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DekolonialismusZurückgeschaut mit Widerstand

„Wege des Erinnerns“ heißt eine Ausstellung im Afrikanischen Viertel in Wedding über die Straßenumbenennungen. Dekoloniale Bewegung kämpft gegen das Vergessen.

Der Aktivist Mnyaka Sururu Mboro beim Rundgang durch das Afrikanische Viertel Foto: Tina Eichner

Berlin taz | Mnyaka Sururu Mboro nimmt das lila Tuch weg, das die Stele an der Cornelius-Fredericks-Straße verhüllt hat. „Heute sehen wir, was wir geschafft haben“, sagt der Aktivist, „es war ein weiter Weg.“ Seit 2005 leitet Mnyaka Sururu Mboro postkoloniale Rundgänge durch das Afrikanische Viertel im Ortsteil Wedding. Am Donnerstag wurde die temporäre Ausstellung „Wege des Erinnerns“ eröffnet, die in Form von sieben Stelen nun für mindestens ein Jahr im Stadtraum zu sehen sein wird.

Mboro beginnt mit einer Schweigeminute für die Menschen im heutigen Namibia, die Opfer eines Genozids wurden. „Diese Tafel erzählt diese Geschichte“, sagt er. Zu erfahren ist, warum diese Straße seit 2022 Cornelius-Fredericks-Straße heißt und nicht mehr Lüderitzstraße. „Die Umbenennung beendet die Ehrung eines Kolonialbetrügers, dessen Landnahme eine Grundlage für den Genozid [in Namibia] war.“

Sie ermöglicht außerdem den Perspektivwechsel hin zu Persönlichkeiten des antikolonialen Widerstands“, ist dort zu lesen. Nun wird hier Cornelius Fredericks geehrt. Er nahm eine Führungsrolle in einer Gruppe der Nama ein, die bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Kolonialaggression leistete.

Auch am Manga-Bell-Platz, an der Anna-Mungunda-Allee und an der Maji-Maji-Allee wird mit einer solchen Stele über die neuen – und ehemaligen – Na­mens­ge­be­r*in­nen der Straßen aufgeklärt. Am Pekinger Platz, an der Kiautschoustraße und an der Samoastraße im Sprengelkiez wird auf den kolonialen Kontext der Straßennamen verwiesen und dieser um antikoloniale Gegenerzählungen ergänzt.

Eigene Bildsprache entwickelt

Zum Beispiel wird der Widerstand der Yìhétuán (sogenannter Boxeraufstand) in China gegen Militäraktionen Deutschlands und anderer imperialer Truppen benannt.

Den Vorwürfen, die Bewegung wolle Erinnerung tilgen, setzen sie damit ganz praktisch etwas entgegen. „Wir setzen uns mit ganzer Kraft dafür ein, dass nicht vergessen wird“, sagt Anna Yeboah, Gesamtkoordinatorin des Modellprojekts Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt.

Auch die Gestaltung der Flächendenkmäler ist dekolonial. Danielle Rosales von Visual Intelligence hat dafür eine eigene Bildsprache entwickelt: Koloniale Begriffe wie „Deutsch-Südwestafrika“ erscheinen durchgestrichen, historische Bilder aus Gewaltkontexten werden durch Ausschnitte und Zooms verfremdet. Die Steine sowie die Abbildungen orientieren sich an Symbolen des Widerstands. Dabei gibt es keine geografische Trennung. So ist zum Beispiel auf der Tafel zum Pekinger Platz als Symbol das Opernglas der Familie Manga Bell aus einer früheren Ausstellung zu sehen.

Was hat die dekoloniale Bewegung geschafft? Und wie geht es jetzt weiter? „Wir haben es geschafft, die Stelen im öffentlichen Raum zu verankern und damit den Blick auf den Widerstand gegen Kolonialismus zu lenken“, sagt Ibou Diop. Er leitete das Projekt Erinnerungsort Kolonialismus am Berliner Stadtmuseum und hat das Projekt zusammen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen wie Decolonize Berlin e. V., Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt, Adefra e. V. und Korientation e.V. umgesetzt.

Die Ausstellung sollte ursprünglich letztes Jahr im November stattfinden, parallel zur gleichnamigen Fotoausstellung, die jene Menschen würdigte, die sich jahrelang für die Umbenennungen und für eine postkoloniale Erinnerungskultur eingesetzt haben. Doch die Genehmigung durch das Grünflächenamt Mitte dauerte länger, sagt Ibou Diop. Genehmigt wurden die Stelen außerdem nur für ein Jahr. Eine Nachfrage an das Grünflächenamt, warum das so ist, wurde bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.

