu Widersprüchen führen kann, zeigte sich bei der Abschlusskundgebung auf dem Römerberg. Während die Vertreterer der Gewerkschaften unter großem Applaus Hilfe für den Autobauer Opel forderten, wandte sich Jutta Sundermann von Attac in ihrer Rede gegen "Klimakiller auf vier Rädern, die Menschenleben gefährden". Der Applaus fiel bei ihr allerdings nur mäßig aus.

Eier auf Lafontaine

Auch Oskar Lafontaine stieß nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Als der Linkspartei-Vorsitzende zu seiner Rede ansetzte, flogen aus einer kleinen Gruppe von Antifas und autonomen Anarchosyndikalisten Eier und Äpfel auf die Bühne.

Wegen früherer Äußerungen könne Lafontaine "nicht Teil einer linken Krisenlösung" sein, hieß es auf Flugblättern der "Antifaschistischen Aktion". Lafontaine ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, sondern appellierte an die Teilnehmerer zusammenzuhalten: "Wir sollten zusammenstehen und nicht kleinkarierte Kämpfe untereinander austragen."

Das sah auch die Mehrheit der Zuhörer so: Angehörige von Linkspartei und Gewerkschaften stellten sich den Autonomen mit "Oskar, Oskar"-Rufen in den Weg und verhinderten eine weitere Eskalation. Die Lage beruhigte sich, als ein Chor auf der Bühne das Lied von der "Einheitsfront" von Bertolt Brecht anstimmte. Die Polizei schritt nicht ein.

Am Rande der Proteste in Berlin gab's dann doch ein wenig Randale. Bild: reuters

Ausschreitungen in Berlin

Das tat die Polizei allerdings etwas später in Berlin. Denn der Wunsch der Veranstalter, friedlich zu protestieren, wurde nicht von allen erhört. Während der Abschlusskundgebung am Roten Rathaus kam es am Rande zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten, als die Polizei versuchte, einzelne Demonstranten herauszugreifen. Einige Teilnehmer wurden festgenommen, mehrere Personen mussten von Sanitätern behandelt werden.

Obwohl die Veranstalter sich mit der Zahl der Demonstranten zufrieden zeigten, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Um politisch etwas zu erreichen, werde eine einzige Demo nicht reichen, sagte Jutta Sundermann von Attac. "Wir werden einen langen Atem brauchen." Weitere Proteste sind geplant.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.