Demo an griechisch-türkischer Grenze: Zaun runter, nicht die Renten
„Die Kapitalisten bringen die Arbeitslosigkeit, nicht die syrischen Flüchtlinge.“ In Nordgriechenland haben am Sonntag Antifaschisten demonstriert.
Der Sprechchor verstummt. Eine Sprecherin der antifaschistischen Organisation Kerfa, die die Demonstration heute organisiert hat, stellt sich vor das Mikrofon auf den Podest. Katerina Thoidou ruft, dass es genug Platz in Europa gibt, dass man nicht aufgeben werde, dass es historische Zeiten seien, in denen man zusammenhalten müsse. Wieder werden Sprechchöre laut „Die Kapitalisten bringen die Arbeitslosigkeit, nicht die syrischen Flüchtlinge!“
Auch Nikos Boulzos ist heute hier. Der 29 arbeitet ebenfalls in der antifaschistischen Organisation Kerfa. „Allein in dieser Woche sind über 40 Menschen auf ihrer Flucht über die Ägeis ums Leben gekommen“, sagt er. Hier nahe der Ortschaft Orestiada sei das einzige Grenzstück zwischen Türkei und Griechenland, welches auf dem Landweg zu passieren wäre gelegen. Doch es ist abgeriegelt. Daher sterben tausende von Flüchtlingen im Fluss Evros oder auf ihrer Überfahrt übers Meer, erklärt er. Ständig werde berichtet, dass die Flüchtlinge für die Arbeitslosigkeit hier im Lande verantwortlich sind.
Der Mann macht eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist Unsinn! Wir haben keine Jobs wegen der Austeritätspolitik der EU!“. Das Geld der EU solle in die hilfsbedürftigen Menschen investiert werden, nicht in die Banken! Die Syriza-Regierung hatte viel versprochen – sie wollte den Zaun öffnen. Nichts davon sei bis jetzt passiert. Die griechische Regierung folge nur noch der EU-Politik. Die Menschen hatten eigentlich an diese linke Regierung geglaubt. Sie fühlen sich verraten. Nikos hebt wieder die Fahne der Kerfa in die Höhe, stimmt in den Sprechchor ein.
Unter der Junta keinen Job bekommen
Auf der anderen Straßenseite des großen Platzes haben sich einige RentnerInnen versammelt und schauen sich das Treiben an. „Ja, die jungen Menschen haben recht“, sagt einer von ihnen. Es sei unmenschlich, die Flüchtlinge einfach verrecken zu lassen. Er selbst sei in den 60er Jahren nach Deutschland ausgewandert, erzählt er. Er sei sozusagen ein Wirtschaftsflüchtling gewesen und überhaupt, damals unter der Junta, da hätte er keinen Job bekommen.
Er versteht sowohl die Wirtschaftsflüchtlinge als natürlich auch die Kriegsflüchtlinge, die in Europa auf ein besseres Leben hoffen. Außerdem sei Europa an diesem Krieg Schuld. Ein anderer Rentner mischt sich ein: „Wir werden hier doch vollkommen überlaufen von denen!“ sagt er. Das könne das krisengeschüttelte Griechenland nicht länger tragen. Er mache sich große Sorgen, dass es hier zu Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen kommt.
Die Demonstration setzt sich in Bewegung und zieht durch die Straßen Orestiadas. Aktivisten verteilen Flyer mit Informationen an die Einwohner. „Ihr solltet selbst über die Grenze ausgewiesen werden!“ ruft ein aufgebrachter Mann in Anzug und Krawatte den Demonstrierenden zu. Eine Ecke weiter klopft eine Frau Ende 50 einem der Aktivisten auf die Schulter. „Weiter so“ sagt sie. Die Frau gehört zu einer Gruppe hier in der Ortschaft, die den Flüchtlingen mit Kleiderspenden aushilft und auch Essen verteilt.
Banner kurz vor dem Grenzübergang
Die Demonstranten steigen wieder in die Busse, um sich in der Ortschaft Kastanies erneut zu versammeln. Denn dort versuchen die meisten der Flüchtlinge die Grenze in die EU zu passieren – das wird durch den Zaun erschwert. Zahlreiche Polizisten stehen schon vor Ort, um die DemonstrantInnen nicht nahe an dieses Gebiet heranzulassen. Drei der Organisatoren schaffen es doch, die Polizeibarrikaden gewaltlos zu durchbrechen. Sie stellen sich mit ihrem Banner kurz vor dem Grenzübergang auf.
Die Männer werden von der Polizei wieder hinter die Absperrung begleitet. Wieder ertönen Sprechchöre. 20 Minuten später ist löst sich die Demonstration friedlich auf. Ein Zeichen wurde gesetzt – dass Taten folgen können, liegt nun in den Händen der europäischen Regierungen.
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