piwik no script img

Debatte um Waffenstillstand im GazakriegPattsituation im Verhandlungszimmer

Israel und der US-Gesandte Witkoff wollen die erste Phase des Waffenruhe-Geisel-Deals verlängern. Die Hamas fordert ein endgültiges Ende des Kriegs.

Ramadan im Gazastreifen: Fastenbrechen in einem halbzerstörten Gebäude in Dschabaliya Foto: Jehad Alshrafi/ap

Jerusalem taz | Zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan haben zurückgekehrte Bewohner in Dschabaliya im Gazastreifen bunte Fahnen und Lampen über in Trümmern liegende Straßen gespannt. Hunderte begingen am Samstagabend an langen Tafeln das traditionelle Iftar, das gemeinsame Fastenbrechen. Doch zu Beginn des für Muslime heiligen Monats scheint eine Rückkehr zum Krieg so nah wie seit Beginn der Waffenruhe am 19. Januar nicht mehr.

Nach dem offiziellen Ende der ersten Phase des Abkommens am Samstag kündigte die israelische Regierung am Sonntag an, sämtliche Hilfslieferungen nach Gaza einzustellen. Als Grund nannte das Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu die „Weigerung der Hamas“, den Vorschlag des US-Sondergesandten und Immobilienmoguls Steve Witkoff, die Gespräche fortzusetzen, zu akzeptieren. Die Hamas sprach in einer Stellungnahme von „Erpressung, einem Kriegsverbrechen und einer Verletzung des Abkommens“.

Die Maßnahme dürfte die humanitäre Situation der rund zwei Millionen Bewohner des Küstenstreifens nach einer kurzfristigen Entlastung seit dem Ende der Kämpfe wieder verschärfen.

Witkoff hatte zuvor angeregt, die Phase eins für Ramadan und das jüdische Pessachfest um rund sieben Wochen bis zum 20. April zu verlängern. Im Gegenzug sollte die Hamas die Hälfte der noch 59 in Gaza festgehaltenen Geiseln freilassen. 36 von ihnen hat Israel bereits für tot erklärt.

Auch Spannungen zwischen Israel und Syrien nehmen zu

Die Chancen auf eine Zustimmung der Hamas zu einem solchen Vorschlag seien gering, sagte Aaron David Miller, ehemals Nahostanalyst im US-Außenministerium, der New York Times: Er erlaube „Israel, Geiseln zurückzubekommen, ohne im Gegenzug Kompromisse einzugehen“. Ohne feste Garantien für einen Rückzug Israels aus Gaza und ein Ende des Kriegs werde die Hamas nicht alle Geiseln freilassen.

Die sechswöchige Kampfpause hätte den Kriegsparteien Zeit für Verhandlungen über ein dauerhaftes Ende des Kriegs geben sollen. Die Gespräche haben bisher jedoch noch nicht ernsthaft begonnen. Netanjahu hat mehrfach betont, Israel sei bereit, die Angriffe wieder aufzunehmen, wenn die Hamas nicht ihre Waffen abgebe. Deren Führung hat bisher nicht offen zu neuen Kämpfen aufgerufen, bereitet laut Medienberichten aber ihre neuen Rekruten vor.

Auch die Spannungen Israels mit der neuen syrischen Führung nehmen nach immer weiter gehenden Einmischungen Israels im Nachbarland zu. Nach einem Schusswechsel zwischen syrischen Sicherheitskräften und bewaffneten Mitgliedern der drusischen Minderheit in dem Damaszener Vorort Dscha­ra­mana mit einem Toten drohte Israels Verteidigungsminister Israel Katz, die dortigen Drusen auch militärisch zu verteidigen. Damit setzt Jerusalem die Ausdehnung seiner Kontrolle im Süden Syriens fort.

Ohne völkerrechtliche Grundlage hatte die israelische Armee nach dem Sturz des syrischen Diktators Assad einen mehrere Kilometer breiten Streifen syrischen Gebiets besetzt. Katz und Netanjahu hatten die israelische Präsenz in der ehemaligen Pufferzone kürzlich als „zeitlich unbegrenzt“ bezeichnet und eine „Demilitarisierung Südsyriens“ gefordert.

Inner-israelische Aufarbeitung des 7. Oktober steht aus

Seit vergangener Woche arbeitet Israel zudem daran, syrischen Drusen Arbeitsgenehmigungen in israelischen Städten im seit 1967 von Israel besetzten Teil der Golanhöhen zu erteilen. Die syrische „Konferenz des nationalen Dialogs“ hatte jüngst den Abzug der israelischen Soldaten gefordert.

Innerhalb Israels wird indes weiter um die Aufarbeitung des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 gestritten. Eine interne Untersuchung der Armee kam vergangene Woche zu dem Schluss, die Sicherheitsbehörden hätten die Fähigkeiten und Absichten der Hamas systematisch unterschätzt. Am Samstag bestätigte Netanjahus Büro, wenige Stunden vor dem Angriff Hinweise auf „verdächtige Aktivitäten der Hamas“ bekommen zu haben, die der zuständige Geheimdienstoffizier des Regierungschefs jedoch nicht weitergeleitet habe.

Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet eine staatliche Untersuchungskommission. Netanjahu brachte hingegen mehrfach eine Untersuchungskommission der Regierung ins Spiel. Kritiker warnen, ein solches Gremium hätte weit weniger Kompetenzen. Ohnehin aber will Netanjahu eine solche Untersuchung erst nach dem Ende des Kriegs.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Interessant, wie man unterschiedlich "framen" kann. In der tagesschau hieß es gestern kurz und bündig: "Israel bietet Verlängerung der Waffenruhe bis Ende des Ramadans an... Die Hamas lehnte ab."



    Der Hamas ist (natürlich) das eigene Überleben wichtiger als die Lage der (Rest-) bevölkerung in Gaza. Auch ein Faktor, der zu einer eventuellen Fortdauer des Krieges beiträgt (den ich nicht erhoffe).

  • Einstellung sämtlicher Hilfslieferung = Und da diskutiert man hier ob der Haftbefehl des ICC gegen Netanjahu gerechtfertigt ist? Er liefert ja quasi die Beweise das Hunger als Kriegswaffe eingesetzt wird selber. Mal abgesehen davon, dass es kollektive Bestrafung wäre, was auch ein Verbrechen ist.



    Und es gab schon bei dem Biden-Plan, der dazugehörigen UN Resolution 2735 und dem damals geleakten Waffenstillstandsabkommen (was nicht zustande kam) einen eklatanten Unterschied zwischen dem was niedergeschrieben wurde und dem was die israelische Regierung gesagt hat. UN-Resolution die immer noch gilt und der Israel angeblich zugestimmt hatte: "Phase two would see a permanent end to hostilities in exchange for the release of all other hostages still in Gaza and a full withdrawal of Israeli forces from the area." Also Kriegsende und Abzug aller isr. Truppen. Meines Wissens stand genau das auch jetzt im Abkommen. Und wie ich damals schon kommentierte und wie Russland dies auch im Sicherheitsrat sagte, passt das nicht mit der wiederholten Aussage Israels aber v.a. Netanjahus überein: “it will continue in its war until Hamas is defeated”. Es besteht kein Interesse bei ihm für ein Kriegsende.