Debatte um Wehrpflicht: Sondervermögen Demokratie
Eine Wehrpflicht ist angesichts von Hightech-Armeen keine gute Idee. Den Zivildienst kann man über ein obligatorisches Sozialjahr auch direkt haben.
E s war lange vor der Zeitenwende, und der Krieg war noch weit weg. Da begab es sich in der Redaktion des Wochenblattes, dass sein Herausgeber Helmut Schmidt sich wieder einmal über den Unernst und die Ahnungslosigkeit seiner Redakteure echauffierte: Die hätten alle nicht gedient und trügen keine Krawatten. Am selbigen Nachmittag schnitten die Layouter der Zeitung bunte Papierschlipse aus und verteilten sie an die wehrfähigen Redakteure, die auf den Fluren das militärische Salutieren übten.
Vielleicht sollten die Layouter der Zeit in dieser Woche aus Papier ein paar Leutnantssternchen für Martin Machowecz schneiden, den Co-Leiter des Ressorts „Streit“. Denn der hat in der Zeit gebeichtet, er bedaure heute, den Kriegsdienst verweigert zu haben, wie er überhaupt bedaure, in einem Land zu leben, „das kaum noch eine Kultur besitzt, in der das Militär eine Rolle spielt“. Deshalb müsse die Wehrpflicht zurückkommen, allerdings „nicht so, wie sie war“, sondern „freier, sogar fröhlicher“, die Kaserne kein „piefiger Ort (…), kein Männerklub“, sondern so, dass die Wehrpflichtigen „sich wohl fühlen“ könnten.
Man könnte dieses Bekenntnis leicht als Satire abtun. Unbehaglich würde mir allerdings, wenn es demnächst noch mehr Schlagzeilen gäbe wie auf dem letzten Sonntagstitelblatt der Frankfurter Allgemeinen: „Antreten zur Landesverteidigung“. Ein wirres Plädoyer für den Wehrdienst: Zunächst zitiert es den Generalinspekteur der Bundeswehr und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses mit der hinlänglich bekannten Erkenntnis, dass Kriege mit Drohnen, Satelliten und Hightech-Artillerie zu komplex sind für Soldaten mit sechs Monaten Ausbildung. Warum dann also doch Wehrpflicht?
lebt als freier Autor für Print und Radio in Berlin. Er ist Herausgeber von „RE: Das Kapital. Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert“ (Kunstmann, 2017).
„Eine zunehmend plurale Gesellschaftsstruktur braucht ein Gemeinschaftserlebnis“, wird Bundeswehr-Professor Michael Wolffsohn zitiert. „Lyriker und Philosophen“ könnten die „ethische (sic!) Zusammensetzung“ der Streitkräfte verbessern und so die Gräueltaten der robusteren Naturen verhindern. Und Carsten Linnemann von der CDU meint, die sechsmonatige Gemeinschaft von Akademikerkindern mit solchen aus Brennpunktvierteln könne den Zusammenhalt der Gesellschaft festigen.
Nun liegt meine militärische Ausbildung ungefähr genauso lange zurück wie die von Professor Wolffsohn. Nur mit allem Vorbehalt also möchte ich die Vermutung äußern, dass in den Kriegen der nächsten Zeit die Infanterie und die Häuserkämpfer mehr als je zuvor bloßes Kanonenfutter für die elektronischen Vernichtungssysteme sind – also eigentlich überflüssig, so wie alle Automatisierungsbetroffenen.
Aber es geht mir nicht um den Krieg der Zukunft, sondern um die Frage, ob man das gemeinschaftsfördernde Nebenprodukt des Kriegsdienstes nicht direkt haben könnte. Die Diskussion über ein obligatorisches Sozialjahr taucht immer wieder auf und verschwindet ebenso regelmäßig wieder in den Schubladen – obwohl Umfragen zeigen: es wäre populär.
Wir haben doch das Freiwillige Soziale Jahr, ist immer der erste Einwand. Stimmt, aber wer sich dazu entschließt, der ist zumeist schon engagiert, und gerade diejenigen, die davon am meisten profitieren könnten, werden von diesem Angebot nicht erreicht. Zweiter Einwand: Die Politik suche nach einer billigen Lösung, um Notstände in der Pflege und in den Kitas zu beheben. Dort aber würden Profis gebraucht, deshalb können Sozialverbände und Gewerkschaften sich nicht dafür erwärmen.
Richtig ist: Ein Sozialjahr sollte nicht der Stabilisierung der Sozialsysteme dienen, sondern ein Praxisjahr sein, in dem junge Menschen, die nur die Schule kennen, in die Gesellschaft, in der sie leben werden, eingeführt werden: Schulabgänger ohne Abschluss könnten Basisqualifikationen, Selbstwertgefühl und Orientierung entwickeln. Abiturienten, die noch unentschieden nach einem Beruf tasten, könnten ihre Interessen entwickeln und über den Horizont ihrer Milieus blicken.
Vorbereitung auf Engpässe
Gut, es gäbe auch weniger attraktive, aber notwendige Tätigkeiten wie Rollstuhlschieben oder Windelnwechseln, aber jenseits dieser klischeebehafteten Dienste böten sich viele andere Möglichkeiten: Grundschülern bei den Hausaufgaben helfen, alternde Mitbürger digital alphabetisieren, kommunale Gärten anlegen, in Kitas kochen, die Öffnungszeiten von Bibliotheken ausweiten, Einkaufsfahrten für unmotorisierte Landbewohner machen, Wälder aufforsten oder gar Solardächer montieren, Sozialarbeitern assistieren, die Feuerwehr verstärken oder Verwaltungsgänge beschleunigen.
Sinn ergibt das alles freilich nur, wenn es von Profis begleitet und so angeleitet würde, dass am Ende brauchbare Qualifikationen stehen. Ein solcher Bürgerdienst wäre eine Vorbereitung auf die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Engpässe vor uns und zugleich ein Gegenmittel gegen das grassierende Desinteresse am Gemeinwesen.
Und genau deshalb spricht alles dafür, ein solches allgemeines und obligatorisches Jahr nicht als Ersatz für den Kriegsdienst zu organisieren, sondern als integralen Teil ziviler Bildung. Als ein letztes, praktisches Schuljahr gleichsam, nach der zehnten oder zwölften Klasse, nur eben nicht in der Schule. Das könnte auch alles Jammern über verlorene Jahre entkräften, auch verfassungsrechtlich.
Bliebe nur die Kostenfrage. Mein Taschenrechner-Überschlag ergibt: Wenn 800 000 junge Menschen (ein Jahrgang) 1.000 Euro pro Monat für Arbeit und Unterkunft brauchen und auf jeweils 10 von ihnen ein gut bezahlter professioneller Mentor käme, dann kostete das rund 15 Milliarden pro Jahr. Das entspräche einer Steuer von 0,2 Prozent auf die Barvermögen. Wäre ein solches „Sondervermögen Demokratie und Zukunft“ unbillig für die Finanzierung einer wirklichen Zeitenwende?
Könnte, wäre, führte, würde, sollte – eigentlich wollte ich in diesem Jahr doch keine Konjunktivtexte mehr schreiben…
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