Debatte um Schultrojaner: Schnüffeln aus Fürsorge
Der Schultrojaner bleibt fragwürdig. Für das Lernen ist wichtig: Kann die Plagiatssoftware den Leitmedienwechsel weg vom Schulbuch stoppen? Drei Lehrer diskutieren.
Leitmedienwechsel
Die von Schulbuchverlagen und Kultusministern gewollte Kontrollsoftware ist der Digitalisierung des Schulalltags geschuldet. Der Trojaner soll den Verlagen helfen, ihre Pfründen zu sichern.
Wir leben aber in einer Zeit des Wandels, in dem für alle spürbar wird, dass durch den Computer und das Internet unzählige Veränderungsprozesse angestoßen werden, die unsere kulturellen Errungenschaften infrage stellen und unsere Kreativität herausfordern. Von diesem Wandel sind die Verlage ebenso betroffen wie auch Schulen und die Vorstellung von Lernen.
Auf diese Entwicklung jedoch ist eine Schnüffelsoftware die falsche Antwort. Wenn sich die Verlage in einer verändernden Medien- und Kulturlandschaft als Anbieter behaupten wollen, müssen sie mit den Lehrenden arbeiten, und Zusammenarbeit bedeutet in erster Linie: gegenseitiges Vertrauen. Aber schon heute gilt, dass die Verlage dringend "digital" denken müssen. Ich bin Lehrer, und die Schülerinnen fragen mich immer wieder, ob sie die Schulbücher auch digital bekommen, sodass sie diese auf dem Laptop lesen können. Dann müssen sie die Bücher nicht immer hin und her schleppen, obwohl sie die Bücher nur für eine Stunde am Tag brauchen. Verständlich, oder? Das Lernmaterial soll da sein, wo ich bin und lernen möchte. Nicht zu Hause oder in der Schule.
Ich denke daher darüber nach, das Material für den Unterricht nur noch digital über eine Internetseite (Wiki oder Blog) anzubieten. Dort finden sich alle Autorentexte und Informationen, die wir - Lehrende wie Lernende - im Unterricht brauchen. Auf diese Weise haben wir unser selbst erstelltes, digitales Schulbuch, das alle Beteiligten verändern und anpassen können.
32, ist Lehrer an der Gesamtschule Barmen. Felix' Blog: edushift.de
Was wäre, wenn diesen Schritt mehr und mehr Lehrende einschlagen? Sich von den Schulbuchverlagen abwenden und ihr eigenes passendes "Werk" für den Unterricht erstellen? Durch die digitalen Technologien ist eine Zusammenarbeit zwischen Lehrenden denkbar einfach geworden, auch über weite Entfernungen. Wer braucht da noch die Schulbuchverlage?
Im heutigen Leitmedienwechsel wird das Buch als dominantes Leitmedium durch ein digitales Medium abgelöst. Der Computer - auch in seiner Form als Smartphone - ersetzt heute nicht nur bestehende Werkzeuge, sondern schafft neue, bisher undenkbare Möglichkeiten. Dies hat Auswirkungen auf das Lernen, das sich ebenfalls verändert. Lernen wird in erster Linie ein kommunikativer, vernetzter Prozess sein. Und gerade die Möglichkeiten der Kommunikation haben sich in den letzten Jahren radikal verändert.
Den Computer als bloße Weiterentwicklung zu sehen, wird daher nicht ausreichen. Auf die Schulbuchverlage bezogen: Die Digitalisierung des Buches als ausreichende Antwort auf den Leitmedienwechsel zu sehen, wäre ignorant und damit töricht. Ob es überhaupt eine Antwort gibt, nach der das heutige Verlagswesen in der digitalen Kultur überlebensfähig ist? Ich bezweifle es. FELIX SCHAUMBURG
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Künstliche Beatmung
Der Kontrollfetisch ist eine Abwehrreaktion auf die Herausforderungen durch die technologische Entwicklung. Die Schulbuchverlage wollen das eigene "Artensterben" abwenden.
In den Schulgeschichtsbüchern für die 8. Klasse kann man über die Erfindung der englischen "Spinning Jenny" lesen. Diese moderne Baumwollspinnmaschine war der Anfang vom Ende der schlesischen Leinentextilfabrikanten, deren Technologie neben der "Jenny" (und den nachfolgenden mechanischen Webstühlen) mit einem Schlag hoffnungslos veraltet war. Das Sterben zog sich über ein ganzes Jahrhundert hin. Trotz oder gerade wegen dieser langen Zeit haben die Fabrikanten bis zuletzt nicht verstanden, dass bei Strafe des Untergangs auf die neue Technologie hätte gesetzt werden müssen. So war ab einem bestimmten Zeitpunkt nichts mehr zu retten. Auch durch krassen Lohnabbau unter das Existenzminimum bei den Produzenten, den Handwebern, war das Ende der Branche nicht abzuwenden. Der Punkt, vor dem durch Anpassung an die neue Zeit etwas zu retten gewesen wäre, war längst überschritten.
ist Lehrerbildnerin. Blog: shiftingschool.wordpress.com
Damals war es die industrielle Revolution, heute ist es eine Medienrevolution. Lerne aus der Geschichte! So viel zur Problemorientierung.
Lernen-aus-der-geschichte.de heißt auch eine der bekanntesten netzbasierten, projektorientierten und frei zugänglichen Lernmaterialsammlungen für Geschichte. Und damit zur Lösungsorientierung. Es geht dort nicht um die Rettung der Schulbuchverlage. Es geht um das Lernen im digitalen Zeitalter. Ebenso wie wir Textilien brauchen, brauchen wir Lernmaterial. Aber wie unsere Kleidung nicht vom schlesischen Textilfabrikanten stammen muss, so muss das Lernmaterial nicht vom Schulbuchverleger stammen.
