Debütalbum „Elaenia“ von Floating Points: Elektro mit analogem Soul

Statt Limetten fliegen dem Londoner DJ Floating Points heute Komplimente zu. Sein Debütalbum schafft Räume, in denen Klänge atmen können.

Der DJ Sam Shepherd steht vor einem Haus

„Ich habe versucht, mit dem Album Räume zu schaffen, in denen ich mich wohlfühle“, sagt Sam Shepherd alias Floating Points. Foto: Louise Haywood-Schiefer

Sam Shepherd alias Floating Points spricht begeistert über Musik. Etwa, wenn er erzählt, wie er auf alte Soul-Alben gestoßen ist. Dann steigert sich die Geschwindigkeit seiner Worte, sodass sich Sheperds Stimme fast überschlägt. „Soul“ ist ein zentraler Begriff in Shepherds Klanguniversum als Floating Points; zentral auch für die Emotionen, die der Londoner als DJ durch seine Musikauswahl erzeugt. Soul ist ein Schlagwort für Lebendigkeit, in einem weltlichen Sinn spielt „die Seele“ eine Rolle für die Tatsache, dass hinter jedem Stück Musik ein Mensch steckt, dessen Seele wiederum im Körper der Musik auftaucht.

Auf die Produktion seines Debütalbums „Elaenia“, das nun auf Shepherds eigenem Label Eglo erscheint, hat der 29-Jährige viel Zeit verwandt. Sechs Jahre lang hat er kontinuierlich daran gearbeitet und währenddessen ein Studium der Neurowissenschaften absolviert, das Shepherd im vergangenen Jahr mit einer Doktorarbeit abgeschlossen hat.

2009 tauchte sein Künstlername Floating Points zum ersten Mal auf einem Cover auf. Die Debütsingle “J&W Beat“ war jazzige, melodische und gleichzeitig stolpernd vorantreibende Tanzmusik, ein wenn auch verschwurbelter elektronischer Clubtrack, der tatsächlich auf den Tanzflächen einschlug. Spätestens, nachdem 2011 die jazzigen, leichten Rhodes-Klänge, vibrierenden Bässe und der schwingende 4/4-Beat seines Tracks „Arp3“ von der EP „Shadows“ die Soundsystems der Clubs zum vibrieren brachte, ist Floating Points ein Star der britischen Elektronikszene geworden, angesiedelt im Grenzbereich irgendwo zwischen House und Broken Beats.

Auch als DJ genießt Sam Shepherd einen hervorragenden Ruf. Gerade weil er, statt durchgängig linientreu Techno oder UK Garage aufzulegen, das Publikum immer aufs Neue herausfordert. Sei es mit Jazz, Soul, oder Minimal Music. „Wenn man mich auflegen hört, muss man aufs Schlimmste gefasst sein!“, sagt er und lacht ausgelassen. „Ich finde es spannend, unterschiedlichste Tracks in neue Kontexte zu bringen, die zunächst abwegig wirken. Ich mag die Idee, Steve Reich und Pharoah Sanders in Clubs zu spielen, in denen man das nicht erwartet.“

Floating Points: „Elaenia“ (Eglo/Pluto Records/Rough Trade), erscheint am 6. November 2015

Intuition statt Ordnung

Allerdings stieß Shepherd mit dieser Strategie das Club-Publikum zunächst vor den Kopf: Er liefert nicht ausschließlich das, wofür der Name auf den Covern seiner Platten steht. „Jemand hat eine Limette nach mir geschmissen!“, erzählt Shepherd über eine Erfahrung, die er in Mailand gemacht hat. „Seit einiger Zeit sind die Clubgänger mir gegenüber offener. Inzwischen kann ich Kraut und Rüben spielen und meistens funktioniert es auch.“

Shepherd schätzt seine Sammlung auf 10.000 Schallplatten. Ordnung gebe es darin nicht, die Platten stapeln sich verstreut in einem Raum, erzählt er. Eine Art Archiv ohne Struktur, indem Intuition Genre-Einteilungen ersetze. Diese Herangehensweise macht ihn zu einem schwer berechenbaren, aber doch geschätzten DJ, der mit exzellenter Technik und durch eklektizistische Musikauswahl gleichermaßen überzeugt.

Sam Shepherd alias Floating Points

„Hinter jedem Musikstück steckt ein Mensch, dessen Seele wiederum im Körper der Musik auftaucht“

Damit steht Shepherd exemplarisch für eine Reihe von DJs, die sich auf Wurzelsuche begeben haben. Ähnlich dem Detroiter Produzenten Theo Parrish, verweist Shepherds kontingenter Umgang mit der Dancefloor-Historie auf die Wurzeln von Jazz. Wie bei Shepherd rücken auch bei Parrish beatgenaue Übergänge in den Hintergrund, wenn er Chicago-House, Funk und Jazz mischt und auf eine ihm eigene Weise Brüche und Spannungsbögen erzeugt. Auch Floating Points arbeitet, euphorisch vor- und zurückschwingend, mit den Knöpfen und Reglern eines Mixers, den er selbst entworfen hat. Wenn er Bässe aus einem Track zieht, sodass ein Gitarrensolo im Mittelpunkt steht, und wieder einfadet, flippen TänzerInnen aus.

