piwik no script img

Debatte um WehrpflichtSondervermögen Demokratie

Kommentar von Mathias Greffrath

Eine Wehrpflicht ist angesichts von Hightech-Armeen keine gute Idee. Den Zivildienst kann man über ein obligatorisches Sozialjahr auch direkt haben.

Gehört zur Grundausbildung: Sport Foto: Janine Schmitz/Photothek/imago

E s war lange vor der Zeitenwende, und der Krieg war noch weit weg. Da begab es sich in der Redaktion des Wochenblattes, dass sein Herausgeber Helmut Schmidt sich wieder einmal über den Unernst und die Ahnungslosigkeit seiner Redakteure echauffierte: Die hätten alle nicht gedient und trügen keine Krawatten. Am selbigen Nachmittag schnitten die Layouter der Zeitung bunte Papierschlipse aus und verteilten sie an die wehrfähigen Redakteure, die auf den Fluren das militärische Salutieren übten.

Vielleicht sollten die Layouter der Zeit in dieser Woche aus Papier ein paar Leutnantssternchen für Martin Machowecz schneiden, den Co-Leiter des Ressorts „Streit“. Denn der hat in der Zeit gebeichtet, er bedaure heute, den Kriegsdienst verweigert zu haben, wie er überhaupt bedaure, in einem Land zu leben, „das kaum noch eine Kultur besitzt, in der das Militär eine Rolle spielt“. Deshalb müsse die Wehrpflicht zurückkommen, allerdings „nicht so, wie sie war“, sondern „freier, sogar fröhlicher“, die Kaserne kein „piefiger Ort (…), kein Männerklub“, sondern so, dass die Wehrpflichtigen „sich wohl fühlen“ könnten.

Man könnte dieses Bekenntnis leicht als Satire abtun. Unbehaglich würde mir allerdings, wenn es demnächst noch mehr Schlagzeilen gäbe wie auf dem letzten Sonntagstitelblatt der Frankfurter Allgemeinen: „Antreten zur Landesverteidigung“. Ein wirres Plädoyer für den Wehrdienst: Zunächst zitiert es den Generalinspekteur der Bundeswehr und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses mit der hinlänglich bekannten Erkenntnis, dass Kriege mit Drohnen, Satelliten und Hightech-Artillerie zu komplex sind für Soldaten mit sechs Monaten Ausbildung. Warum dann also doch Wehrpflicht?

Mathias Greffrath

lebt als freier Autor für Print und Radio in Berlin. Er ist Herausgeber von „RE: Das Kapital. Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert“ (Kunstmann, 2017).

„Eine zunehmend plurale Gesellschaftsstruktur braucht ein Gemeinschaftserlebnis“, wird Bundeswehr-Professor Michael Wolffsohn zitiert. „Lyriker und Philosophen“ könnten die „ethische (sic!) Zusammensetzung“ der Streitkräfte verbessern und so die Gräueltaten der robusteren Naturen verhindern. Und Carsten Linnemann von der CDU meint, die sechsmonatige Gemeinschaft von Akademikerkindern mit solchen aus Brennpunktvierteln könne den Zusammenhalt der Gesellschaft festigen.

Nun liegt meine militärische Ausbildung ungefähr genauso lange zurück wie die von Professor Wolffsohn. Nur mit allem Vorbehalt also möchte ich die Vermutung äußern, dass in den Kriegen der nächsten Zeit die Infanterie und die Häuserkämpfer mehr als je zuvor bloßes Kanonenfutter für die elektronischen Vernichtungssysteme sind – also eigentlich überflüssig, so wie alle Automatisierungsbetroffenen.

Aber es geht mir nicht um den Krieg der Zukunft, sondern um die Frage, ob man das gemeinschaftsfördernde Nebenprodukt des Kriegsdienstes nicht direkt haben könnte. Die Diskussion über ein obligatorisches Sozialjahr taucht immer wieder auf und verschwindet ebenso regelmäßig wieder in den Schubladen – obwohl Umfragen zeigen: es wäre populär.

Schulabgänger ohne Abschluss könnten Basisqualifikationen, Selbstwertgefühl und Orientierung entwickeln

Wir haben doch das Freiwillige Soziale Jahr, ist immer der erste Einwand. Stimmt, aber wer sich dazu entschließt, der ist zumeist schon engagiert, und gerade diejenigen, die davon am meisten profitieren könnten, werden von diesem Angebot nicht erreicht. Zweiter Einwand: Die Politik suche nach einer billigen Lösung, um Notstände in der Pflege und in den Kitas zu beheben. Dort aber würden Profis gebraucht, deshalb können Sozialverbände und Gewerkschaften sich nicht dafür erwärmen.

Richtig ist: Ein Sozialjahr sollte nicht der Stabilisierung der Sozialsysteme dienen, sondern ein Praxisjahr sein, in dem junge Menschen, die nur die Schule kennen, in die Gesellschaft, in der sie leben werden, eingeführt werden: Schulabgänger ohne Abschluss könnten Basisqualifikationen, Selbstwertgefühl und Orientierung entwickeln. Abiturienten, die noch unentschieden nach einem Beruf tasten, könnten ihre Interessen entwickeln und über den Horizont ihrer Milieus blicken.

Vorbereitung auf Engpässe

Gut, es gäbe auch weniger attraktive, aber notwendige Tätigkeiten wie Rollstuhlschieben oder Windelnwechseln, aber jenseits dieser klischeebehafteten Dienste böten sich viele andere Möglichkeiten: Grundschülern bei den Hausaufgaben helfen, alternde Mitbürger digital alphabetisieren, kommunale Gärten anlegen, in Kitas kochen, die Öffnungszeiten von Bibliotheken ausweiten, Einkaufsfahrten für unmotorisierte Landbewohner machen, Wälder aufforsten oder gar Solardächer montieren, Sozialarbeitern assistieren, die Feuerwehr verstärken oder Verwaltungsgänge beschleunigen.