Erinnerungskonzept liegt vor

Überhaupt ist die Feierstimmung an Tag der Eröffnung nicht so ausgelassen, wie sie sein könnte. „Man hätte fast sagen können, es findet eine Institutionalisierung dekolonialer Arbeit statt. Jetzt hängt das Erinnerungskonzept Kolonialismus beim Senat fest“, sagt Kimiko Suda. Die Chinawissenschaftlerin engagiert sich bei Korientation e.V. und hat die Texte auf den Stelen zu China und Samoa verfasst.

2019 hat das Berliner Abgeordnetenhaus die Entwicklung eines gesamtstädtischen Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzepts zur Geschichte und zu den Folgen des Kolonialismus des Landes Berlins beschlossen. Seit 2024 liegt das Erinnerungskonzept vor. Was genau der Senat nun noch ändern und abstimmen lassen will, erklärte dieser auch in einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sebastian Walter und Daniel Wesener (Grüne) nicht.

Auf eine Anfrage der taz schreibt ein Sprecher der Senatsverwaltung für Kultur: „Aussagen zur Umsetzung des Erinnerungskonzeptes können derzeit nicht getroffen werden, um dem parlamentarischen Prozess nicht vorwegzugreifen.“

Auch die Finanzierung scheint nicht gegeben: „Angesichts der angespannten Haushaltslage zielen die Bemühungen derzeit darauf ab, bereits geschaffene Strukturen langfristig zu erhalten“, heißt es dort. Man wolle die Finanzierung zum gegebenen Zeitpunkt darstellen. Diop bleibt jedoch optimistisch: „Die Umsetzung wird kommen, es ist nur unklar, wann“, sagt er.

Unklar ist derzeit auch, wo der geplante Lernort zum Kolonialismus seinen Platz finden soll. 2023 sagte der damalige Kultursenator Joe Chialo noch, er könne sich dies in der Wilhelmstraße 92 vorstellen. Die Adresse hat einen direkten Bezug zum Kolonialismus.

Lohnender Perspektivwechsel

Otto von Bismarck hatte hier seine Reichskanzlei. 1884/85 wurde in den Räumen die sogenannte Kongokonferenz abgehalten, wo die Aufteilung des afrikanischen Kontinents in Kolonien beschlossen wurde. Bis vor kurzem war dort der Projektraum „Dekoloniale“ angesiedelt. „Der Vermieter der Wilhelmstraße 92 hatte im Herbst 2024 erklärt, die Flächen nicht weiter an das Stadtmuseum vermieten zu wollen. (…)

Die Wilhelmstraße 92 steht daher derzeit nicht als Mietobjekt und Projektraum zur Verfügung“, heißt es seitens des Senats. Ein zentraler Lern- und Erinnerungsort in Berlin werde dennoch angestrebt.

Kimiko Suda betont: „Die Umbenennungsbewegung hatte einen sehr großen Erfolg: Nämlich den, dass sich Initiativen afro- und asiatisch-diasporischer Communites nachhaltig vernetzt und längerfristig zusammen gearbeitet haben. Auf diese Grundlage lässt sich zukünftig noch viel aufbauen.“

Die Sinologin hat eine konkrete Vision. „Ich möchte, dass auch die kolonial belasteten Straßen, die nach Orten benannt sind, umbenannt werden.“ Zwar gebe es einen Unterschied zwischen der Samoastraße und dem Pekingplatz und einer Straße, die nach einem Kolonialverbrecher wie zum Beispiel Carl Peters benannt wurde. „Aber ein Perspektivwechsel würde sich auch hier lohnen“, sagt Kimiko Suda.

Für den Pekingplatz etwa schlägt sie die Anführerin einer Einheit der sogenannten antikolonialen „Leuchtende Laternen“, Lin Hei'er vor. Für die Samoastraße Lauaki Namulau'ulu Mamoe, einen Anführer der antikolonialen Mao o Pule Bewegung.

Von Kritik nicht erschüttern lassen

Und wenn dann Kri­ti­ke­r*in­nen sagen, solche Straßennamen seien unproblematisch und vielleicht sogar eine Ehrung der jeweiligen Orte? Davon lässt sich Kimiko Suda nicht erschüttern. „Kritik an dekolonialen Konzepten und Veränderungen gibt es immer und Menschen, die sich durch diese Konzepte irritiert fühlen.“

Auch für die Lans-, Iltis- und Takustraße in Dahlem wünscht sie sich eine Umbenennung: Wilhelm Lans war Kommandant des Kanonenboots „Iltis“, das im Jahre 1900 die Dagu-Forts in China beschoss. Der Angriff war der Beginn eines Kolonialkrieges gegen China, in dem Massaker, Plünderungen, Verwüstungen und Vergewaltigungen stattfanden. Die Kämpfe für eine Dekolonisierung des Stadtraums werden also weitergehen.

Ibou Diop ist sich sicher: „Auch wenn keine Mittel mehr da sind, wird es nicht mehr möglich sein, die Bewegung zurückzudrehen.“

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