Schon vor 25 Jahren während meines Referendariats war klar, dass man die SchülerInnen nicht mehr anhand eines Lehrgangslehrbuches durch einen vorgegebenen Lernpfad wie am Nasenring führt, sondern die Schulbücher verschiedener Verlage als Materialsammlungen ("Steinbruch") zur Herstellung eigener Unterrichtsmaterialien nutzt. Alle Lehrer tun es, und täten sie es nicht, wäre ihr Unterricht grottenschlecht und den Lernbedürfnissen ihrer SchülerInnen unangemessen. Die Erlaubnis, für den geschlossenen Klassenraum (gegen Pauschalabgeltung) aus Schulbüchern kopieren zu dürfen, hat den traditionellen Unterricht damals noch einmal gerettet, indem er ihn ein bisschen "schülerorientierter" ermöglichte. Heute, unter den Bedingungen der Digitalität, ist auch das nicht mehr ausreichend für einen individualisierten Unterricht, der die Kompetenzen entwickeln hilft, die heute gebraucht werden.
Wir brauchen nicht nur digitale multimediale Materialien mit allen Möglichkeiten der interaktiven Bearbeitung, wie man sie schon an vielen Orten im Netz als Open Educational Resources kostenfrei längst bekommen kann. Wir brauchen auch neue Lernkonzepte, in denen die Social Media eine prominente Rolle spielen. Was soll da ein schweres offlinernes Schulbuch im Klassensatz? LISA ROSA
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Schnüffeln aus Fürsorge
Lehrer arbeiten auf dem schmalen Grat zwischen Über- und Unterforderung. Das zeigt die Kontrollsoftware von Kultusministern und Schulbuchverlagen. Sie soll LehrerInnen helfen, Disziplinarmaßnahmen zu vermeiden.
Lieben Sie das Risiko? Arbeiten Sie gern selbständig? Gehen Sie gern über Grenzen? Möchten Sie nachhaltig die Welt verändern und in Bildung investieren? Wollen Sie einen sicheren Arbeitsplatz? Genießen Sie das Gefühl von Überforderung mit gleichzeitiger Unterforderung?
Dann ist der Lehrerberuf genau das Richtige für Sie. Hier können Sie Ihre widersprüchlichsten Träume verwirklichen. Der Pirat im Trockendock!
ist Förderschullehrerin und Theaterpädagogin in Kiel.
1. In erster Linie müssen Sie sich mit Qualitätssicherung Ihres Unterrichts beschäftigen. Kein Problem, denn sicher ist sicher. Schließlich dürfen Sie Ihren privaten PC für Unterrichts- und Schulzwecke nutzen - natürlich nur, nachdem Sie dem Datenschutzbeauftragten freigestellt haben, ihren PC zu überprüfen. Das tun Sie gern, denn Sie sind ja keine Privatperson, sondern Diener des Staates. Und so wie Mutter am Samstag guckt, ob das Zimmer aufgeräumt ist, wird Vater Staat wohl bei Ihnen im digitalen Kämmerlein auch einmal schauen dürfen, ob alles in Ordnung ist. Schließlich gibts ja auch ein kleines Taschengeld.
2. Davon bezahlen Sie als engagierter Lehrer sicherlich auch gern Ihre eigenen Kopiervorlagen, die Sie in zehn Regalmetern in Ihrem Arbeitszimmer fein nach Fächern und Klassenstufen sortiert haben. Die Lehrerbücherei Ihrer Schule besteht gern aus zwei bis drei Regalen fragwürdiger Ordnersammlungen, denen Beuysscher Kunstcharakter anmutet, Fettflecken inklusive. Doch das Gefühl, in die deutsche Bildung investiert zu haben, trägt Sie in den Kopierraum und multipliziert sich von dort in die Lernhäuser der Zukunft.
3. Wer von Ihnen ressourcenorientierter vorgeht, Punkt 1 und 2 umgeht und Schule neu als Lern- und Lebensort denkt, der wird sicherlich die dort vorhandenen PC-Arbeitsplätze nutzen. Sie lernen jetzt, dass Ihre obersten Vorgesetzten in der Kultusministerkonferenz (KMK) Ihnen auch hier maximale Sicherheit bieten - bei maximalem Risiko.
Ja, sicher, eigentlich steht die Inklusion vor der Tür. Damit stehen neue Lernmethoden an. Sie bilden sich fort in Lernbuffets, offenem Unterricht, möchten jedes Kind nach seiner Zone der nächsten Entwicklung fördern, ihm Angebote zur Potenzialentwicklung und Kompetenzerweiterung machen. Dafür benötigen Sie Material. Viel Material. Unendlich viel Material!
So arbeiten Sie selbständig und hingebungsvoll an der Herstellung von Unterrichtsmaterial zur Binnendifferenzierung und erproben sich dabei in der Handhabung neuer Medien durch Veränderung von Vorlagen der Schulbuchverlage. Dabei denken Sie mit ungutem Gefühl an die 20-Prozent-Klausel! In Ihrem Herzen keimt der Verdacht, dass die KMK es in ihrer hidden agenda womöglich gar nicht möchte, dass Sie individuell fördern können. Sie möchte Sie durch einen Schultrojaner darauf hinweisen, wie Sie urheberrechtlich auf der sicheren Seite stehen und sich kein Disziplinarverfahren anbahnt. Wie freundlich, wahre Fürsorgepflicht! SYLVA BRIT JÜRGENSEN
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