Debatte um Videoüberwachung in Berlin: Das Lageso im Blick
Berlins Datenschutzbeauftragter Dix hält die Einstufung des Lageso als „gefährlichen Ort“ nach dem Tod Mohameds für denkbar.
Ein Gastwirt hat eine Überwachungskamera über der Tür seiner Bar in der Bugenhagenstraße in Moabit angebracht. Er will vorher wissen, wer da gleich an seine Theke kommt. Damit verstößt er gegen das Bundesdatenschutzgesetz, denn er filmt auch ein Stück Gehweg: öffentliches Straßenland also. Damit hilft er, den mutmaßlichen Mörder des vierjährigen Mohamed zu finden, denn die Mutter des Tatverdächtigen erkennt ihren Sohn auf den Aufnahmen wieder – und geht zur Polizei.
Was danach geschah, wird jetzt aufgearbeitet. Die Debatte, die sich an diesem Fall entspinnt, ist eine bekannte: Was wiegt schwerer – das Recht, sich in der Öffentlichkeit unbeobachtet bewegen zu können oder die Möglichkeit, den mutmaßlichen Täter eines grausamen Verbrechens dingfest zu machen?
„Keine Veranlassung“ sieht der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix für eine grundsätzliche Ausweitung der Videoüberwachung. Jedoch könne er sich vorstellen, dass man das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Moabiter Turmstraße als „gefährdeten Ort“ einstufe, sagte Dix der taz. Konkret hieße das: Die Polizei könnte auch präventiv „mitgucken“, was sich auf dem Gelände des Lageso tut. Auch in U-Bahnen, Bussen und Bahnhöfen darf die Polizei seit 2007 zur „Abwehr von Straftaten“ mitschauen.
Mohamed war am 1. Oktober im Gedränge auf dem unübersichtlichen Lageso-Gelände entführt worden. Wie viele Kameras derzeit am Lageso installiert sind, ließ die zuständige Senatsverwaltung am Montag unbeantwortet. Laut einer Sprecherin von CDU-Sozialsenator Mario Czaja tagte aber gestern Nachmittag eine „Arbeitsgemeinschaft Sicherheitskonzept“ beim Lageso, die auch die Themen Videoüberwachung und die Beleuchtung des Geländes diskutieren wollte. Ergebnisse gab es bis gestern Abend noch nicht.
Tom Schreiber (SPD), Sprecher Verfassungsschutz
Gastwirt droht Verfahren
Der SPD-Sprecher für Verfassungsschutz, Tom Schreiber, will den Fall Mohamed hingegen zum Anlass nehmen, um „in der nächsten Wahlperiode eine Abschaffung der Strafverfolgung bei privaten Videoaufzeichnungen im öffentlichen Raum anzugehen“. Tatsächlich liegt nämlich gegen den Gastwirt die Beschwerde einer Privatperson vor. Laut Datenschützer Dix prüfe man derzeit, ob eine Klage gerechtfertigt ist.
Die Staatsanwaltschaft könnte etwa ein Verfahren einleiten, weil der Wirt das Videomaterial zu lange speicherte – bei Privatpersonen sieht das Bundesdatenschutzgesetz eine Löschfrist von 24 Stunden vor – oder keine Hinweisschilder anbrachte, dass vor seiner Tür gefilmt wird.
„Ein Verfahren wäre das falsche Signal“, sagt Schreiber. Jetzt flächendeckende Videoüberwachung zu fordern, wie es etwa auch sein CDU-Kollege im Innenausschuss Robbin Juhnke öffentlich tat, hält er zwar für falsch. „Aber wir haben eine Kriminalitätsstatistik, die ganz klar deutlich macht, an welchen Orten – etwa dem Alexanderplatz – ein verstärkter Einsatz von Kameras sinnvoll wäre.“
„Weg vom Einzelfall Mohamed“
Tatsächlich führt die Polizei keine Statistik darüber, wie häufig Straftaten direkt durch die Auswertung von Videoaufnahmen aufgeklärt werden, so Polizeisprecher Stefan Redlich. „Meist stellen sich aber beispielsweise die Täter innerhalb von zwei Tagen selbst, wenn wir mit den hochauflösenden BVG-Videos fahnden.“
Der SPD-Abgeordnete Schreiber will die Datenschutz-Diskussion nun in den Innenausschuss tragen. „Die Debatte muss noch mal grundsätzlich geführt werden. Wir müssen wegkommen vom Einzelfall Mohamed.“
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