Der Londoner Club Plastic People war für Shepherd ein prägender Ort und Inspiration für Experimente. Er hat dort regelmäßig aufgelegt, wie auch Theo Parrish. Dessen DJ-Sets waren etwa für den Kollegen Dan Snaith alias Caribou eine Motivation, unter dem Namen Daphni verstärkt aufzulegen. Snaith und Floating Points sind miteinander befreundet und tauschen sich regelmäßig über Musik aus. Das gilt auch für Kieran Hebden alias Four Tet, mit dem Sam Shepherd ein knapp sechsstündiges Set am Abschlussabend vom Plastic People spielte.

Damals spannten die beiden einen Bogen von Jazz über Soul, Disco und HipHop zu House. Inzwischen brennen Nachtschwärmer auf den analogen Soul von Floating Points, gerade auch in Clubs, in denen ansonsten strenge elektronische und straight preschende Tracks die Setlisten dominieren. Statt Limetten fliegen ihm heute Komplimente zu, die Clubs sind voll, wenn ein DJ-Engagement des Londoners angekündigt wird.

Erwartungen kontern

So geschah es auch, als sein Debütalbum „Elaenia“ angekündigt wurde. Wieder kontert er die Erwartungshaltungen der Fans mit ungewöhnlichen Ideen: Statt dem erwartbar feingliedrigen House, der seine volle Gestalt mithilfe großer, tieftöniger Anlagen von Clubs entfaltet, liefert der Track „Silhouettes (I, II & III)“ zum Auftakt mit seiner dreitaktigen Anordnung zwischen Jazz, Post-Rock und Funk den Eindruck einer Abkehr von Clubsound. Hört man genauer hin, ergibt sich aber ein Klangbild, das Shepherds konsequenten Ausdruck von Soul als Perspektive der Floating-Points-Musik zeigt.

Seine Tracks haben meist eine analoge Schlagseite. Häufig steht der charakteristische warme, weiche und volle Klang des Fender-Rhodes-Pianos im Zentrum, darunter laufen von Sheperd live eingespielte Drums, mal rudernd, bisweilen auch fehlerhaft und nie maschinell streng. Unterkühlte und überdigitalisierte Klänge waren eh nie Shepherds Ding. Und die Ein-Mann-Computer-Produktion auch nicht sein Ziel. Mit der Persönlichkeitsvervielfachung zum 16-köpfigen Floating Points Ensemble, das zum Jubiläum des Londoner Labels Ninja Tune im Jahr 2010 zwei Tracks einspielte, ging er den Schritt zur Komposition, an dem er mit „Elaenia“ nun anknüpft.

Mithilfe professioneller MusikerInnen setzte er die aus Piano-Improvisationen entstandenen Stücke für das Album um. Er erzählt euphorisch von der Arbeit mit Band, die sich auf den Klang von „Elaenia“ ausgewirkt hat. „Es ist mir wichtig, dass ich das Gefühl habe, die einzelnen Instrumente reagieren aufeinander“, betont Sheperd. Sein Debütalbum bildet eine zurückhaltende Collage aus auf- und abschwellenden Flächen, quirligen Klängen, den für Floating Points charakteristischen dynamischen, mal sehnenden, mal gelösten Tönen des Rhodes-Pianos.

Sam Shepherd alias Floating Points

„Beim Komponieren reise ich an einen anderen Ort. Dabei erschaffe ich musikalische Räume, in denen ich mich selbst wohlfühle“

„Elaenia“ ist keine Werkzeug-Sammlung von Tracks für die Tanzfläche. Und trotzdem erzeugt diese Musik das Gefühl, dass sich die Hörer zu ihr bewegen müssen. „Nespole“ entwickelt mit sich wiederholenden Melodiemustern und einer pulsierenden Bassline sogar den Drive eines Clubtracks ohne den Einsatz von Beats. Drums sind auf drei der sieben Stücke zu hören und klingen nicht klinisch-steril wie oft bei digitaler Tanzmusik, sondern rau und verfrickelt. Bei „Peroration Six“ arbeitet sich der Drummer an Breaks ab und steigert sich zusammen mit Piano, Synthesizer und Gitarre in einen tosenden Sturm, der am Finale plötzlich abschwächt. Das kontrastieren die beruhigend schillernden, leisen Momente wie bei „Elaenia“ und „Argenté“.

Floating Points spielt mit Lautstärken und Räumen, in denen Klänge atmen können. Genau dies sucht er auch in elektronischer Musik. „Ich möchte die Seele der Person spüren, die Musik macht, ich möchte durch die Maschinen hören und näher zum Kern des Menschen kommen“, meint er. „Ich habe versucht, mit dem Album Räume zu schaffen, in denen ich mich wohlfühle. Wenn ich am Klavier oder Synthesizer sitze und spiele, empfinde ich es manchmal, als ob ich an einen anderen Ort reise.“

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