Sinn ergibt das alles freilich nur, wenn es von Profis begleitet und so angeleitet würde, dass am Ende brauchbare Qualifikationen stehen. Ein solcher Bürgerdienst wäre eine Vorbereitung auf die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Engpässe vor uns und zugleich ein Gegenmittel gegen das grassierende Desinteresse am Gemeinwesen.

Und genau deshalb spricht alles dafür, ein solches allgemeines und obligatorisches Jahr nicht als Ersatz für den Kriegsdienst zu organisieren, sondern als integralen Teil ziviler Bildung. Als ein letztes, praktisches Schuljahr gleichsam, nach der zehnten oder zwölften Klasse, nur eben nicht in der Schule. Das könnte auch alles Jammern über verlorene Jahre entkräften, auch verfassungsrechtlich.

Bliebe nur die Kostenfrage. Mein Taschenrechner-Überschlag ergibt: Wenn 800 000 junge Menschen (ein Jahrgang) 1.000 Euro pro Monat für Arbeit und Unterkunft brauchen und auf jeweils 10 von ihnen ein gut bezahlter professioneller Mentor käme, dann kostete das rund 15 Milliarden pro Jahr. Das entspräche einer Steuer von 0,2 Prozent auf die Barvermögen. Wäre ein solches „Sondervermögen Demokratie und Zukunft“ unbillig für die Finanzierung einer wirklichen Zeitenwende?

Könnte, wäre, führte, würde, sollte – eigentlich wollte ich in diesem Jahr doch keine Konjunktivtexte mehr schreiben…

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    Wenn die ganzen Blitzkarriere-BWL-Fuzzies, die während meiner Zivizeit den Pflegebereich erst nach reinen Zeit/Geld Kriterien vermessen und dann kurz und klein gespart haben vorher selber mal im sozialen Bereich gearbeitet hätten, dann wären diese ganzen sogenannten Reformen vielleicht anders ausgefallen. Von daher... Ich kann dem Artikel bzw. seinem Autor nur zustimmen.

  • "Eine Dienstpflicht ist ein schwerer Eingriff in das Leben eines jungen Menschen, die nicht nur Orientierung bieten, sondern diese im Gegenteil auch behindern kann, indem sie in dem betroffenen Zeitraum Chancen und Motivationen zunichte machen kann..."



    Da Sie hier im Kontinuum von "Könnte-vielleicht" argumentieren: gleiches gilt z. B. für ein bedingungsloses Grundeinkommen ab Volljährigkeit. Und allem anderen, was man sich so vorstellen kann.

  • Können wir mal die Kehrseite der Medaille zur Kenntnis nehmen?



    Eine Dienstpflicht ist ein schwerer Eingriff in das Leben eines jungen Menschen, die nicht nur Orientierung bieten, sondern diese im Gegenteil auch behindern kann, indem sie in dem betroffenen Zeitraum Chancen und Motivationen zunichte machen kann, auch bei "Abiturienten, die noch unentschieden nach einem Beruf tasten, ihre Interessen entwickeln und über den Horizont ihrer Milieus blicken."

  • auch mit minimaler militärischer Vorbildung, aber wachem Auge für die Abläufe der Gefechte in der Ukraine, sollte leicht erkennbar sein, dass es die ukrainischen Bürgersoldaten, also Wehrpflichtige sind, die mit Hilfe von hightech Waffen unter Anleitung von professionellen Soldaten erfolgreich die Entscheidungsfreiheit und damit die Voraussetzung für Demokratie verteidigen. Die Wehrpflicht war nie so aktuell und notwendig wie heute

  • 1 verpflichtendes soziales Jahr für alle das man unter anderem mit Wehrdienst belegen könnte halte ich für sehr sinnvoll. Dinge wie Zivildienst fand ich ungemein wichtig in meiner eigenen Entwicklung und ich vermisse es bei meinen Kindern. Und ja freiwillig kann man alles machen, das ist hier nicht das Ding, es sollte wie Schulpflicht zum leben dazugehören.

    Heutzutage normal ist, direkt von Schule auf die Uni und dann in den Bürojob zu gehen. Die Erfahrung etwas anderes für andere geleistet zu haben werden viele nicht haben.

  • Entscheidender Einwand: Die Einführung wäre verfassungswidrig. Das erklärt auch, warum der Vorschlag immer wieder in der Schublade landet.

    • @Bee67:

      "Entscheidender Einwand: Die Einführung wäre verfassungswidrig"



      Verfassungswidrig? Wieso? Steht doch drin in der Verfassung!

  • Glücklicherweise verhindern die Menschenrechte diesen Zwangsdienst der Jugend, was alle Diskussionen darüber obsolet macht. Die einzige Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit eines Pflichtdienstes stellt der Wehrdienst dar (was schlimm genug ist), der zum Wehrersatzdienst umgewandelt werden kann.

    Und nochwas: Keiner und keine dieser Dienstleistenden käme je auf 1000€/Monat. Die würden genau so ausgebeutet wie früher. Und obendrein würde ihre Verfügbarkeit die Löhne in allen betroffenen Bereichen extrem drücken. Diese unerfreuliche Erfahrung habe ich selbst als freiwilliger hauptamtlicher Rettungssanitäter gemacht. Wir wurden reihenweise durch billige Zivis und BufDis ersetzt, um Kosten zu sparen.

    Also vorsichtig mit solchen Ideen.