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Demo gegen AfD-Jugend in GießenZehntausende demonstrieren gegen AfD-Jugend

In Gießen haben am Samstag Menschen aus ganz Deutschland gegen die rechtsextreme „Generation Deutschland“ demonstriert. Die Polizei setzte Gewalt ein.

Darf bei antifaschistischem Protest wie am Samstag in Gießen nicht fehlen: Polizeigewalt Foto: AdoraPress/PM Cheung
Yağmur Ekim Çay

Aus Gießen

Yağmur Ekim Çay

Es ist dunkel, früh und kalt. Trotzdem treffen sich am Samstag Tausende Menschen am Gießener Hauptbahnhof. Auf der anderen Lahnseite kommen nach und nach mehr als 200 Busse an, die das Bündnis Widersetzen organisiert hat. Aus 14 Bundesländern sind Polizeikräfte angereist, am Vortag waren auf den Straßen der hessischen 90.000-Einwohner-Stadt mehr Polizeiautos als Menschen unterwegs.

Der Grund: Mitglieder der rechtsextremen AfD haben sich dort zur Neugründung ihrer Jugendorganisation "Generation Deutschland" getroffen – das hat Tausenden aus ganz Deutschland nicht gefallen. Hessische Behörden rechneten vorab mit Gewalt seitens der Demonstrierenden; selbst die Bundeswehr hatte ihre Soldaten vor Angriffen gewarnt.

Trotz der Kälte treffen sich mehrere Tausend Menschen ab 5 Uhr am Gießener Hauptbahnhof, immer mehr Züge aus anderen Städten kommen an. Eine der Ankommenden ist die 72-jährige Renate S., eine Oma gegen Rechts aus Friedberg. Sie erzählt, dass sie nach der Berichterstattung über die Demonstrationen Angst hatte, ob sie es in ihrem Alter schafft. Dann habe sie jedoch gedacht: „Kein Bock auf Nazis“ – und sei früh aufgestanden, um an der Demo teilzunehmen.

Die Zahlen gehen auseinander

Neben Renate steht eine bunte Gruppe: Studierende, Gewerkschafter*innen, Auszubildende und migrantische Gruppen, die früh nach Gießen kamen. Insgesamt sollen es 50.000 Menschen gewesen sein, wie das Bündnis Widersetzen später mitteilt – eine der größten antifaschistischen Mobilisierungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Allein an der Hauptdemonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) nahmen nach dessen Angaben 20.000 Menschen teil. Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) sprach gegenüber der dpa hingegen von 25.000 bis 30.000 Demonstrant*innen.

Auf der anderen Seite der Lahn, in der Weststadt, wo sich die Rechtsextremen in den Hessenhallen treffen, wurden acht Versammlungen nach einem Rechtsstreit mit der Stadt Gießen am Freitag verboten. Seit Freitagabend standen dort Polizeisperren: Ohne Wohnsitz in der Weststadt darf niemand über die Brücke in den Stadtteil. Motivierte Demonstrierende versuchen immer wieder, über die Brücken in die Weststadt zu gelangen. Die Polizei setzt mehrfach Wasserwerfer ein. Ansonsten herrscht vielerorts eine fast feierliche Stimmung, etwa vor der Bühne des DGB.

Flöten gegen Rechts: Eine Person bei der Demo spielt einen Song mit dem Titel "Scheiß AfD" Foto: Jeremy Knowles
Wasserwerfer, Cops und Antifa: Protest gegen die AfD-Jugend am Samstag in Gießen Foto: David Klammer

16 Blockaden verzögern AfD-Veranstaltung

Auf der östlichen Lahnseite ist es angespannter. Mehr als 15.000 Menschen schaffen es an 16 verschiedenen Punkten, Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen laut Polizei „massiv“ zu blockieren. Dabei kommt es mehrfach zu erheblicher Polizeigewalt. An der Hardtallee räumt die Polizei eine Blockade und setzt dabei Schmerzgriffe ein. In der Weilburgstraße stößt eine Gruppe auch auf eine Polizeiblockade, Polizisten prügeln mit Schlagstöcken auf die Aktivist*innen ein, wie taz-Reporter*innen beobachten. Eine Person geht bewusstlos zu Boden, liegt dort fast 10 Minuten, und es gibt Vorwürfe, dass die Polizei keinen Krankenwagen gerufen habe. Darüber hinaus kommen mehrfach Wasserwerfer und Pfefferspray zum Einsatz.

Das Bündnis Widersetzen sagt, es sei erschrocken über das Ausmaß der Polizeigewalt. Zahlreiche Demonstrierende seien durch Faustschläge, auch ins Gesicht, sowie durch Schlagstöcke und Pfefferspray verletzt worden. Die Polizeigewerkschaft GdP Hessen berichtet von mehr als einem Dutzend verletzter Polizist*innen. Diese „Gewalt“ verurteilt der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) am Nachmittag. Insgesamt sollen bis zu 6.000 Beamt*innen im Dienst gewesen sein. Ein kleiner Teil davon hatte jedoch eine andere Aufgabe: Ein Polizeikonvoi wie ein kostenloser Shuttle-Service brachte die AfD-Kader Björn Höcke, Alice Weidel und Tino Chrupalla zur Halle.

Trotz der teils heftigen Gewalt bewertet Widersetzen seine Aktionen des zivilen Ungehorsams als „großen Erfolg“. Trotz gerichtlicher Verbote und Polizeisperren schafften es letztlich rund 5.000 Demonstrierende in die Nähe der Halle. Und um 10 Uhr, dem ursprünglich geplanten Beginn des AfD-Jugendkongresses, stand die Halle leer. Der Kongress konnte erst um 12.30 Uhr – in einer noch immer halbleeren Halle – starten.

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